Europa braucht ein neues Selbstbewusstsein
Die ehemalige österreichische Europa- und Außenministerin Ursula Plassnig hielt Eröffnungsvortrag bei KAVÖ-Tagung in Tainach/Tinje
Bei der Internationalen Sommertagung des KAVÖ im Bildungshaus Sodalitas in Tainach/Tinje sprach die frühere Diplomatin und ehemalige österreichische Europa- und Außenministerin Dr.in Ursula Plassnig am 21. August 2025 über die Zukunft Europas. In ihrem Vortrag betonte sie, dass Europa Verantwortung übernehmen, seine Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit stärken und Demokratie aktiv leben müsse. Ihr Appell: Freiheit und Wohlstand sind keine Selbstverständlichkeiten – sie müssen geschützt und weiterentwickelt werden.
Europa ist kein fertiges Projekt
Plassnig machte zu Beginn deutlich, dass Europa kein starres Gebilde ist, sondern von jeder Generation neu gestaltet werden muss. Sie erinnerte an Jean Monnets Satz, dass die Union aus der „Solidarität der Fakten“ entstehe. Damit sei gemeint, dass Zusammenhalt nicht von selbst existiere, sondern immer wieder durch gemeinsames Handeln geschaffen werde. Neutralität oder historische Errungenschaften dürften nicht als Vorwand dienen, sich dieser Verantwortung zu entziehen.
Krieg als Realität in Europas Nachbarschaft
Besonders eindringlich sprach Plassnig über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Sie erinnerte daran, dass die Ukraine von Wien aus näher sei als Vorarlberg und damit keine ferne Krisenregion, sondern unmittelbarer Nachbar. Der Glaube an einen endgültigen Frieden in Europa habe sich als Illusion erwiesen. Frieden sei stets relativ und müsse immer wieder neu gesichert werden. Gerade deshalb gehöre es, so Plassnig, zur „Seele Europas“, einander in der Not beizustehen und Solidarität zu leben.
Sicherheit durch Eigenverantwortung
Ein Schwerpunkt ihres Vortrags lag auf der Sicherheitspolitik. Plassnig betonte, dass sich Europa nicht länger auf die jahrzehntelange Schutzgarantie der USA verlassen könne. Die Vorstellung, Wohlstand ohne Investitionen in die eigene Verteidigungsfähigkeit zu genießen, sei eine gefährliche Illusion. Europa müsse lernen, seine Sicherheit selbst zu gewährleisten. Das erfordere Investitionen in gemeinsame Verteidigungsstrukturen und die Bereitschaft, Eigenverantwortung zu übernehmen. „Solidarität ist keine Einbahnstraße“, sagte sie, „man kann nur erwarten, was man selbst bereit ist zu geben.“
Wirtschaftliche Stärke als Zukunftsfrage
Neben der Sicherheitspolitik stellte Plassnig die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europas als zweite große Herausforderung heraus. Obwohl die EU mit ihren rund 450 Millionen Menschen größer sei als die USA, verliere sie im globalen Vergleich zunehmend an Stärke. Investitionen in Zukunftstechnologien seien ebenso notwendig wie eine funktionierende Kapitalmarktunion. Auch der Binnenmarkt mit seinen vier Grundfreiheiten müsse gestärkt und dürfe nicht durch nationale Sonderinteressen geschwächt werden. „Wir dürfen nicht zulassen, dass andere über unser Schicksal bestimmen“, sagte Plassnig. „Unsere Zukunft müssen wir selbst gestalten.“
Demokratie braucht Mitwirkung
Aus ihrer eigenen Erfahrung schilderte Plassnig, wie anstrengend europäische Entscheidungsprozesse sein können. Nächtelange Verhandlungen in Brüssel, mühsame Kompromisse und endlose Diskussionen seien manchmal schwer zu ertragen – und doch sei genau das die Grundlage des europäischen Erfolgs. Europa sei und bleibe ein Friedensprojekt. Demokratie sei allerdings kein Zuschauersport, sondern lebe von aktiver Mitwirkung. Auch schwierige Fragen wie die Finanzierung des EU-Budgets müssten offen angesprochen werden, weil sie die Handlungsfähigkeit der Union entscheidend beeinflussen.
Freiheit und Wohlstand sind keine Selbstverständlichkeiten
Zum Schluss ihres Vortrags zog Ursula Plassnig ein klares Fazit: Freiheit und Wohlstand seien kein Geschenk, sondern müssten geschützt, verteidigt und weiterentwickelt werden. Europa brauche ein neues Selbstbewusstsein, das nicht auf Wunschdenken beruhe, sondern auf Tatkraft, Solidarität und Verantwortungsbereitschaft. Jeder einzelne Europäer sei gefordert, seinen Beitrag zu leisten, damit das „Meisterwerk Europa“ gelingen könne. Mit einem Zitat der Schriftstellerin Marguerite Yourcenar schloss Plassnig ihren Vortrag: „Tout bonheur est un chef-d'œuvre – alles Glück ist ein Meisterwerk.“ Damit machte sie deutlich, dass auch das europäische Projekt nur durch gemeinsame Anstrengung, bewusste Entscheidungen und gelebte Verantwortung Bestand haben kann.
Traditionsreiche KAVÖ-Sommertagung in Tainach/Tinje
Die jährlich im Bildungshaus Sodalitas in Tainach/Tinje stattfindende Internationale Sommertagung wurde vom Hausherr Rektor Josef Kopeinig eröffnet. Auch der Vorsitzendes des Katholischen Akadmikerverbandes Mag. Wilfried Hude begrüßte die Teilnehmenden. Die Veranstaltung wurde von Marc Germeshausen MSc, Vorstandsmitglied des KAV-Kärnten moderiert.