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klagen - Die Passion Jesu heute 5/3

Eine fünfteilige Serie von Michael Kapeller

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© Foto: Steffen Hellwig / PIXELIO - www.pixelio.de

Kinderwagen auf dem Rynok-Platz in Lemberg. Dicht aneinandergereiht stehen sie da. 108 an der Zahl. In manchen befinden sich Plüschbären, in anderen Babyrasseln. Dieses Mahnmal verweist auf die 108 Kinder, die bis zum 19. März 2022 in diesem Krieg getötet wurden. Davor befindet sich eine Tafel. Die Zahl 8 wurde mit einem Filzstift durchgestrichen. Mittlerweile hatten bereits 109 Kinder ihr Leben verloren. Kateryna Bandschanowa schiebt ihre 11 Monate alte Tochter Solomja über den Platz. Es ist zu dieser Zeit der einzig besetzte Kinderwagen. Sie hält an. Mit tränenerstickter Stimme meint sie mehr zu sich als zur Journalistin: „Mit den Kindern töten sie auch die Zukunft dieses Landes – sein Herz und seine Seele!“

Klagen und weinen

Jesus wird hinausgeführt. Ein zum Tode Verurteilter auf seinem letzten Weg. Gefolgt von einer große Menge Volk, so berichtet es der Evangelist Lukas. Einer, mit Namen Simon von Kyrene, wird herausgegriffen. Ihm wird das Kreuz aufgeladen, damit er es Jesus nachtrage. Unter den vielen Menschen befinden sich Frauen, die klagen und weinen. Jesus wendet sich ihnen zu. Auf ihre Trauer geht er jedoch nicht ein. Vielmehr weist er auf das Unrecht der Kreuzigung hin, wenn er sagt: „Töchter Jerusalems, weint nicht über mich; weint vielmehr über euch und eure Kinder!“ (Lk 23,28)
Eine Reaktion der Frauen ist nicht überliefert. Sie begleiten Jesus weiter auf seinem Leidensweg, harren aus unterm Kreuz und trauern um ihn bei seinem Begräbnis.

Leid ausdrücken

Leid macht sprachlos. Manchmal lässt es verstummen, dann wieder aufschreien, anklagen, weinen. Die Klage hat ihre Zeit und braucht einen Ort. Sie lässt sich nicht abschütteln. Immer wieder drängt sie heran. Sie nimmt das Geschehene nicht einfach hin, ringt mit dem Warum und möchte den Verursacher mit all dem Leid, all dem Schmerz konfrontieren. Wer seine innere Not mit anderen Menschen teilen kann, empfindet Entlastung, oft so etwas wie Trost. Im Gottesdienst war dies bis vor kurzem nicht möglich. Für das Lob, für den Dank, für die Bitte war Platz. Für die Klage fand sich jedoch keine liturgische Form. Das hat sich mittlerweile geändert. Denn die Klage ist tief verankert in der Heiligen Schrift. So können Leidende heute bei Klagegottesdiensten ihre Trauer, ihren Schmerz, ihre Wut Gott hinlegen oder auch hinschleudern und in die Frage von Psalm 13 einstimmen: „Wie lange noch muss ich Sorgen tragen in meiner Seele, Kummer in meinem Herzen Tag für Tag?“ (Ps 13,3)

Aufbegehren, hoffen

Wer klagt, wer anklagt hat sich noch nicht ergeben, hat noch nicht aufgegeben. Klagen fördert nicht Unterwürfigkeit, es wehrt vielmehr billige Antworten und Vertröstungen ab. Denn klagen kann nur, wer darum weiß: Es müsste ganz anders sein. Es müssten Frieden, Gerechtigkeit und Gemeinschaft herrschen und zwar hier und heute und nicht irgendwann später. Jesus hat den Menschen verkündet: Die Nähe Gottes, sein Friedensreich beginnt jetzt. Dies lässt klagen. Dies lässt aber auch hoffen. Betroffen wendet sich Kateryna Bandschanowa vom Mahnmal der 109 Kinderwagen ab. Rasch verlässt sie mit ihrer Tochter den Rynok-Platz. Zu groß ist der Schmerz, die Trauer.

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