Organisation

Katholischer Akademikerverband

Über Höllenangst, Todesangst und Lebensängste

Ein KAV-Studientag mit Prof. Jan-Heiner Tück zum Gestaltwandel einer menschlichen Grundbefindlichkeit und Therapieansätze aus theologischer Perspektive

Ängste gehören zur Signatur unserer Zeit. Von Soziologen erhobene objektive Gefährdungsindikatoren sollten uns eigentlich beruhigen. Die Sicherheitslage ist in Österreich relativ gut, die Krankenversorgung auch, dennoch nehmen auch hier Angstzustände und Panikattacken ständig zu. Sie gehören zur dunklen Seite unserer Lebenskultur - und das nicht erst seit heute. Können wir solchen Ängsten mit Leichtigkeit und Gelassenheit entgegen treten? Und ist uns dabei der Glaube eine Hilfe?

Univ. Prof. Dr. Jan-Heiner Tück beim KAV-Studientag in Maria Saal (Foto: KH Kronawetter)
Univ. Prof. Dr. Jan-Heiner Tück beim KAV-Studientag in Maria Saal (Foto: KH Kronawetter)

Bereits zum vierten Mal hat der renommierte Wiener Universitätstheologe Prof. Dr. Jan-Heiner Tück für den Katholischen Akademikerverband Kärnten am 9. November 2018 in Maria Saal einen Studiennachmittag gestaltet. Heuer standen „Angstwelten der Gegenwart“ im Blickpunkt der Aufmerksamkeit und vor allem die große Frage, ob der christliche Glaube in den großen Sorgen und Ängsten der Zeit ein wirksames Therapeutikum sein kann.

Das Verhältnis von Religion und Angst ist ambivalent. Das Göttliche erscheint in der Bibel einerseits als Hilfe in der Angst, es erzeugt gleichzeitig aber auch Angst. So wird zum Beispiel der große Dulder Hiob von Gott in Angst und Schrecken versetzt. Freilich entdecken wir an vielen Stellen auch die andere Gotteserfahrung, jenes „Fürchtet euch nicht!“, das wie ein Kehrvers besonders in der frohen Botschaft von Ostern wiederkehrt.

Jan-Heiner Tück referierte Beobachtungen zum Gestaltwandel der menschlichen Grundbefindlichkeit Angst. Dabei spannte er einen weiten Bogen von der Höllenangst (früherer Zeiten) über die „Heidenangst“ vor dem Tod bis hin zu den alltäglichen Lebensängsten unserer Zeit. Er veranschaulichte diese anthropologischen Grund- und Grenzerfahrungen mit literarischen Beispielen.

Das Gericht Gottes als Topos der Hoffnung sehen

Mit der Inszenierung der Höllenangst in Predigt und Katechese wie sie z. B. Stephen Dedalus, der junge Held im Roman „Porträt des Künstlers als junger Mann“ von James Joyce, Ende des 19. Jahrhundert in Irland erfahren musste, wurde die Hoffnung auf den Himmel Jahrhunderte lang eingetrübt und verdunkelt. Tück wörtlich: „Die tröstliche Botschaft, dass es nicht gleichgültig ist, wie wir gelebt haben werden, die Aussicht darauf, dass wir erwartet und nach unserer Geschichte befragt werden, ja die biblische Verheißung, dass der himmlische Vater jeden umkehrwilligen Sünder in seinem Reich willkommen heißt, verblasste hinter dem bedrohlichen Bild eines Buchhaltergottes, der alles sieht und nichts vergisst, der jeden zur Rechenschaft zieht und unerbittlich Sühne auch für die kleinsten Sünden fordert.“
Diese Drohprediger wussten wohl zu genau, wer nach dem Tode auf ewig verdammt sein werde und wer zur Zahl der Geretteten hinzugefügt werden könne. Den Freiheitsgewinn des christlichen Glaubens in attraktiver Form herauszustellen und zu betonen, wurde dabei schlichtweg vergessen. Aber kann - so ist mit Tück zu fragen - „die Vorstellung einer aktiven Verwerfung durch Gott aufrechterhalten werden, wenn gilt, dass der Gottesbegriff an die Semantik der Liebe unauflöslich gebunden ist“, wie im 1. Johannesbrief zu lesen ist? Das Gericht Gottes soll als Topos der Hoffnung gesehen werden, wo das Leid der Opfer gewürdigt und das Unrecht der Täter aufgedeckt wird.

Die Ohnmacht angesichts des Todes macht Angst

In der Moderne hat sich die Angst vor dem Letzten auf das Vorletzte verschoben. Die Angst vor dem Älterwerden und Sterbenmüssen wird signifikant, stellte Tück mit einer Aussage des Dichters Reinhold Schneider thesenhaft fest. Dass dies der Preis für den Verlust der Hoffnung auf ein Leben über den Tod hinaus sein kann, also eine mögliche Folge des Glaubensverlustes, deutet Ulla Berkéwicz in ihrem aufrüttelnden Roman „Überlebnis“ an, in dem sie den Tod ihres Mannes Siegfried Unseld literarisch verarbeitet. Diese Buch ist „eine eindringliche Meditation über Liebe und Tod, ein Buch des Schmerzes und der Trauer, aber auch eine schonungslose Analyse der Angst vor dem Tod.“ Die Ohnmacht angesichts des Todes wird bei Berkéwicz zur „Einbruchstelle der Angst, dass der andere, den man bedingungslos geliebt hat, in der Nacht des Nichts verschwinden könnte“, analysiert Tück und ressumiert: „Wie der Unglaube die Angst vor der Nacht des Nichts hervorruft, so der Glaube die Hoffnung, auf einem Grund zu stehen, der über die Bruchlinie des Todes hinaus trägt.“

Gottes gnädiger Blick verleiht Ansehen und befreit vor Versagensängsten

Im Blick auf Martin Walsers kurze Schrift „Rechtfertigung, eine Versuchung“ wurden allgegenwärtige Lebensängste veranschaulicht, wenn nämlich die Blicke der Mitmenschen gnadenlos auf andere gerichtet werden. Was rechtfertigt unsere Existenz, fragen sowohl der Dichter als auch der Theologe. Sind es ausschließlich Arbeit, Leistung, Erfolg und Geld? Ist es alleine der Blick der anderen, der den Menschen Ansehen gibt? Wie können wir aus „diesem Wettbewerb im Anerkennungstheater“ aussteigen und Ressourcen finden, die Selbstvertrauen geben, fragt der Referent und gewährt einen theologischen Ausblick.
Der Mensch braucht selbstverständlich die anerkennenden Blicke der anderen, die Zustimmung der Eltern und Freude, auch das Lob der Kollegen. Der kalte, taxierende berechnende und vergleichende Blick der anderen jedoch erzeugt beklemmende Angst. Wenn menschliche Anerkennung ausbleibt, herrscht bald Resignation und Verzweiflung. Tück erinnerte dabei nachdrücklich an den festen Boden, den der Glaube gewährt, das Fundament, das er verspricht. Wörtlich sagte er: „Der Glaube richtet ein Ja auf, das stärker ist als alle Verneinungen der Angst. Er bietet ein Fundament, das als Therapeutikum gegen die abgründige Bodenlosigkeit menschlicher Angsterfahrungen eingespielt werden kann.“ Der gnädige Blick Gottes und seine begleitende Gegenwart befreien den Menschen vom Selbstrechtfertigungsdruck und der Angst zu versagen.

So kann Glauben - mit Martin Walser gesprochen - auch zur „Verschönerung der Welt“ einen wertvollen Beitrag leisten.

Jan-Heiner Tück: Schusskapitel des Vortrages "Angstwelten der Gegenwart" beim KAV-Studiennachmittag in Maria Saal am 9. November 2018
Viele sind der Einladung zum theologischen KAV-Studiennachmittag gefolgt (Foto: KH Kronawetter)
Viele sind der Einladung zum theologischen KAV-Studiennachmittag gefolgt (Foto: KH Kronawetter)