Hilft die Kirche dem Menschen beim Leben?
Prof. Dr. Karl-R. Essmann spricht zum aktuellen Thema und stellt sich der Diskussion im Pfarrzentrum Spittal/Drau

„Dieser provokanten Frage ging der Wiener Theologe und Religionspädagoge
Karl-Richard Essmann in seinem Vortrag im Pfarrzentrum Spittal nach. Seinen bekannt
pointierten und interessanten Ausführungen folgten Stadtpfarrer Ernst Windbichler,
die Religionspädagoginnen Anna Trojer, Margot Oberauner, Renate Kaiser und Barbara Guggenberger
sowie Kath. Bildungswerkleiter und PGR Günther Kanonir und KA-Regionalreferentin Ingrid Sommer.
Überlegungen zu diesem Thema sehen sich immer einem Dilemma gegenüber. Kommt als Antwort auf diese Frage ein eindeutiges „Ja“ heraus, gibt es die Erfahrungen zahlreicher Menschen, die das überhaupt nicht bestätigen können. Kommt aber ein „Nein“ als Antwort heraus, sagen oft dieselben Menschen, „jetzt sind nicht einmal mehr die Theologen überzeugt, dass Kirche beim Leben hilft!“
Für beide Antworten ließen sich unendlich viele Beispiele, sowohl aus der Vergangenheit, als auch aus der Jetztzeit anführen.
Aber eines ist gesellschaftspolitisch beobachtbar – Kirche hat das Monopol auf Lebenswissen verloren. Sie muss sich heute den Platz mit unterschiedlichsten Sinnanbietern teilen. Aber sie hat auch kein Monopol mehr auf Glaubenswissen. Die Menschen sehen sich heute einem „Supermarkt an Weltanschauungen“ gegenüber.
In solch einer Situation neigen manchmal Menschen, die die Kirche lieben, dazu nach Schuldigen zu suchen. Schon allein deshalb, weil dieser Vertrauensverlust schmerzt und in der Seele wehtut. Man wird beim Suchen auch recht bald fündig. Je nachdem wo man mit seiner eigenen Glaubensüberzeugung steht. Einmal sind es die konservativen Bewahrer, ein andermal die progressiven Vorwärtsstürmer, einmal engagierte Laienvertreter und dann wieder klerikale Amtsträger. Jeder hofft dabei, dass er am „Ende aller Zeiten“ nicht den „schwarzen Peter“ in der Hand hält.
Verändert wird dadurch die Situation aber nicht.
Verändern und zum Guten wenden kann man die Situation nur, wenn man einen Blick darauf wirft, wie alles begann. Was war es, was den christlichen Glauben groß gemacht hat und heilig. Was war es, warum die Menschen einmal gesagt haben, christlicher Glaube hat ihnen beim Leben geholfen und er hat ihnen die Banalität des Daseins genommen?
Aus der Fülle von möglichen Lebenshilfen, die das Christentum zum Strahlen gebracht haben, seien drei erwähnt.
1. Kirche als Ort der Annahme und Anerkennung jedes
einzelnen Menschen
Es gibt eine unstillbare Sehnsucht jedes Menschen nach Geborgenheit und Heimat. Wo immer Menschen mit Kirche zu tun haben, sollten sie das Gefühl haben, dass sie wichtig sind. Kirche darf Menschen nicht anonymisieren und muss sich in jeder Situation zu einem Anwalt der Menschen machen. Eine Kirche, die diese Aufgabe wahrnimmt, hilft den Menschen beim Leben. Kirche darf das Leben und die Lebensfreude der Menschen nicht behindern, sondern soll sie vermehren.
Biblisch ist das zu erfahren im Gleichnis des Zöllners Zachäus, vgl. Lk 19. Ein Zöllner, der nicht zu den beliebtesten Zeitgenossen gehört, erhält von Jesus die Zusage, „ich möchte bei dir einkehren.“ Das war Annahme und Aufnahme eines nicht gerade sündenfreien Menschen.
2. Kirche als Ort der Vergebung und Verzeihung
Kirchliche Gemeinschaft kann sich nicht erschöpfen in einer reinen Mitmenschlichkeit. Das soll sie auch auszeichnen, aber nicht nur. Kirche ist immer eine Gemeinschaft von zutiefst in Gott verwurzelten Menschen. Sie hört nie auf „Gott ins Gespräch“ zu bringen. Sie ist der sichtbare Ausdruck des Liebesverhältnisses von Gott mit der Welt.
Aus dieser Liebe heraus kann sie den Menschen die Zusage machen, dass Gott ein gütiger, ein verzeihender, ein vergebender Gott ist. Wenn Menschen das von Kirche erfahren, dann kann es schon sein, dass sie die Kirche als hilfreich erleben.
Biblisch zu erfahren ist das in der Erzählung im Johannesevangelium Kap.8 „Jesus und die Ehebrecherin“.
Von niemandem konnte die Frau erwarten, dass einer zu ihr sagt, „ich verurteile dich nicht, geh hin und sündige nicht mehr.“ Jesus war es, der ihr diesen Neuanfang ermöglicht hat. Was hindert die Kirche eigentlich Menschen eine zweite Chance zu geben und ihnen einen Neuanfang zu ermöglichen?
3. Kirche als Ort des Feierns und der Feste
Im Ablauf eines Kirchenjahres sollten Menschen erleben, dass es Zeiten gibt, die man nicht übergehen, sondern begehen soll. Feste und Feiern geben dem Leben eine Struktur und eine spirituelle Tiefe. Und bei religiösen Festen wird Gott gefeiert. In der Schönheit und Feierlichkeit von Festen können Menschen erleben, dass Gott einer ist, der ihnen ein „Leben in Fülle“ schenken will. Gerade auch bei Festen kann man in Situationen einer möglichen Gotteserfahrung geführt werden.
Die heilige Schrift ist voll von Erzählungen solcher Feste.
Wenn Kirche und kirchliche Gemeinden Orte sind, an denen Menschen erfahren, dass sie aufgenommen und anerkannt sind und dass sie Vergebung und Verzeihung erlangen können, dann kann es schon sein, dass sie sagen, „mir hilft die Kirche beim Leben!“
Text: Karl-R. Essmann
HIer können Sie den Vortrag von Professor Essmann in insgesamt sechs mp3-Dateien nachhören.
Veranstalter: Kath. Bildungswerk; Stadtpfarre Spittal/Drau; Kath. Aktion