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Katholische Aktion

Der Angst mit Zuversicht begegnen

Abteilungsvorstand für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Klagenfurt, Prim. Dr. Mag. Herwig Oberlerchner, MAS im Gespräch mit Angela Rosenzopf-Schurian

(Bildrechte:Pixabay
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In unseren "informationen", die der aktuellen Sonntagsausgabe beiliegt, findet sich bereits eine Zusammenfassung des Interviews mit Herrn Dr. Oberlerchner. Lesen Sie hier das ganze Interview mit ausführlichen Tipps für die aktuell herausfordernde Zeit.

Ehrenamtliches Tun ist gesundheitsfördernd, das belegen etliche Studien. Aber wie kann das eigene Engagement in Zeiten der Pandemie verantwortungsvoll gelebt werden? Im Gespräch mit Primarius Dr. Herwig Oberlerchner wird angeregt, wie wir der Angst mit Zuversicht begegnen können und wie wir in uns selbst die notwendige Sicherheit bewahren, um auch für andere verlässliche Begleiter*innen zu sein.

Wir wissen, Angst ist ansteckend. Dem gegenüber steht das kollektive Lernen im Umgang mit dem Bedürfnis nach Sicherheit. Was lässt sich aktuell daraus insbesondere für sozial Engagierte „gewinnen“?

Normalerweise ist die erlebbare Sicherheit in unserer Gesellschaft in Mitteleuropa sehr hoch. Jetzt sind wir mit einer Situation konfrontiert, die uns zutiefst verunsichert, weil wir es mit etwas zu tun haben, das so schwer einschätzbar ist. Das ist etwas, das Menschen zutiefst irritiert, gerade dann, wenn sie im eigenen Inneren nicht auf ein Gefühl von Urvertrauen und Zuversicht stoßen. Menschen, die internalisiert haben, dass das eigene Dasein einen Sinn hat und die auch in schwierigen Situationen auf ein inneres Gefühl von Geborgenheit zurückgreifen, werden diese Irritationen und Ängste relativ gut überstehen und trotzdem auch altruistisch handeln können. Es gibt aber auch Menschen, die aus dem Kontext fallen, sodass sie nicht mehr arbeiten gehen und für andere da sein können, weil sie sich selbst subjektiv so bedroht fühlen, dass sie nichts mehr tun können.

Wie komme ich zu dieser inneren Zuversicht?

Für das Urvertrauen scheinen schon die ersten Lebensjahre eine wichtige Rolle zu spielen, ob man sich dort in einer sicheren, zuverlässigen Bindung befunden hat. Wenn ich das Gefühl hatte, als kleines, bedrohtes, der Umwelt gegenüber schutzlos ausgeliefertes Wesen, mich verlässlich an jemanden wenden zu können, wenn ich diese kostbare Erfahrung machen durfte, dann werden mich diese Krisen existenziell nicht bedrohen können.

Auch die Möglichkeit zu einer spirituellen Bindung, zu einer besonderen Kraft oder einer Gottesvorstellung hat ebenfalls etwas irrsinnig Kräftigendes. Die Überzeugung, dass das alles einen Sinn hat, den ich vielleicht nicht in vollem Ausmaß verstehe, gibt Zuversicht.

Prim. Dr. Mag. Herwig Oberlerchner, MAS (Bildrechte: H.Oberlerchner)
Prim. Dr. Mag. Herwig Oberlerchner, MAS (Bildrechte: H.Oberlerchner)

So grausig es klingt, aber noch nie war der Himmel so blau, wie im Lockdown. Der Natur konnte man beim Erholen zuschauen. Das Positive an einer Krise herauszukehren bedeutet nicht diese zu leugnen, sondern es hat mit einer Gewichtung zu tun.

Was fördert diese positive Gewichtung?

Die Menschen, die sich selbst in dieser Situation beobachten können, die sich mit sich selbst denkend auseinander setzen können und die mit sich und ihrer Umwelt offen drüber kommunizieren, bewältigen diese Situation wesentlich leichter. Weil sie das Gefühl haben, trotzdem noch aktiv gestalten zu können.

In diesem Zusammenhang sind das Menschen, die potenzielle Krisen weniger als Bedrohung empfinden, sondern mehr als Herausforderung, weniger als Lähmung, mehr als Entwicklungschance. Etwas, das ich noch nie erlebt habe, kann ich als Bedrohung oder als Herausforderung und Chance erleben. Und ich erlebe in meinem beruflichen Kontext, dass die Menschen, die das als Herausforderung sehen, energetisch auf hohem Niveau bleiben. Die haben das Gefühl auch jetzt noch aktiv gestalten zu können. Die können andere Menschen auffangen und einen Sinn hinter dem Ganzen erkennen.

Wenn Sie sagen, es ist wichtig sich mit sich selbst auseinandersetzen und mit anderen zu kommunizieren, gilt derzeit, „reden hilft“?

Das, was den Menschen im Inneren beschäftigt in Worte zu kleiden, hat immer einen gesundmachenden und gesundhaltenden Aspekt. Das ist auch das Prinzip der Psychotherapie. Etwas aus dem eigenen Inneren nach außen abzugeben, sich im Gespräch dem zu stellen, hat immer einen heilsamen Effekt. Und das ist ja auch die Chance in den Gruppen der PfarrgemeinderätInnen, GruppenleiterInnen, dass man dort gemeinsam über diese Sorgen und Ängste reden kann, weil das einfach einen erleichternden und entängstigenden Effekt hat.

Wie gehen die unterschiedlichen Generationen mit den Corona-Herausforderungen um?

Grundsätzlich tun sich Menschen, die älter sind, in der aktuellen Situation leichter. Denn sie haben schon viel Lebenserfahrung, sie haben schon viel mitgemacht. Dieses Wissen, dass ich Krisen bereits bewältigt habe, ist eine unglaubliche Kraftquelle. Ich war ja schon einmal in Quarantäne als ich als Kind Scharlach hatte, das habe ich bewältigt. Oder es gab schon Ausgangsbeschränkungen. Phasen, in denen Leib und Wohl bedroht waren, können negativ sein, wenn die alten Gefühle hochkommen. Es kann sich aber auch positiv auswirken, weil ich ja weiß, dass ich das damals bewältigt habe und es wieder schaffen werde.

Wie kann man die persönliche Wahrnehmung positiv beeinflussen?

Es ist wichtig, die Zusammenhänge zu erkennen. Das was aktuell passiert, ist zwar einzigartig, wir waren in unserem Land noch nie von einem Virus in dieser Art bedroht, aber es hat schon andere Bedrohungsszenarien gegeben. Tschernobyl, Terrorakte in kleinerem Rahmen sind schon sehr nahe gekommen, der Jugoslawienkonflikt vor unserer Tür, wo auch plötzlich Sicherheit gefährdet war. Das haben wir damals geschafft und werden es letztlich wieder schaffen.

Letztendlich geht es darum, dass wenn ich mich selbst als Wesen erlebe, das Schwieriges durchstehen kann, ist es wesentlich leichter Krisen zu bewältigen.

Und ein schützendes, soziales Umfeld spielt eine wichtige Rolle. Wenn ich in mir selbst nicht diesen Halt und diese Sicherheit finde, vielleicht finde ich sie in meiner Familie, in der Partnerschaft, in meinem sozialen Miteinander. Deshalb sind Gruppentreffen, in denen man sich austauscht, unheimlich wichtig. Jeder kann von sich erzählen, bei sich bleiben, von den eigenen Ängsten und Sorgen berichten. Es wird spürbar: Man ist nicht allein.

Gerade jetzt ist es mir beispielsweise wichtig zu filtern, was lasse ich in mich, in mein Bewusstes und Unbewusstes hinein. Ich schaue keine Krimis an. Ich muss nicht jedes Youtube-Video vom Anschlag in Wien sehen. Sondern ich entscheide mich ganz bewusst für das Tröstende und Haltgebende und weise das Bedrohliche in die Schranken.

Für einen Austausch in der Gruppe, ob als Spaziergang, Treffen im großen Raum oder virtuell. Was ist dabei zu beachten, damit es gelingt?

Diese Sitzungen oder Gespräche müssten noch strukturierter sein als sonst. Zum Beispiel bezüglich der Zeitkontingentierung. Jemand, der stark im Gefühl der Bedrohung verharrt, sollte gehört werden, aber nicht über die Maßen Raum einnehmen. Hier ist auf ein Gleichgewicht zu achten. Dass auch das Haltgebende und das Positive ausreichend Zeit hat.

In einem Gruppenkontext sollte bewusst auf das stärkende im jeweils persönlichen Umfeld Rücksicht genommen werden.

Eine kurze Einleitung, in der man darauf hinweist, was wir eingangs besprochen haben ist hilfreich. Dass so eine Krise Überwältigung und Ohnmacht auslöst, aber auch eine Chance, Entwicklungsmöglichkeit, Herausforderung ist. Lebendig bleiben. Wie können wir in so einer schwierigen Zeit lebendig bleiben? Was tut uns gut?

Die Lust am Katastrophisieren ist in der Gruppe unbedingt zu vermeiden. Bitte keine Katastrophen-Szenarien hochkommen lassen. Hier muss man Stopp sagen. Wir beschäftigen uns mit der aktuellen Situation. Heute. Und was in drei Wochen ist, damit befassen wir uns dann. Es ist wichtig, den Stellenwert der Gegenwart klar in den Mittelpunkt zu rücken. Ansonsten wird man durch die eigene Vorstellung der Zukunft bereits gelähmt, weil man sich nicht vorstellen kann, das noch zu bewältigen. Hingegen mit der Gegenwart konstruktiv umzugehen, ist kostbar.

Und wenn das nicht gleich auf Anhieb gut gelingt?

Wenn Kränkungen passieren, hat man immer noch die Chance, darüber zu reden. Man könnte es so ansprechen: „Etwas in der letzten Zusammenkunft hat mich zutiefst getroffen. Das hat mich erinnert an eine Kränkung, die weit zurück liegt. Ich brauche keine Entschuldigung von dir, aber ich möchte dir sagen, das hat etwas in mir angerührt, das mich sehr beschäftigt.“ Miteinander reden ist etwas extrem Heilsames.

Wie kann man seine Kreativität erhalten, wenn die üblichen pfarrlichen Abläufe und Angebote nicht möglich sind?

In diesen Gruppen würde ich mich über die Herausforderungen und den Umgang damit austauschen. Was bewährt sich für mich, was tut mir gut. Und das kann man den anderen schmackhaft machen. So kümmere ich mich um mich. Ich muss mich in einer Krise liebevoll um mich kümmern. Achtsamkeit und Fürsorge sich selbst gegenüber sind die wichtigsten Werkzeuge, um noch Fürsorge für andere übernehmen zu können. Nur wenn ich es schaffe, liebevoll mit mir umzugehen, wird meine Fähigkeit anderen zu helfen, erhalten bleiben.

Manche Menschen sind aber mit sich selbst strenger als mit anderen…

Das Prinzip ist so: Mit einem Auge beobachte ich mich: Wie geht es mir? Wie erschöpft bin ich? Was brauche ich? Mit dem zweiten Auge schaue ich auf den anderen. Dieses sich Aufopfernde, diese Nächstenliebe um jeden Preis ist in Krisenzeiten ein schlechtes Rezept. Man muss sich selbst gut einschätzen können, um überhaupt authentisch Hilfe anbieten zu können.

Das heißt, ich werde in der Auseinandersetzung mit Menschen nur dann authentisch wirken, wenn ich diese Achtsamkeit selber lebe.

Deshalb sollte man sich über diese guttuenden Rezepte austauschen. Der einen Person helfen Telefonate mit Freunden und Familie, jemand anderes erlebt die Natur als kraftspendend, wieder jemand verändert sein Ernährungsverhalten, ein anderer verzichtet auf Alkohol und Zigaretten, eine hat Whats App vom Handy gelöscht, um nicht von Filmen und Fotos überschwemmt zu werden. Jedes Rezept, das hilft, die eigene Kraft zu erhalten, ist wertvoll und darf geteilt werden. Wenn man in der Kraft bleibt, bleibt auch die Kreativität erhalten oder nimmt sogar zu.

Dann sind wir auch gerüstet für das, was vielleicht in zwei, drei Wochen auf uns zukommt.

Zumindest sind die Karten besser verteilt. Wir werden nicht erschöpft sein. Es gibt den heilsamen Stress, der mich mobilisiert, der mich kreativ sein lässt, der mich spontan sein lässt. Er lässt uns in Krisenzeiten vital bleiben. Der zerstörerische Stress hingegen nimmt Kraft und wird es mir nicht gestatten, längerfristig zu funktionieren. Den gilt es durch die Achtsamkeit zu vermeiden. Das ist die Chance dieser Krise. Was brauche ich um gesund, vital, kräftig und kreativ zu bleiben. Was tut mir gut. Das ist für viele Menschen eine riesige Umstellung, so zu denken.

Es wird nicht gehen, etwas für andere zu tun, wenn man nicht gleichzeitig etwas für sich selbst tut. Auch nicht in den Gemeinschaften des kirchlichen Ehrenamts.

Wie nimmt man als Ehrenamtliche*r, als Pfarrmitarbeiter*in bei Menschen Unsicherheit wahr? Wie kann man helfen, da sein?

Menschen, die in diesem Kontext arbeiten, haben meist ein gutes Gespür und wissen, wie sie an gewisse Themen herankommen. Aber naives Fragen ist oft ein gutes Rezept. Laut denken. Das was Sie in Bezug auf diesen Menschen beschäftigt, kleiden Sie genau das in Worte. Ohne gleich eine Antwort zu erwarten. Z.b.:

„Ich schaue Sie an und ich habe den Eindruck, sie sind heiter. Wie schaffen Sie es so zuversichtlich zu sein?“ Oder anders. „Ich habe den Eindruck, Sie sind bedrückt und ich schaffe es nicht, an Sie heran zu kommen. Ich weiß nicht, wie Sie die Situation empfinden. Mir geht es so und so.“

Oder einfach von der eigenen Not erzählen. Dieses Aussprechen hat etwas zutiefst Ehrliches und für den Kontakt Wertschätzendes. Bevor man vom anderen etwas erwartet, gibt man etwas von sich selbst Preis, bietet einen Vertrauensvorschuss an.

Inwieweit kann Seelsorge in der Pandemie stattfinden oder braucht es eine psychologische Begleitung?

Psychotherapie hat die Seelsorge nicht abgelöst und Seelsorge kann nicht die Psychotherapie ersetzen. Das sind meines Erachtens nach zwei unterschiedliche Zugänge. Seelsorge hat stärker den spirituell weltanschaulichen Zugang. Das eine schließt das andere aber nicht aus. In der Seelsorge haben ganz besonders die Rahmenbedingungen des Aufwachsens, die Kindheit im Kontext Kirche und Religion einen Platz. Weltanschauung, ihre Weiterentwicklung, das eigene Gottesbild und ob es sich noch entwickeln darf.

Psychotherapie hingegen ist eine Ausbildung, ein Beruf, der mich befähigt, Menschen in psychischer Not beizustehen. Das sind meiner Meinung nach zwei unterschiedliche Zugänge, die einander ergänzen können. Bei uns im Kontext Psychiatrie haben wir die SeelsorgerInnen im Haus und gleichzeitig werden die Therapiesitzungen wahrgenommen.

Seelsorge fängt dort an, wo Selbstreflexion stattfindet. Jeder Mensch, der über sich nachdenkt und redet, wird in der Lage sein, Seelsorge zu betreiben. Wer sich mit sich selbst noch nicht auseinander gesetzt hat, wird auch Nöte anderer nicht lindern können.

Das ist der gemeinsame Nenner zwischen Seelsorge und Psychotherapie. Es gibt Voraussetzungen beim Therapeuten wie auch bei der Seelsorgerin.