Unser Gerais - unser Leben

Beispielprojekt 2022

Ein Kleinbauer aus Aldeia erzählt

Guilherme und Noemit mit ihrer großen Familie (10envolvimento)
Guilherme und Noemi mit ihrer großen Familie (10envolvimento)

"Olá! Mein Name ist Guilherme Ferreira Souza. Ich bin 65 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in der Gegend von Aldeia, wo der Rio Preto und der Rio dos Santos entspringen. Seit meiner Kindheit kenne ich bittere Armut. Wir schliefen auf Schilfmatten am bloßen Erdboden, eng zusammengedrängt, denn wir hatten nichts, um uns in kalten Nächten zu wärmen. Manchmal zog die Mutter den Rock aus, um uns Kinder damit zuzudecken."

Guilherme und seine Frau Noemi (10envolvimento)
Guilherme und seine Frau Noemi (10envolvimento)

Sehr früh begann Guilherme, bei der Arbeit am Feld zu helfen, Früchte im Busch zu ernten, die Fasern der Tucum-Pflanze zu ziehen, um daraus Seile zu flechten. Eines Tages heiratete erNoemi Guedes Leite aus dem Nachbardorf Cacimbinha. Auch sie stammt aus einer sehr armen Familie. Gott hat ihnen 13 Kinder geschenkt. Die älteren Kinder sind schon erwachsen, ihr jüngster Sohn Josiel ist fünf. Sie mussten sich sehr anstrengen, um die Kinder durchzubringen. Oft fehlte es am nötigsten: Essen, Gewand, Medikamente.

Donna Noemi beim Trocknen des Mandiokmehls, einem Hauptnahrungsmittel. (10envolvimento)
Donna Noemi beim Trocknen des Mandiokmehls, einem Hauptnahrungsmittel. (10envolvimento)

Als Kleinbauern pflanzen sie Mandiok, Reis, Bohnen, Süßkartoffel, Bananen. Sie züchten Hühner und heute auch eine kleine Rinderherde. Über viele Jahre musste Guilherme immer wieder auf Fazendas anheuern, um wenigstens etwas Geld für Kleidung, Salz, Medikamente und Petroleum zu verdienen. Seine erste größere Anschaffung war ein Esel, der ihm das Leben sehr erleichtert hat. Denn es sind immerhin 90 Kilometer nach Dianópolis, wo er einkaufte und dann alles am Buckel heimschleppte.

Bewaffnete Wächter setzen den Kleinbauern zu. (10envolvimento)
Bewaffnete Wächter setzen den Kleinbauern zu. (10envolvimento)

Vor einigen Jahren begann die Nachbar-Fazenda „Estrondo“ sie zu schikanieren. Erst wurden Bewachungs-Posten eingesetzt, die die Familie ständig kontrollierten. Dann errichteten sie Abzäunungen quer durch das Land mehrerer Kleinbauern. Schließlich schoßen die Wachen und einer der jungen Männer hat dies nur deshalb überlebt, weil Gott seine Hand über ihn gehalten hat. Sie haben sich aber nicht kleinkriegen lassen und haben entschlossene Unterstützung gefunden von der Organisation 10envolvimento und jener Anwälte, die 10envolvimento vermittelt hat.

Dass dies nur möglich war und ist, weil gute Menschen in Österreich die Arbeit von 10envolvimento unterstützen, das wissen wir. Und wir sind sehr dankbar dafür! Leben Sie wohl, mit Gottes Hilfe!

Der Cerrado

Alle Welt sorgt sich – mit Fug und Recht – um die fortschreitende Abholzung der Regenwälder im Amazonas-Gebiet. Dagegen werden die unmäßigen Rodungen im zentral-brasilianischen Savannen-Gebiet „Cerrado“ – von den Einheimischen auch „Gerais“ genannt – wenig beachtet.

Als Cerrado bezeichnet man die Savannen im Inland Brasiliens, die im Westen und Süden bis nach Bolivien und Paraguay reichen. Mit einer Fläche von fast zwei Millionen Quadratkilometern ist das Gebiet etwa so groß wie Mexiko. Der Cerrado ist charakterisiert sich durch ein tropisches Wechselklima mit zwei deutlich getrennten Jahreszeiten.

Wasserreicher Cerrado (10envolvimento)
Wasserreicher Cerrado (10envolvimento)

Die Biodiversität des Cerrado ist einzigartig und das Gebiet gehört zu den wichtigsten Wasserressourcen Südamerikas.

Seit rund 50 Jahren wird dieser ungemein artenreiche Lebensraum dem agroindustriellen Anbau diverser Mono-Kulturen (besonders Soja, Baumwolle, Mais, Eukalyptus, Zuckerrohr) geopfert. Die brasilianischen Agrarexporte brechen jährlich Rekorde. Der Großteil dieser Produkte wird heute im Cerrado geerntet.

Die ökologischen Folgen sind dramatisch. Die Vielfalt des Naturraums Cerrado muss „grünen Wüsten“ weichen, in denen nur überleben darf, was in großen Mengen geerntet und vermarktet werden kann. Viele Tier- und Pflanzenarten verschwinden, manche werden buchstäblich ausgerottet. Ausgedehnte Landstriche sind vom intensiven Anbau ausgelaugt. Der natürliche Wasserkreislauf ist gestört, weil die nackten Agrarflächen viel weniger Regenwasser aufnehmen als die natürlich bewachsene Steppe. Quellen, Bäche und Flüsse versiegen, Agrargifte verderben das Wasser. Wind- und Wettererosionen verwandeln ausgedehnte Flächen in leblose Wüsten.

Die Erde klagt im Chor mit den Armen, wie Papst Franziskus in Laudato Si, 49, schreibt. Denn der Verlust des Naturraums Cerrado bedeutet auch den Verlust des Lebensraums „Gerais“ für jene Menschen, die als „Geraizeiros“ seit Generationen in diesen Weiten leben, in harmonischem Gleichklang mit Fauna, Flora, Wasser und Erde des Cerrado. In der Regel haben sie sich an den Fluß- und Bachläufen angesiedelt. Sie pflanzen, was sie zur Subsistenz brauchen. In den weiten Ausläufen des Cerrado weiden sie ihre kleinen Viehherden, die ihnen ein bescheidenes, wenngleich sicheres Einkommen erlauben. Im Busch werden Früchte und Heilmittel gesammelt, in den Flüssen und Bächen gefischt. Die unterschiedliche Herkunft (indianisch, afrikanisch, europäisch), die einfache Lebensweise, die Abgeschiedenheit in der Weite des „Gerais“ und die Naturverbundenheit prägen die Alltagskultur dieses Menschenschlags.

10envolvimento

Unterstützung für die Rechte der Kleinbauern und Schutz des Naturraumes

Die Arbeit von 10envolvimento gestaltet sich schwierig: lange Wege, schwierige Passagen (10envolvimento)
Die Arbeit von 10envolvimento gestaltet sich schwierig: lange Wege, schwierige Passagen (10envolvimento)

Die Entwicklungs-NGO 10envolvimento, welche im Jahr 2004 vom austro-brasiliansichen Bischof Dom Ricardo Weberberger OSB (+2010) gegründet worden ist, ist im westlichsten Teil des brasilianischen Bundesstaates Bahia aktiv. Hier hat sich eine besonders dynamische, ökologisch schädliche und sozial ungerechte Agrarfront installiert.

Mehr als die Hälfte des natürlichen Pflanzenwuchses musste bereits dem Anbau von Monokulturen weichen; Jahr um Jahr werden weitere 100.000 Hektar der Cerrado-Vegetation gerodet. Viele im Cerrado verwurzelte Familien wurden in den letzten drei Jahrzehnten von den neuen Farm-Herren vertrieben. Andere kapitulierten aus wirtschaftlicher Not, nachdem sie den Viehauslauf an den großflächigen Exportgüter-Anbau verloren hatten.

Heute boomt die Großagrarwirtschaft: Soja, Mais, Reis erzielen bessere Preise denn je, der Anbau von grüner Energie zur Agrosprit-Erzeugung (aus Zuckerrohr und verschiedenen Ölsaat-Kulturen) wird in großem Stil gefördert. Damit wurden die Boden-Preise angeheizt, Spekulation und Besitztitel-Fälschungen sind en vouge. Neuerlich sind die verbliebenen Geraizeiro-Gemeinschaften schlimm betroffen. Landkäufer (häufig ausländischer Provenienz) setzen zur Bedingung, dass das zum Kauf angebotene Land unbewohnt ist. Großfarmer, die nicht mehr über die gesetzlich vorgeschriebenen 20% an naturbelassener Fläche verfügen (der Vorweis dessen gilt als Bedingung für Bank-Kredite), nehmen jenes Land in Beschlag, das die alten Geraizeiro-Gemeinschaften (die zwar keine Besitz-Titel, aber ersessene Rechte haben) besiedeln und zu schützen wussten. Zunächst werden sie gegen eine Entschädigungszahlung zur Absiedelung angehalten; steigen sie darauf nicht ein, setzen Drohungen und häufig Gewalt-Anwendung ein.

Versammlung mit Kleinbauern (10envolvimento)
Versammlung mit Kleinbauern (10envolvimento)

10envolvimento unterstützt die bedrohten Gemeinschaften von Geraizeiros in ihrem Widerstand gegen Landraub und Naturzerstörung. Damit exponiert sich die Agentur, denn seitens der Großgrundbesitzer steht viel Geld und Macht am Spiel. 10envolvimento trachtet aber auch, die Kultur und das tradierte Wissen der Geraizeiro-Gemeinschaften zu dokumentieren und vorzustellen, um Sympathie und gesellschaftlichen Rückhalt für diese an den Rand gedrängte Bevölkerungsgruppe zu wecken.