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Soziale Ungleichheit und ein Jahr Pandemie

Julia Hofmann, Referentin für Ungleichheit und Verteilung sowie Beschäftigung und Arbeitsbeziehungen der AK Wien im Gespräch mit Angela Rosenzopf-Schurian

In unseren "informationen", die der aktuellen Sonntagsausgabe beiliegt, findet sich eine Zusammenfassung des Interviews mit Julia Hofmann. Lesen Sie hier das gesamte Gespräch.

Corona begleitet uns nun bereits ein Jahr. Welche Befürchtungen vom März 2020 hinsichtlich Arbeitsmarkt haben sich mittlerweile bewahrheitet?

Julia Hofmann: Es sind massive Umwälzungen am Arbeitsmarkt, mit denen wir konfrontiert sind: Arbeitsplatzverlust, Kurzarbeit, Einkommenseinbußen durch Schließungen und Leute, die noch in stabilen Jobs sind, aber auch große Umstellungen durchleben wie mit Homeoffice und keiner Kinderbetreuung. Auch wenn alle an den Herausforderungen zu tragen haben, möchte ich mich zunächst auf die erste Gruppe konzentrieren.

Was sich bewahrheitet hat, ist dass wir es mit einer Massenarbeitslosigkeit zu tun haben.

Im Jahresdurchschnitt haben wir plus 108.000 Arbeitslose gegenüber dem Vorjahr und rund 400.000 Menschen in Kurzarbeit, die auch noch nicht wissen, wie es mittelfristig weiter geht. Beunruhigend finde ich vor allem, dass bei jungen Leuten die Arbeitslosigkeit ansteigt, d.h. überhaupt das Hineinkommen ins Arbeiten ist schon schwierig. Wenn wir nicht wie im Zuge der letzten Krise in Griechenland und Spanien eine verlorene Generation haben wollen, müssen wir uns als Gesellschaft damit stärker auseinandersetzen.

Wenn wir schauen, wer nun von Arbeitslosigkeit betroffen ist, sind das jene vulnerablen Arbeitsgruppen, die bereits schlecht verdienen und es schon vorher schwer hatten. Die soziale Ungleichheit nimmt somit Überhand.

Sichtbar wird außerdem, die Langzeitarbeitslosigkeit wird immer mehr. Aus der Forschung weiß man, was dies für die Struktur im Alltag und die Gesundheit bedeutet. Dass es zu ökonomischen Problemen führt und die Gefahr besteht, dass Bevölkerungsgruppen zunehmend verarmen. Hier zeigt sich großer Handlungsbedarf in einem doch so reichen Land wie Österreich.

Es ist auch wichtig auf die Ungerechtigkeiten zu schauen zwischen jenen, die das Glück hatten mit 80 – 90% ihres Gehalts in die Kurzarbeit zu kommen und jenen, die in der Arbeitslosigkeit mit 55% Nettoersatzrate es kaum schaffen ihre Fixkosten zu bezahlen. Studien belegen, dass 8 von 10 Haushalten, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, unter immensen finanziellen Problemen leiden. Das zieht sich mittlerweile auch in die Mitte der Gesellschaft hinein. Aktuellen Armutszahlen gibt es zwar noch nicht, sodass wir keine fertigen Belege für akute Sprünge der Armutszahlen haben, aber man muss erwarten, dass immer mehr Menschen armutsgefährdet sein werden.

Wenn man sich die bereits Armutsbetroffenen ansieht, ewa diejenigen, die bis zur Corona-Krise Aufstocker*innen waren – also bei diesen geringfügig Beschäftigten wurde als erstes gespart und bis zu 460 Euro weniger im Monat fällt bei dieser Gruppe enorm ins Gewicht.

Wenn man zu den Selbständigen blickt, ist die ohnehin große Unsicherheit gerade jetzt massiv. Das trifft viele kleine Selbständige, EPUs, Kulturschaffende, die bereits vor der Krise wenig verdient haben und kaum Rücklagen bilden konnten. Da merkt man die Schwächen im österreichischen Sozialsystem, das auf Unselbständige fokussiert.Für Selbstständige gilt etwa das Freiwilligenprinzip in der arbeitslosenversicherung, somit fehlt aber auch ein zentrales Sicherheitsnetz.

Zusammengefasst gibt es schon extrem starke Verwerfungen am Arbeitsmarkt. Es wird auch viel „herumgedoktert“ mit Unterstützungshilfen etc., aber es gibt hier weiterhin noch viel zu tun.

Wie wirkt sich das auf das Empfinden aus?

Julia Hofmann: Es ist kein eindeutiges Bild. Es gab schon vor der Corona-Krise prinzipiell eine große soziale Verunsicherung in Österreich, die auf den ersten Blick nur schwer mit dem hohen Lebensstandard im Land in Einklang zu bringen war. An dieser sozialen Verunsicherung knüpfen nun die Corona-Erfahrungen an: Ein Viertel der Österreicher*innen haben gibt laut einer IHS-Studie an, Angst vor finanziellen Problemen und, vor Einkommenseinbußen zu haben. Es gilt auch hier: Je niedriger der soziale Status, desto mehr größer ist die Angst.

Wurden Angst und Verunsicherung von Frust und Misstrauen gegenüber Entscheidungsträger*innen ergänzt oder abgelöst?

Julia Hofmann: Laut dem Austria Corona Panel ist das Vertrauen in die Politik im letzten Jahr massiv zurückgegangen. Diese Entwicklung reiht sich natürlich in einen generellen Trend ein: Das Vertrauen gegenüber dem politischen System nimmt schon seit mehreren Jahren ab, unabhängig von der konkreten Partei oder Regierungskonstellation. Im Zuge der Corona-Krise stellt sich auch einmal mehr stark die Frage, welche Informationen bekommt man überhaupt (noch) bekommt.

Denen da oben können wir nicht trauen?

Julia Hofmann: Viele sind schon seit längerem prinzipiell mit dem ganzen politischen System unzufrieden. Der Politikwissenschaftler Collin Crouch beschreibt dieses Gefühl mit dem eines Lebens in der „“Postdemokratie“ also eines gesellschaftlichen Zustandes, in der viele sich die Frage stellen,, ob „wir da unten“ überhaupt noch etwas verändern können oder , ob „die da oben“ nicht sowieso machen, was sie machen wollen. Dieses generelle Misstrauen wird durch Extremsituationen wie die Corona-Krise weiter befeuert.

Wenn ein Viertel der Bevölkerung schon Sorge hat oder schon finanziell kämpft, die Langzeitarbeitslosigkeit weiter zunimmt, sind dann die wachsenden Ressentiments gegenüber den Entscheidungsträger*innen nicht auch gerechtfertigt?

Julia Hofmann: Mein Chef, Markus Marterbauer, würde als Ökonom würde sagen: Der Staat könnte hier massiv gegensteuern und kann sich das schon auch leisten. Wir sind in der glücklichen Lage investieren zu können, Jobs schaffen zu können. Gerade jetzt bei Negativzinsen kann sich der Staat auch leichter verschulden. Dadurch würden wir als Österreich auch gut aus dieser Krise herauskommen können. In weiterer Folge könnte man den Menschen ihre Ängste auch gut nehmen kann. Das hängt aber natürlich stark vom politischen Willen ab. Momentan gibt es europaweit den positiven Trend hin zu mehr Bereitschaft, diese Krise gemeinsam über Investitionen etc. zu meistern, anders als etwa bei der letzten Wirtschaftskrise von 2008. Momentan herrscht eher das Narrativ vor: „Jetzt müssen wir Geld in die Hand nehmen und investieren.“

Ich glaube, dass das auch richtig ist, weil man muss den Leuten eine Perspektive geben, anstatt nur auf den Markt zu hoffen.

Nicht wenige Menschen denken, dass die aktuelle Verteilung von Hilfen ungerecht ist. Lässt sich ablesen, auf wen mehr geschaut wird oder was man tun kann, um gewisse Bevölkerungsgruppen besser sichtbar zu machen?

Julia Hofmann: Alles, was an Ungerechtigkeitsempfinden und Ungleichheitswahrnehmungen im Zuge der Pandemie aufpoppt, ist eigentlich nicht neu. Wir wissen, dass nicht jedeR die gleiche Chance hat sich, Gehör zu verschaffen. Was mich allerdings positiv stimmt ist, dass man mehr von den Problemen einzelner Gruppen hört, von denen man bislang nur kaum gehört hat, wie von den Angestellten im Einzelhandel tätig sind oder vom Krankenpflegepersonal. Das ist sehr wichtig. Man muss allerdings aufpassen, dass dieses Stimme-Erheben nicht wieder verpufft und für sich allein stehen bleibt. Also, dass nicht nur die Alleinerzieher*innen für sich sprechen, sondern auch andere für sie einstehen.

Nehmen wir das Beispiel Einzelhandel her. Vor einem Jahr wurden die Supermarktmitarbeiter*innen beklatscht, wertgeschätzt, haben vielleicht einen kleinen Bonus erhalten – da war kurz Solidarität. In Wirklichkeit hat sich aber an den Arbeitsbedingungen der „Held*innen des Alltags“ nicht wirklich vielgeändert.

Es gibt eine massive Ungleichheit, die viel mit Lobbyismus und Netzwerken zu tun hat, die in Österreich schon länger bestehen. Ich sehe schon, dass es Versuche gibt,, diesen etwas entgegenzusetzen undsich zu organisieren Dabei ist allerdings die Herausforderung, dass dieses Engagement nicht in den Mühen der Ebenen verpufft.

Sozialstaat und soziales Engagement. Wo sehen Sie den Mehrwert, wo die Grenzen?

Julia Hofmann: Mein Gefühl war und das zeigt auch die Forschung, dass am Anfang der Corona-Krise die zivilgesellschaftliche Solidarität und das soziale Engagement immens groß war. Über die Monate ist jedoch die Gefahr gestiegen, dass man übermüdet, ausbrennt, vielleicht selbst genug um die Ohren hat mit Homeschooling usw. Lockdownmüdigkeit und das Depressionsniveau nehmen zu. Wenn der Staat entscheidende Themen auf das Private abgewälzt hat, ist das auf Dauer schwierig. Es ist immer ein Spiel: was kann der Staat bereitstellen, was kann der/die Einzelne leisten? Aktuell zeigt sich, dass zu viel auf den Schultern der Einzelnen, speziell auf den Schultern der Frauen lastet.. Hier gilt es auch sozialstaatlich gegenzusteuern und die Frauen bzw. die Zivilgesellschaft generell stärker zu entlasten.

Abschließend: Ihre Assoziationen zum Titel „Neue Spuren legen“. Wer soll und kann welche legen und welche können Sie schon erkennen?

Julia Hofmann: Ich sehe, dass Gruppen versuchen, sich neu zu organisieren, das finde ich sehr wichtig. 24-Stunden-Pfleger*innen haben beispielsweise begonnen, sich grenzüberschreitend zu helfen. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass diese neuen Spuren nicht nur in den Communities bleiben, sondern auch ins Sozialsystem und in den Arbeitsbedingungen Einzug halten. Was hat sich nach einer Welle der Wertschätzung im letzten Jahr strukturell für die Supermarktangestellten wirklich verbessert? Das neue Sozialhilfegesetz noch einmal zu überarbeiten und in den Sozialstaat stärker zu investieren wäre wichtig. Ich habe die Hoffnung, dass wir diese neuen Spuren gemeinsam legen und da dran bleiben.

Julia Hofmann: Referentin für Ungleichheit und Verteilung sowie Beschäftigung und Arbeitsbeziehungen der AK Wien, Doktorat in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Außerdem: Gründungs- und Sektionsratsmitglied der ÖGS-Sektion Soziale Ungleichheit, Vorstandsmitglied beim Marie Jahoda - Otto Bauer Institut sowie beim BEIGEWUM, Redaktionsmitglied der Zeitschrift Kurswechsel