Organisation

Katholischer Akademikerverband

In Freiheit gebunden

Was den gekreuzigten Christus mit Odysseus verbindet - KAV-Studientag mit Jan-Heiner Tück

Odysseus, der listenreiche Held von Troja, ist durch seine mühsame und gefährliche Rückreise in seine Heimat zur Familie zu einem Sinnbild menschlicher Existenz geworden. Was den gekreuzigten Christus mit Odysseus verbindet, hat schon die Kirchenväter interessiert. Kann die Irrfahrt („Odyssee“) des antiken Helden als Parallele zu unserem irdischen Lebensweg gesehen werden, dem aller Wirrnisse zum Trotz ein glückseliges Ende beim göttlichen Vater zugesagt ist?

Diesen Fragen widmete sich der diesjährige Studientag des Katholischen Akademikerverbandes Kärnten, der am 4. Oktober 2019 in Maria Saal stattfand. Als Referent konnte wieder der Wiener Universitätstheologie Jan-Heiner Tück gewonnen werden. Er navigierte mit Bravour durch die Rezeptionsgeschichte des Odysseus-Mythos von Homer bis in herauf ins 20. Jahrhundert.

In Freiheit gebunden

Viele Kirchenväter deuteten den aufrecht an den Mastbaum seines Schiffes gebundenen Odysseus, der dadurch den betörenden Verlockungen der Sirenen widerstehen konnte, als ein Sinnbild christlicher Lebenskunst. Auch eine symbolische Verbindung zum Christus am Kreuz wurde von einigen Theologen des Alterums hergestellt. Tück wörtlich: „Wie sich Odysseus in Freiheit gebunden hat, um den Gesang der Sirenen zu hören, ohne ihm zu erliegen, so bindet sich der Christ an das Holz des Kreuzes, um das Meer dieser Welt zu durchqueren.“

Vom Vorbild des Heiles zum Warnbild des Unheils

Odysseus wird am Beginn der Neuzeit von Dante in seiner Divina commedia dann jedoch ganz anders gesehen. Da ist keine Rede mehr von Odysseus am Mastbaum als Sinnbild für Christus. Vielmehr wird er nun als ein welthungriger Abenteurer geschildert. Der kühne Entdecker, der durch Überschreitungen seiner menschlichen Grenzen letztlich Schiffbruch erleiden muss und schließlich im Inferno landet. War der griechische Held bei den Kirchenvätern noch ein Vorbild des Heils wird er bei Dante zu einem Warnbild des Unheils.

Erfahrungshungriger Entdecker und Eroberer

Doch Dantes Warnungen waren bald verhallt. Im optimistischen Fortschrittsdenken des neunzehnten Jahrhunderts wird der faustische Entdeckergeist des Odysseus dann wieder gebührlich bestaunt und gefeiert. Professor Tück veranschaulichte diese Sicht am Ulysses-Gedicht von Alfred Lord Tennyson aus dem Jahr 1833, das in vielen englischen Schulbüchern zu finden ist. In diesem langen Gedicht wird Odysseus als Prototyp des modernen Menschen beschrieben, erfahrungshungrig und stets bereit aufzubrechen und hinaus in die Weite zu fahren, um fremde Länder zu entdecken und wohl auch zu erobern.

Schiffbruch erleiden

Der moderne Mensch kann bei all seinen hochtrabenden Unternehmungen aber immer auch scheitern. Schiffbruch wird zu einer warnenden Metapher. Tück stellte im abschließenden Teil seiner Ausführungen dann die Eröffnungsszene von Paul Claudels Stück „Der seidene Schuh“ in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit: Da treibt neben dem Wrack eines Schiffes ein Jesuitenpater an den Stumpf des Mastes gefesselt mutterseelenallein auf dem Atlantik. Statt Gott mit der penetranten Warum-Frage zu attackieren, nimmt der gefesselte Pater sein Schicksal an und stammelt betend: „Herr, ich danke dir, dass du mich so gefesselt hast. … heute kann ich enger nicht mehr an dich angepresst sein, als ich es bin, … Und so bin ich wirklich ans Kreuz geheftet, das Kreuz aber, an dem ich hänge, ist an nichts mehr geheftet. Es treibt auf dem Meere.“

Das Holz des Kreuzes als rettende Planke

Das bergende Schiff (der Kirche?) ist ruiniert, der Mastbaum umgehauen und kein rettender Hafen in Sicht. Der Mensch, seiner Schätze beraubt, treibt auf dem Ozean. Dieses extreme Ausgesetzt-Sein beschreibt auch die radikale Fraglichkeit des Glaubens heute. Im Blick auf die „rettende Planke“ blitzt Hoffnung auf. „Nur ein loser Balken knüpft an Gott“, beschreibt Joseph Ratzinger 1968 in seiner „Einführung ins Christentum“ die Szene, aber am Ende weiß der Schiffbrüchige, „dass dieses Holz stärker ist als das Nichts, das unter ihm brodelt, das aber dennoch die bedrohende, eigentliche Macht seiner Gegenwart bleibt.“

Auf Umwegen zum Hafen des Heils

Wir erleben unsere befristete menschliche Existenz zwischen Geburt und Tod als ein ständiges Auf und Ab. Als Pilger sind die Menschen unterwegs auf den Straßen des Lebens, die zu beschwerlichen Hindernissen aber auch zu großartigen Ausblicken führen. Im Blick auf die überstandenen Abenteuer des Odysseus wird Christen geraten, dass sie sich an das rettende Kreuz Christi binden müssen, wenn sie das gefährliche und unberechenbare Meer des Lebens ohne Schiffbruch durchkreuzen und am Ende in den Hafen des ewigen Heiles einfahren wollen. Weltoffen, vorsichtig und klug - ja vielleicht ja auch listig - sollen christliche „Seefahrer“ sein.