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Internetredaktion der Diözese Gurk

Was ist Wahrheit? - Wer ist Wahrheit?

Ein geistlicher Impuls von Ordinariatskanzler Jakob Ibounig für die Karwoche

Jesus steht vor Pilatus. Und Pilatus sagt am Ende: „Was ist Wahrheit?“ Darauf aber gibt Jesus keine Antwort. Weil Er selbst die Wahrheit ist. Jesus verkündet nicht die Wahrheit, sondern in Seiner Person steht sie vor dem Menschen. Nicht Jesus muss antworten, sondern vor Ihm, vor Jesus, muss jeder einzelne die Antwort geben. Pilatus gibt sie auf seine Weise, indem er sich abwendet und indem er einfach die Frage nach Schuld oder Unschuld, die Frage nach der Wahrheit weiter gibt an die Menge. Die Menge soll entscheiden, dann ist er die Verantwortung los.

Antwort geben auf die Wahrheit Gottes

Davor stehen auch wir, gerade wenn es um den Glauben an Jesus Christus geht. Steht in Jesus Christus die Wahrheit Gottes vor mir? Ich müsste darauf antworten und die Antwort hat Folgen auf jeden Fall. Aber ich delegiere die Antwort. Ich schließe mich einfach der Mehrheit an, wie Pilatus. Ich sage einfach, was alle - oder fast alle – sagen, eben die, die am lautesten sind und sich überall durchsetzen. Es ist ja immer besser mit der Masse und ihren Wortführern zu irren als gegen sie Recht zu haben. Der Klügere gibt nach. So wird von den Christen erwartet, dass sie mit der Menge und mit der Zeit gehen, dass sie auf die „Höhe der Zeit“ kommen.

Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld - Darstellung auf der 1. Station des Kreuzweges in der Klagenfurter Chistkönigskirche (Foto: Internetredaktion / fotogard)
Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld - Darstellung auf der 1. Station des Kreuzweges in der Klagenfurter Chistkönigskirche (Foto: Internetredaktion / fotogard)

Das Wasser des Vergessens und das Gedächtnis Gottes

Die erste Kreuzwegstation zeigt, wie Jesus das Todesurteil entgegennimmt und wie Pilatus sich die Hände wäscht. Er lässt Wasser über seine Hände rinnen. Er ist der festen Meinung, dass die Wasser der Geschichte über diese ganze Episode hinweg fließen werden, dass der Bach der Geschichte weiterfließen wird und diesen Einen, vielleicht unschuldig zum Tode Verurteilten wegspülen wird in das Vergessen. So wie viele vor Ihm und nach Ihm vergessen sind. Die Opfer der Geschichte. Aber der Mann hat sich getäuscht. Dieser Eine wird doch nicht vergessen sein. Und mit Ihm auch nicht die vielen anderen. Auch wenn kein Mensch mehr an sie denkt, durch Jesus Christus stehen sie im Gedächtnis Gottes. Sie sind nicht versenkt in den Schlamm der Jahrhunderte, sondern Gott kennt ihr Gesicht, kennt ihre Namen, kennt ihre Qual. Wenn wir Gott gerecht nennen und wenn Christus der Gekreuzigte und Auferstandene wieder kommen wird „zu richten die Lebenden und die Toten“, dann ist genau das gemeint: Über die Opfer der Menschengeschichte wird doch nicht das Wasser des Vergessens hinwegrinnen, wie das Wasser über die Hände des Pilatus.