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verlassen - Die Passion Jesu heute 5/4

Eine fünfteilige Serie von Michael Kapeller

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© Foto: Petra Bork / PIXELIO www.pixelio.de

Marik Goncharuk klettert in einen Van. Erleichtert lässt er sich in den Sitz fallen. Gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei Schwestern wird er zur polnischen Grenze gefahren. Ein fremder Mann nimmt sie mit. Das Wetter ist noch kalt, unwirtlich. Der Weg war lange und beschwerlich. Noch vor drei Stunden waren sie in Kiew. Die Sirenen, die Detonationen, die Gewalt, den Krieg haben sie hinter sich gelassen. Die Angst aber begleitet sie weiter. Fassungslos blicken sie auf die letzten Tage zurück. Vor ihnen liegt eine ungewisse Zukunft in einem Land, das sie nicht kennen und unter Menschen, deren Sprache sie nicht sprechen. Jetzt müssen sie es alleine schaffen, denn einer fehlt. „Wir haben Papa in Kiew zurückgelassen“, berichtet Marik und wischt sich verstohlen eine Träne von der Wange.

Jesus stirbt am Kreuz

Sie bringen Jesus nach Golgota, zur Schädelhöhe. Dort kreuzigen sie ihn. Zwei Räuber werden mit ihm gekreuzigt. Vorbeikommende schütteln den Kopf, verhöhnen ihn: „Rette dich selbst und steig herab vom Kreuz!“ (Mk 15,30) Die beiden Räuber stimmen mit ein. Jemanden festnageln, auf jemanden treten, der bereits am Boden liegt – statt Mitgefühl, Ablehnung und Hohn. Dunkle Abgründe tun sich hier auf. Der Evangelist Markus bringt dieses Geschehen ins Bild: von der sechsten bis zur neunten Stunde bricht Finsternis über das ganze Land. Jesus hängt am Kreuz: ausgesetzt, alleine, im Todeskampf. All die Not und Verzweiflung schreit er aus sich heraus:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34)
Nochmals schreit Jesus auf und haucht seinen Geist aus.

Gefangen im Nichts

Von Gott und der Welt verlassen sein. Sich nach Gemeinschaft, Nähe und Geborgenheit sehnen und doch niemanden haben, der da ist, der zuhört, der versteht. Einsamkeit schließt ein und sperrt aus. Das Alleine-sein kann man lernen, muss man wohl auch, um als Mensch selbständig und erwachsen zu werden. Einsam-sein widerspricht aber der Konstitution des Menschen als soziales Wesen. Dabei zeigt sich hier nicht nur menschliche Not. Auch im geistlichen Leben gibt es dies: Gott als nahe erfahren wollen und doch nur Leere empfinden. Selbst Jesus, der Sohn Gottes, ringt in seiner Verzweiflung um Halt. Im Garten von Getsemani, wenn ihn Angst überfällt und er zu Tode betrübt ist und mehr noch in seiner Todesstunde am Kreuz.

An Gott festhalten

Wir dürfen aber davon ausgehen: Jesus hat am Kreuz nicht nur seine Ohnmacht aus sich herausgeschrien. Mit den Worten „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, hat er auch in den Psalm 22 eingestimmt. Dort konfrontiert der Beter Gott schonungslos mit seiner Not. Er lässt aber nicht ab von ihm, sei seine Lage noch so aussichtslos. Er begründet dies Gott gegenüber mit der Erfahrung, die das Volk Israel im Laufe der Zeit mit ihm gemacht hat:
„Dir haben unsere Väter vertraut, sie haben vertraut und du hast sie gerettet.“ (Ps 22,5)

Das lässt hoffen, trotz aller Bedrängnis und Ausweglosigkeit. Hoffen auch für Marik und die vielen Kinder und Frauen, die sich ohne ihre Väter und Ehemänner auf die Flucht machen mussten. Irgendwann, hoffentlich bald, werden sie einander wieder in die Arme schließen.

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