Organisation

Katholischer Akademikerverband

Bosnien-Reise des KAVÖ

Dr. Peter Gstettner (© Foto: S. Schlager)
Dr. Peter Gstettner (© Foto: S. Schlager)

Die Studienreise des Katholischen AkademikerInnenverbandes Österreichs nach Bosnien und Herzegowina vom 28.8. bis 2.9.2016

Ein persönlicher Bericht von Dr. Peter Gstettner

Bereits beim Kennenlernen am Vorabend der Reise zeigte sich, dass die meisten TeilnehmerInnen persönliche Interessen mit den zu erwartenden Begegnungen und Erlebnissen in Bosnien-Herzegowina verbanden. Manchmal waren es Erinnerungen an das alte Jugoslawien, häufiger jedoch Erfahrungen mit Flüchtlingen aus den Balkanländern, die ihre Heimat wegen der schrecklichen Kriegsereignisse in den Jahren 1992 bis 1995 verlassen mussten.

Unsere Reise, sachkundig vorbereitet und Anteil nehmend geführt von Frau Mag.a Susanne Schlager und von Frau Mag.a Magda Krön, wurde von Herrn Mag. Dragan Milisic begleitet, der in vielen Situationen nicht nur als Dolmetscher unentbehrlich war, sondern auch

während der Fahrt unaufdringlich-eindringlich von seinen persönlichen Erlebnissen in dem zerrissenen Land erzählte, das er bei allen leidvollen Erfahrungen immer noch als seine eigentliche „Heimat“ bezeichnete.  


Banja Luka, die zweitgrößte Stadt Bosnien-Herzegowinas

Als erste Station unserer Studienreise erreichten wir am Nachmittag Banja Luca, die zweitgrößte Stadt von Bosnien-Herzegowina und die Hauptstadt der heutigen Serbischen Republik (Republika Srpska). Die letzten beiden Kriege, der 2. Weltkrieg und der Krieg von 1992 bis 1995, hinterließen in Banja Luka ein inzwischen aufgeräumtes Trümmerfeld. Betroffen waren von den Zerstörungen vor allem auch die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den Angehörigen der verschiedenen Ethnien und Religionen. Banja Luka war deshalb unser erstes Fallbeispiel für das Studium der Auswirkungen des postjugoslawischen Dramas.

Der Krieg, der dem Zerfall von Titos Jugoslawien folgte, zeigte deutliche Parallelen zum Nazi-Feldzug am Balkan von 1941 bis 1945: Massaker an der Zivilbevölkerung, mutwillige Zerstörung von Kulturdenkmälern, gnadenlose Verfolgung von Intellektuellen, Oppositionellen, Geistlichen und „Fremdvölkischen“, unerbittliche Kämpfe um territoriale Vorherrschaft und eine „Politik der verbrannten Erde“ bei den militärischen Rückzugsgefechten.

Eine weitere Katastrophe folgte: In Banja Luka zerstörte das Erdbeben von 1969 den Großteil der bis dahin von der jugoslawischen Bevölkerung geleisteten Aufbauarbeit. Die Uhr vor dem neuen Einkaufszentrum „Boska“ zeigt, quasi als modernes Erinnerungszeichen, den genauen Zeitpunkt des Beginns dieses verheerenden Ereignisses an: 27. Oktober 1969, 09:11 Uhr.

Zu den bis heute erhaltenen Sehenswürdigkeiten gehört die Festung der Stadt, zu den wieder aufgebauten gehören die serbisch-orthodoxe Christi-Erlöser-Kathedrale und die Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit sowie die architektonisch interessant gestaltete moderne katholische Kirche, die dem Heiligen Bonaventura geweiht ist. Auch einige Hinterlassenschaften der K. u. K. Monarchie sind wieder in Takt: eine Tabakfabrik, eine ehemalige Kaserne und mehrere Villen, in denen die Elite des Verwaltungsapparates der Monarchie residierte. Einer der bekanntesten islamischen Sakralbauten des Balkans, die Ferhadija-Moschee, 1579 im klassisch osmanischen Stil erbaut, wurde erst in jüngster Zeit als kulturelles Erbe der Menschheit unter den Schutz der UNESCO gestellt, um bald danach von serbischen Nationalisten dem Erdboden gleich gemacht zu werden - ebenso wie alle anderen 15 Moscheen von Banja Luka. Am 7. Mai 1993 gesprengt, durften wir die erst kürzlich (am 7. Mai 2016) wieder eröffnete Ferhadija-Moschee besuchen. Es gab um den Standort und den Wiederaufbau der Moschee einen jahrelangen politischen Streit, der mit der Eröffnung nun beendet ist. Deshalb ist die neue erbaute Ferhadija ein Zeichen des Fortschritts im mühsamen Prozess der Wiedergewinnung religiöser Toleranz. So wie Jahrhunderte davor kann die Moschee heute wieder den bosnischen Muslimen von Banja Luka als Ort des Gebets dienen.

Jajce, Sitz der bosnischen König

Bei einem Zwischenaufenthalt in Jajce - bis Ende des 15. Jahrhunderts Sitz der bosnischen Könige - lernten wir auch einige touristische Attraktionen kennen, auf die Jajce heute besonders stolz ist: die Mithras-Kultstätte, die alte unterirdische Katakombenkirche, die Ruinen der romanischen Kirche des Heiligen Lukas, die Festung am Hügel über der Stadt, die ehemalige Turnhalle, die als Gründungsort von Titos Jugoslawien und der AVNOJ-Beschlüsse gilt, die Grünanlagen und Parks mit ihrem 28 Meter hohen Wasserfall beim Zusammentreffen der Flüsse Vrbas und Pliva.

Sarajevo

Der mehrtägige Aufenthalt in Sarajevo war für mich ein Wiedersehen nach 2 Jahren. Eine Reihe von Häusern zeigt nach wie vor an den Fassaden Einschussstellen, die vom letzten Krieg Zeugnis geben. Andere Stellen, an denen Dutzende Menschen durch den Artilleriebeschuss der serbischen Belagerer den Tod fanden, sind heute künstlerisch gestaltete Erinnerungsorte, die wegen ihrer roten Einfärbung im Straßenbelag wie Blutflecke ausschauen und liebevoll „Rosen von Sarajevo“ genannt werden. Auch die stark frequentierten Parkanlagen, die neuen Hochhäuser aus Glas und Beton und die modernen Geschäfte in der Marschall-Tito-Straße prägen das Antlitz der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas. Hinzu kommt die große Anzahl von Menschen, die durch die Fußgängerzone flanierten, darunter auffallend viele junge Menschen, Familien mit Kindern und Touristen aus allen Herren Länder. Das Getriebe in den Basaren, die Führungen in den serbisch-orthodoxen und katholischen Kirchen, in den Moscheen und Synagogen und all die anderen Restaurierungsbemühungen, sind sie mehr als nur Quelle für nostalgische Träume und Illusionen? - Ich glaubte, Anzeichen für eine positive Entwicklung des lebendigen „alten“ Sarajevos wahrnehmen zu können. Dennoch: Vermittelt durch persönliche Kontakte und Gespräche bekam ich den Eindruck, dass unter der Oberfläche immer noch große Ratlosigkeit und Zweifel vorhanden sind, manchmal auch Resignation und Angst vor der Zukunft.

Potocari - Besuch der Gedenkstätte in Srebrenica

Und dann kam unser Besuch der Gedenkstätte in Srebrenica. Ich hatte von dem Massenmord an den 8.000 muslimischen Männern gehört und Bilder davon gesehen, wie unter den Augen der UNO-Schutztruppen wehrlose, abgemagerte Männer von serbischen Einheiten abgeführt, getötet und in Massengräbern verscharrt wurden – nur weil sie und ihre Familien auf einem Gebiet lebten, das jetzt die Serben für sich allein beanspruchten. Der Aufenthalt in der Gedenkstätte, die Gerd Wochein, ein Kärntner Architekt von der HTL in Villach im Auftrag des damaligen UN-Hochkommissars Wolfgang Petrisch eindrucksvoll gestaltet hat, die Betroffenheit der Frau, die uns die historischen Zusammenhänge erklärte, der Film, in dem ZeitzeugInnen zu Wort kommen, der Gang durch den muslimischen Friedhof mit den tausenden Grabsteinen mit den Namen und Daten jener jungen Männer, deren exhumierte Leichenteile nach Jahren mittels DNA-Analyse identifiziert wurden, all dies hinterließ bei mir eine Sprachlosigkeit, die ich als „Schockstarre“ über das Unbegreifliche deute. Die Angst vor der Wiederkehr des schon Bekannten kam in mir bei der Erinnerung hoch, dass der Präsident der Republika Srpska Milorad Dodik schon vor 4 Jahren anlässlich seines Besuches in Österreich den Genozid an den bosnischen Muslimen in Srebrenica leugnete und sagte, er würde am liebsten die Hohen UN-Repräsentanten von Bosnien-Herzegowina vor ein Gericht zitieren wegen deren Eigenmächtigkeit, Kraft selbst gemachter und „aufgezwungener Gesetze“ sogar „demokratisch gewählte Vertreter“ seines Landes abzusetzen! (Vgl. das Interview mit Milorad Dodik in der Tageszeitung DIE PRESSE am 23.3.2012)

Unsere Gespräche mit den ExpertInnen in Sarajevo, für die offenbar solche nationalistischen Ausritte zum Alltag gehören, waren sehr informativ und zeigten die Richtung an, in der sich die gewünschte Entwicklung in den kommenden Jahren bewegen sollte. Oberstes Ziel sind Friedenserhalt und ein demokratischer Übergang zu einer staatlich abgesicherte Ordnung in den international vereinbarten Grenzen der Bosnischen Föderation (mit ihren 10 autonomen Kantonen) und der Serbischen Republik, einschließlich dem Sonderfall „Distrikt Brčko“.

Besuch bei Dr. Valentin Inzko

Der Hohe UN-Kommissar für Bosnien und Herzegowina, Dr. Valentin Inzko, äußerte im Gespräch aber auch seine ernste Sorge, die ihm das Auseinandertriften der einzelnen Landesteile bereitet. Das Begehren nach einer völligen Autonomie und politischen Unabhängigkeit in den schon weitgehend ethnisch vorsortierten Territorien könnte zu neuen Konflikten führen und noch für viele Jahre die Anwesenheit von UN-Organisationen notwendig machen. Alle diesbezüglichen Prognosen hätten einen großen Unsicherheitsfaktor, besonders hinsichtlich der Frage, die auch das gegenwärtige Referendum in der Serbischen Republik aufwerfe: Sind die relative Stabilität und der gegenwärtige Friede zwischen den Volksgruppen dauerhaft gesichert, oder steht eine weitere Entzweiung und Trennung des Landes ins Haus?

Die Gespräche mit einem Repräsentanten der Caritas, mit der Leiterin des Instituts für die bosnisch-islamische Kultur, mit Mitgliedern des interreligiösen Chores „Pontanima“ und mit dem örtlichen Leiter des Projekts „Bauern helfen Bauern“ ließen die Hoffnung aufkeimen, dass Bosnien auf dem Weg ist, seine historischen Belastungen zu überwinden und den verhängnisvollen Ideologien des übersteigerten Nationalismus zu widerstehen. Diese Hoffnungen beruhen auf der Erfahrungen, die „Großdeutschland“ im 20. Jahrhundert machen musste: Wenn die „Selbstbestimmung der Völker“ zu nichts anderem führt als zu einem ethnisch bereinigten Nationalstaat, dann wird dieser früher oder später zu einem völkischen Terrorstaat ausarten, der auf den unzähligen Opfern der historischen Mordstätten wie Srebrenica, Jasenovac, Mauthausen, Auschwitz und anderen aufgebaut ist. Und das wäre das ultimative Ende des europäischen Friedensprojekts. Deshalb ist die staatliche Einheit des multikulturellen Bosniens und der Herzegowina für Europa eine Herausforderung, mehr noch: eine immer noch „offene Wunde“, die mit Beruhigungspillen der UNO nicht zu heilen is