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Typisch Frau?

Wie Österreichs Frauen leben und glauben ....

PRESSEINFORMATION
Typisch Frau?
Wie Österreichs Frauen leben und glauben – 1970 bis 2010
Veränderungen und Konsequenzen in Gesellschaft und Kirche
Eine „WELT DER FRAU“-Studie von Univ.-Prof. DDr. Paul M.
Zulehner
(Wien, 29. November 2011). Der bekannte Pastoraltheologe und Religionsforscher
em. Univ.-Prof. DDr. Paul M. Zulehner analysierte erstmals im Auftrag
der Frauenzeitschrift „WELT DER FRAU“ ein über den Zeitraum von 1970 bis
2010 in Österreich und Deutschland erhobenes, frauenspezifisches
Datenmaterial1. Die Fakten zeigen: Es gibt nicht mehr „den“ Mann und ihm
kontrastierend gegenüber „die“ Frau. Es gibt eine Mehrzahl von deutlich
unterscheidbaren Geschlechtertypen: traditionelle wie moderne, pragmatische
wie unbestimmte/suchende. Dadurch kristallisieren sich sowohl neue typische
Rollen und Aufgabenverteilungen als auch Ansprüche sowie Anforderungen an
die Gesellschaft und ihre Institutionen heraus.
Die Studie gewährt erstmals neue Einblicke in die Entwicklung von
Frauenleben in den letzten 40 Jahren und gibt einen Ausblick auf Trends sowie
damit verbundene Herausforderungen für Politik und Kirche. Begleitend zur
Studie wurde vom „Welt der Frau“-Verlag ein Buch mit dem Titel „Typisch
Frau?“ herausgegeben, in dem Prof. Paul Zulehner gemeinsam mit Dr.in Petra
Steinmair-Pösel, Frauenreferentin der Katholischen Kirche Vorarlberg und
Universitätsassistentin am Institut für Sozialethik, die Typologien anhand von
konkreten Beispielen in spannender Weise beleuchten.
Basierend auf dem umfassenden Datenmaterial, das der Studie zugrunde liegt, lässt
sich für den Studienautor em. Univ.-Prof. DDr. Paul Zulehner eine bunte Vielfalt von
„Frauentypen“ erkennen. Konkret lassen sich vier Typen abgrenzen: der traditionelle
– der moderne – der pragmatische – der unbestimmte/suchende.
1 Folgende Studien wurden ausgewertet:
• Religion im Leben der ÖsterreicherInnen 1970−2010: Dies ist eine der größten europäischen Langzeitstudien
über die Entwicklung der religiös-kirchlichen Dimension in der österreichischen Kultur seit vierzig Jahren;
• die österreichische Pfarrgemeinderatsstudie 2009: über ein Viertel der rund 35000 ehrenamtlichen
PfarrgemeinderätInnen beteiligten sich an dieser Onlinestudie;
• Europäische Wertestudien 1991, 1999 und 2008: An der Europäischen Wertestudie, die 1982 erstmals in Feld
gegangen war, hat sich Österreich seit 1991 beteiligt. Sie analysiert die wichtigsten Lebensfelder moderner
Menschen, u. a. Beruf, Familie, Politik, Religion und Kirchen.
Neue Typen statt klassische Rollenbilder
Die traditionellen Frauen definieren sich mehrheitlich als Familienfrau und Mutter.
Berufstätigkeit ist damit nicht vereinbar. Dem entspricht das Bild vom Mann als
alleiniger Familienernährer. 12 % der Frauen (17 % der Männer) verstehen sich 2010
als traditionell. Der Anteil der traditionellen Frauen hat sich 1992 bis 2002 halbiert.
Seither nimmt er allerdings wieder zu: Er stieg von 2002 bis 2010 von 11 % auf 12 %.
Die modernen Frauen verbinden – auch aufgrund der inzwischen selbstverständlich
gewordenen hohen Schulbildung von Frauen – Beruf und Familie und sehen
sich jeweils als Berufsfrau. Mit diesem Anspruch wird Mutterschaft zu vereinen
versucht. Der Anteil moderner Frauen hat sich in den ersten zehn Jahren von 20 %
auf 37 % nahezu verdoppelt. In den letzten Jahren (2002−2010) ist der Anteil aber
merklich rückläufig (−10 Prozentpunkte).
Ein Viertel der Frauen verhält sich pragmatisch. Ein Drittel ist offen und
unbestimmt/suchend.
„Anhand des Datenmaterials ist klar ersichtlich: Der Schlüssel für die
Typenzuordnung ist die Verbindung von Beruf und Familie. Moderne – Frauen wie
Männer – sind einander näher als traditionelle und moderne Frauen bzw. traditionelle
und moderne Männer. Wenn überhaupt, dann gibt es einen Graben weniger
zwischen den Geschlechtern, sondern viel tiefer zwischen den unterschiedlichen
Typen. Es ist wie bei der Ökumene: Evangelikale ProtestantInnen und
fundamentalistische KatholikInnen sind einander näher als evangelikale und liberale
ProtestantInnen bzw. fundamentalistische und reformoffene KatholikInnen“, bringt
Studienautor und Religionssoziologe em. Univ. Prof. DDr. Paul M. Zulehner diese
Ergebnisse auf den Punkt.
Bildung als treibende Kraft der gesellschaftlichen Veränderung
Je höher die Schulbildung, desto wahrscheinlicher kann eine Frau dem modernen
Typus zugeordnet werden. 63 % der modernen Frauen weisen ein abgeschlossenes
Hochschulstudium auf – beim traditionellen Typus sind es hingegen nur 2 %. Das
Verlassen von traditionellen Rollen geht also mit wachsender Bildung einher. Es zeigt
sich, dass das Geschlecht an sich Einfluss auf die Typenzuordnung hat: Frauen
verstehen sich moderner als Männer. Es gibt somit eine unterschiedliche
Entwicklungsgeschwindigkeit bei den Geschlechtern. Das kann eine Quelle für
produktive familiale wie gesellschaftlich-kirchliche Spannungen sein. Frauen spielen
dabei zumeist den entscheidenden Part.
Ernüchterung hinsichtlich moderner Frauenrollen
Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass die moderne Frauenrolle schwierig zu
leben ist, wenn Beruf und Familie verbunden werden sollen. 43 % der modernen
Frauen mit Kindern im Haushalt sind der Ansicht: „Das Leben in einer Familie ist
einfacher, wenn ein Elternteil nicht arbeitet und zu Hause bleibt.“ Auch 41 % der
kinderlosen modernen Frauen denken so.
Im Schnitt aller Österreicherinnen und Österreicher stimmen dieser Aussage 59 % zu.
Ebenfalls ist ein Drittel (35 %) der modernen Frauen mit Kindern der Ansicht: „Die
neuen Geschlechterrollen sind anstrengender als die traditionellen.“ Eine Strategie,
das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu mildern, sehen 54 % der
Männer und 67 % der Frauen in der Bezahlung der Familienarbeit.
Haben von den traditionellen Frauen 16 % kein Kind, trifft dies bei den modernen
Frauen auf jede Dritte (34 %) zu. Im Durchschnitt hat die traditionelle Frau fast zwei
Kinder (1,91), die moderne eins (1,31). Nur 17 % der modernen Frauen meinen, dass
es ein erfülltes Frauenleben nur mit Kind geben könne – unter den traditionellen
Frauen halten diese Position 60 % für richtig.
„Die Frauen- und Männertypen sind in Entwicklung. Diese verlief 1992 bis 2002 von
einem traditionellen zu einem modernen Verständnis. In den letzten Jahren erscheint
aber diese Entwicklung – bei Männern mehr als bei Frauen – als verlangsamt. Es
gibt Anzeichen von Zurückhaltung und Skepsis“, fasst Studienautor und
Religionssoziologe em. Univ. Prof. DDr. Paul M. Zulehner die Ergebnisse des ersten
Teils der Studie zusammen.
Frauen und Kirche: Commitment schwindet
Im zweiten Teil steht die Einstellung der vier Frauentypen zur katholischen Kirche im
Fokus der Studie.
Frauen wie Männer sehen ein scharfes Missverhältnis zwischen dem Commitment
von Frauen in der Kirche und ihrem Zugang zur innerkirchlichen Gestaltungsmacht.
Sie erleben diesen Zustand als eine herbe Ungerechtigkeit. Das führt dazu, dass in
den letzten Jahrzehnten viele Frauen das Commitment zur Kirche reduziert haben:
Der Anteil der kirchlichen Frauen hat sich bei den Jüngeren jenem der kirchlichen
Männer auf ganz niedrigem Niveau angeglichen.
Mit 77 % gibt es unter den Frauen in Österreich mehr Mitglieder der katholischen
Kirche als unter den Männern (71 %). Sie überwiegen bei den Kirchgängerinnen
(mehr als doppelt so viele Frauen als Männer gehen regelmäßig zum
Sonntagsgottesdienst), machen mehr als Männer in Gebetsgruppen mit (17 %),
tragen die Initiativen der Caritas (19 %) mit, schließen sich geistlichen
Gemeinschaften (15 %) an und tragen die Aktionen der Kirchengemeinde (28 %).
Zunehmend stellen Frauen Pfarrgemeinderätinnen, machen dort aber häufig die
Schattenarbeit.
Die Tätigkeiten der Frauen in diesen kirchlichen Gremien folgen zu einem größeren
Teil traditionellen Frauenbildern. Frauen machen das Soziale und die Hintergrundsowie
Schattenarbeit, Männer sorgen sich um das Finanzielle und um Baufragen. Die
Hälfte der Befragten (48 %) hielte es für einen Gewinn, würden Frauen
Leitungspositionen übernehmen. Die repräsentative Religionsstudie 2010
unterstreicht den Wunsch: „Es braucht mehr Frauen in der Kirchenleitung.“ Diese
Aussage unterstützen 50 % der Männer und 64 % aller Frauen. Unter den modernen
Frauen sind es sogar 79 %.
Kirche wird Frauen nicht gerecht
39 % der Frauen (37 % der Männer) sind der Ansicht: „Die Kirche wird den Frauen
nicht gerecht.“ (Männer 2002) Und das, obwohl Frauen mehr als Männer das
konkrete Leben der Kirche tragen. Doppelt so viele Frauen (31 %) als Männer (16 %)
stört der Umgang der Kirche mit den Frauen. Dieser Durchschnittswert bei Frauen
wird bei den Frauen unter 30 deutlich überboten (38 %). Unter jenen Frauen, die
wegen der Haltung der Kirche zu den Frauen ausgetreten sind, finden sich mit 77 %
überdurchschnittlich viele „moderne Frauen“.
„Wenn die Kirche weiterhin mehr ‚über‘ die Frauen spricht, statt ‚mit‘ ihnen, wird sie
moderne Frauen zusehends verlieren. Wir brauchen pastorale Angebote, die für
deren Lebenssituationen passen, und müssen die drängenden Fragen nach
Gleichstellung der Frauen in der Kirche endlich ernsthaft angehen“, so Margit Hauft,
Vorsitzende „Katholische Frauenbewegung Österreichs“.
Glaubwürdigkeit der Kirche steht am Spiel
Ein symbolischer Schritt, um das Gefühl der mangelnden Gleichberechtigung zu
mildern, könnte die Zulassung von Frauen zu kirchlichen Ämtern sein. Das würde die
Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche mehren: Das meinen 58 % der Männer und
67 % aller Frauen. Unter den modernen Frauen sind 71 % dieser Ansicht.
„Kirchlicherseits ist Pluralitätskompetenz gefordert. Diese beginnt schon ganz
grundlegend damit, neben der vorrangig familial orientierten auch andere
Lebensformen zu schätzen und zu unterstützen. Ansonsten läuft die Kirche Gefahr,
noch mehr moderne junge Frauen zu verlieren, die sich von ihrer – aus ihrer Sicht
einseitig von traditionellen Männern geleiteten – Kirche diskriminiert fühlen und sich
(und mit ihnen auch ihre Kinder) aus dem kirchlichen Bereich zurückziehen“,
kommentiert Dr.in Petra M. Steinmair-Pösel die Ergebnisse.
„Typisch Frau“ – das Buch zur Studie
Die „Welt der Frau“ hat sich mit der Studienbeauftragung das Ziel gesetzt, die
redaktionelle Tätigkeit der Frauenzeitschrift – entsprechend den wissenschaftlichen
Erkenntnissen zur Lage und Entwicklung von Frauen in Österreich – am Puls der Zeit
auszurichten. Auf dieser tragfähigen Grundlage sollen verstärkt für Gesellschaft und
Kirche brisante aktuelle Fragen diskutiert sowie Meinungen bzw. Antworten dazu
präsentiert werden.
Begleitend zur Studie hat der „Welt der Frau“-Verlag ein Buch mit dem Titel „Typisch
Frau?“ herausgebracht. Darin werden die vier aus der Studie hervorgehenden
Frauentypen anhand von konkreten Frauenbeispielen zum Leben erweckt. Das Buch
ist ab sofort erhältlich über: www.welt-der-frau.at
„Die ‚Welt der Frau‘-Studie belegt eindrücklich, dass wir das Zeitalter weiblicher
Einfalt hinter uns gelassen haben. Die Frauen haben sich aus jeder Bevormundung
gelöst, und sie wünschen sich moderne Männer, die mit ihnen die Vielfalt leben“,
meint abschließend Dr.in Christine Haiden, Chefredakteurin von „Welt der Frau“ und
Studieninitiatorin.
Informationen zu WELT DER FRAU
WELT DER FRAU – Oberösterreichs führendes Frauenmagazin – ist eine
Inspirationsquelle für mehr persönliche Lebensqualität. Ihr christliches Fundament
manifestiert sich durch die unbeugsame Forderung nach Gemeinschaftssinn,
Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit und durch die lustvolle Auseinandersetzung mit
Spiritualität – zuletzt mit einer Auflage rund 57 692 Stück (ÖAK geprüft JS 2010) und
einer Reichweite von 5,2 % Frauen (Basis MA 10/11). Besonderheiten der WELT
DER FRAU sind der hohe Abo-Anteil von 87 % sowie die sehr hohe Reichweite bei
Frauen in ländlichen Regionen Österreichs.
Pressekontakt
Agentur comm•in
Mag.a Andrea Pfennigbauer
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