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Freude über Nobelpreis für Peter Handke in Österreichs Kirche

Emeritierter Bischof Kapellari: "Gratuliere aus Graz dem Kärntner aus Griffen" - Wiener Theologe Tück: Ehrung jenseits einer überzogenen political correctness "mehr als verdient"

Wien, 10.10.2019 (KAP) "Über den Literaturnobelpreis 2019 freuen sich gewiss viele in Österreich, darunter auch ich": Mit diesen Worten hat der emeritierte Grazer Bischof und Literaturkenner Egon Kapellari auf die wichtigste Literatur-Auszeichnung für den 76-jährigen Kärntner Schriftsteller Peter Handke reagiert. Seine "Verbundenheit mit ihm in Nähe und Distanz" reiche zurück in die Zeit von 1982 bis 2001 als Kärntner Diözesanbischof, erinnerte der selbst als vielfacher Buchautor erfolgreiche Kapellari, der 2012 auch bei einem Symposion über die religiöse Dimension im Werk Peter Handkes den Festvortrag hielt.

In seiner Stellungnahme gegenüber "Kathpress" am Donnerstag hielt der kulturversierte Bischof freilich fest, Handke sei "von niemandem und schon gar nicht von der katholischen Kirche zu vereinnahmen". Kapellari beendete seine Würdigung mit den Worten: "Ich gratuliere aus Graz dem Kärntner aus Griffen in Chaville bei Paris."

Peter Handke im Stift Griffen (Foto: Vincenc Gotthardt)
Peter Handke in Griffen (Foto: Vincenc Gotthardt)

Katholische Sozialisation und Gottesfrage

Freude über die Auszeichnung des Nobelpreiskomitees an Handke äußerte auch der Veranstalter des genannten interdisziplinären Symposions von 2012 an der Wiener Universität, der Dogmatikprofessor Jan-Heiner Tück, im Interview mit "Kathpress". Die Ehrung sei "mehr als verdient" und sei jenseits einer überzogenen political correctness der literarischen Qualität des Schriftstellers geschuldet, nahm Tück Bezug auf die umstrittene Haltung Handkes zur serbischen Politik im Gefolge des Ex-Jugoslawien-Krieges. Das Oeuvre Handkes sei zutiefst von dessen katholischer Sozialisation geprägt, es fänden sich in den Romanen und Stücken zahlreiche biblische und auch liturgische Anspielungen und Verfremdungen. Schon im Schauspiel "Publikumsbeschimpfung" von 1966 lautet Handkes Anweisung an die Darsteller, sich bei der Aufführung an katholischen Litaneien zu orientieren.

"Wer versucht zu glauben, dem hat Handke einiges zu sagen, erinnerte Tück als Beispiel an einen Satz des Poeten, der einen Kontrapunkt zur heute oft allzu auf Anklage und Leid ausgerichtete Gottesrede setze: "Warum bist DU nicht da?", lautet nach den Worten Handkes die Frage Gottes in ihm.

Der Wiener Theologe würdigte auch den detailgenauen, langsamen Erzählstil Handkes, der ein "Meister der Wirklichkeitswahrnehmung" sei und damit auch in wohltuendem Kontrast zu den Beschleunigungsmechanismen der Moderne stehe. Und Handke zeige immer wieder eine besondere Aufmerksamkeit für die Kleinen und Marginalisierten, etwa in seinem großartigen Porträt seiner Mutter in "Wunschloses Unglück" oder neueren Datums in seinem Stück "Immer noch Sturm". Sein Wunsch darin, "aus Totenköpfen Antlitze" werden zu lassen, erinnere an die Vision des Propheten Ezechiel im Alten Testament, in der sich Knochen wieder mit Sehnen, Fleisch und Haut überziehen.

Gerade der "späte Handke" zeige eine Haltung der Sammlung, der Dankbarkeit und einer Freude, die das Leid nicht ausblendet, so Tück. Er selbst habe den Literaten als "hochgradig sensibel und auch irritabel" kennengelernt. Handke beherrsche die "Kunst der Sprachverdichtung wie kaum ein anderer", Tück finde es "großartig", dass dies nun mit dem Nobelpreis gewürdigt wird.

Handke ist "auf offene Weise religiös"

Auf die "offene Weise" Peter Handkes, religiös zu sein, hat am Donnerstag auch einer der besten Handke-Kenner in Österreich, der Grazer Theologe Harald Baloch, aufmerksam gemacht. Im Gespräch mit "Kathpress" erwähnte der frühere Bildungsreferent der Katholischen Hochschulgemeinde und Verfasser einer Dissertation über "Religion und Ritus in Werken Peter Handkes" eine Neuausrichtung, die der neue Literaturnobelpreisträger in den 1970er-Jahren in seinem Schaffen vornahm: Von seiner frühen Kritik an Sprache - auch der kirchlich-liturgischen - als Einengung von Individualität sei Handke dazu übergegangen, Literatur als Möglichkeit zu sehen, Glückserfahrungen "wie in einem Tabernakel" bleibend zu bewahren. Und die Liturgie bot die geeignete "Form" dafür, so Baloch im Blick auf das Werk Handkes.

"Offen religiös" sei der Literat in dem Sinne, dass er eine rein materialistische Sichtweise der Wirklichkeit als Tod der Phantasie sehe. Schon 1976 finde sich in seinen Tagebüchern die Notiz, dass das Warten auf die Ankunft oder das Ausbleiben eines Gottes von der "Fixierung auf das Gegebene" befreit.

Harald Baloch hält am 22. Oktober um 19 Uhr im Grazer Universitätszentrum Theologie (Hörsaal 47.02) einen Gastvortrag mit dem Titel "Verwandlung und Bergung der Dinge in Gefahr. Peter Handke und die Liturgie". Dazu eingeladen hatte noch vor der Entscheidung des Nobelpreiskomitees das Grazer Institut für Systematische Theologie und Liturgiewissenschaft.

Auch Polin Olga Tokarczuk ausgezeichnet

Neben Peter Handke für 2019 erhält auch die Polin Olga Tokarczuk den Literaturnobelpreis, sie für das Jahr 2018. Erstmals seit Jahrzehnten hat die Schwedische Akademie, deren Mitglieder die Auszeichnung vergeben, damit gleich zwei Literaturnobelpreisträger bekanntgeben. 2018 war das Gremium durch eine Affäre um Indiskretionen, sexuelle Übergriffe und Veruntreuung handlungsunfähig und hatte keinen Preisträger ermittelt.

Die aktuell mit umgerechnet rund 828.000 Euro dotierte Auszeichnung gilt als der weltweit bedeutendste Preis für Literatur. Die Nobelpreise werden am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, in Stockholm überreicht.