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Kennen Sie den Weg nach Galiläa?

Ostern im dritten Jahr der Bibel - von Klaus Einspieler

Heuer wird den Gläubigen in der Osternacht das älteste der vier Evangelien zu Gehör gebracht. Es hält für jene, die aufmerksam hinhören, einige interessante Details bereit. Das beginnt damit, dass uns im Gottesdienst der letzte Satz des Evangeliums vorenthalten wird. Dabei wäre er von großer Bedeutung. Immerhin war er um das Jahr 70, als Markus sein Werk abgeschlossen hat, das Schlusswort des Evangeliums. In der Osternacht wollte man ihn dem Volk offenbar nicht zumuten.

Grab mit Rollstein im Jesus Village in Nazaret (Foto: Klaus Einspieler)
Grab mit Rollstein im Jesus Village in Nazaret (Foto: Klaus Einspieler)

Ostern – eine verstörende Erfahrung

Doch nun der Reihe nach. Drei Frauen gehen am ersten Tag der Woche (am Sonntagmorgen beim Aufgang der Sonne) zum Grab Jesu, um den Leichnam zu salben. Ein junger Mann, weiß bekleidet, teilt ihnen mit, dass der Gekreuzigte, den sie suchen, auferstanden ist. Dann schickt er sie mit folgender Botschaft zu den Jüngern: „Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat“ (Mk 16,7). Der Auferstandene erscheint also weder den Frauen, noch einem Jünger. Denn der Evangelist Markus erzählt im anschließenden letzten Satz nur noch von der Reaktion der Frauen: „Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon; denn sie fürchteten sich“ (Mk 16,8). Damit war das Markusevangelium ursprünglich zu Ende. Es lässt also eine im ersten Augenblick etwas ratlose Hörerschaft zurück. Warum berichtet Markus nicht, wie die Jünger Jesus begegnet sind? Wie hat sich die Auferstehungsbotschaft verbreitet, da doch die ersten Zeuginnen geschwiegen haben? Und: Wo bleibt die Freude angesichts dieser guten Nachricht, dass Unrecht und Tod wenigstens in diesem Fall nicht das Sagen haben?

Ostern – nichts bleibt beim Alten

Markus lässt uns mit der ganzen Wucht der Auferstehungsbotschaft zurück. Erzählt wird etwas nie Dagewesenes, das jede menschliche Vorstellungskraft übersteigt. Die Gesetze von Werden und Vergehen scheinen aufgehoben zu sein. Der Tod als Schlusspunkt unseres Daseins hat seine End-Gültigkeit verloren. Im gähnenden Dunkel des Grabes, dem Ort der Gottesferne schlechthin, strahlt die Lebensfülle Gottes auf! Der endliche, mit Schuld behaftete, hinfällige und in seinem Dasein gebrochene Mensch begegnet Gott, der ganz anders ist: heil, voll Leben – ja, um ihn wirklich zu beschreiben, fehlen uns ein Stück weit die Worte. Die Botschaft des Engels führt den Frauen auf erschreckende Art vor Augen, wie groß der Unterschied zwischen Gott und Mensch ist. Noch verstörender aber ist, dass diese Wirklichkeit nun unser Leben auf den Kopf stellen wird. Sie reagieren also wie die großen Gestalten der Bibel, beginnend mit Abraham. Als sie der Größe Gottes gewahr werden, befällt sie tiefes Erschrecken. Sie fürchten sich, weil sie dem Feuer der Heiligkeit Gottes nahe gekommen sind. Wie einst Mose vor dem Dornbusch wenden sie sich ab. Eine große Veränderung bricht sich die Bahn. Obwohl sie zum Guten führt, macht sie uns Angst. Denn es wird nichts beim Alten bleiben. Schade, dass man es nicht gewagt hat, dem frommen Hörer, der frommen Hörerin im Ostergottesdienst die Wucht dieser Botschaft zuzumuten. Zum Glauben gehört nämlich auch das Aushalten von Fragen. Das gilt im Besonderen für die Botschaft von der Auferstehung Jesu.

Wo ist Galiläa?

Nun sind wir also mit den Frauen geflohen. Der Auferstandene wird nicht erscheinen, denn das letzte Blatt des Evangeliums ist (noch) leer. Doch war da nicht der Hinweis, nach Galiläa zu gehen? Wo aber liegt dieses Galiläa? Wo ist der Wegweiser, der uns dorthin führt? – Im Gegensatz zu Matthäus und Lukas finden wir am Beginn des Markusevangeliums keine Erzählungen von der Kindheit Jesu. Kurz und knapp berichtet der Schreiber vom Auftreten Johannes des Täufers, der Taufe Jesu und seiner Versuchung in der Wüste, um dann mit folgenden Worten das Wirken Jesu einzuleiten: „Nachdem Johannes der Täufer ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt. Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,14-15). Danach erzählt der Evangelist von den Taten und Worten Jesu. Alles hat also in Galiläa seinen Anfang genommen. Hier haben die Menschen die Botschaft vom Reich Gottes durch Worte und Wundertaten zuerst erfahren. Doch selbst für die Jünger Jesu blieb in dieser Zeit vieles rätselhaft (siehe etwa Mk 8,14-21). Sie konnten nicht wirklich glauben. Am Karfreitag haben sie Jesus allein gelassen. Auch das Kreuz konnten sie nicht verstehen. Nun haben sie die Botschaft von der Auferstehung gehört. Mit dieser Perspektive – dem Tod und der Auferstehung Jesu – sollen sie nun nach Galiläa gehen – dorthin, wo alles begonnen hat. Sie sollen sich daran erinnern, davon erzählen. Nun werden sie verstehen. Die Begebenheiten in Jerusalem werden ihnen die Augen öffnen. Für den Leser, die Leserin des Markusevangeliums aber ist Galiläa das Evangelium selbst. Geht nach Galiläa heißt für uns: Lest das Evangelium ein zweites, drittes Mal. Beim ersten Lesen seid ihr dem historischen Jesus begegnet. Nun lasst euch vom Auferstandenen an der Hand nehmen und im Osterlicht noch einmal durch das Evangelium führen. Lest es aus dieser Perspektive! Dann wird die Erzählung von der Berufung der ersten Jünger eine Ostergeschichte, weil hier Menschen zu ihrer eigentlichen Bestimmung gekommen sind und ihnen die Kraft geschenkt wird, ihren Alltag zurückzulassen. Im nächtlichen Gang Jesu über das dunkle, tobende Wasser des Sees, werden wir den Auferstandenen erkennen, für den das Chaoswasser des Todes zum festen Boden geworden ist. Wir werden verstehen, was es heißt, loszulassen, um das Leben zu gewinnen, weil uns der Gekreuzigte und Auferstandene zum Vorbild geworden ist. Der Auferstandene erscheint im Markusevangelium also nicht. – Oder doch? Ist nicht das gesamte Evangelium ein Begegnungsort mit IHM? Ostern ist für Markus dort, wo sich Menschen in das Evangelium Jesu Christi vertiefen, lesen, sich erinnern und erzählen. Dort findet Begegnung mit dem Auferstandenen statt, dort wird der Leser, die Leserin zum Leben geführt und verwandelt.

Gott in seinem Wort begegnen

Woher aber hatte Markus diese erstaunliche Einsicht? – Es ist wohl naheliegend, dass er sie der Bibel, dem Alten Testament entnommen hat. Das letzte der Fünf Bücher des Mose erzählt an seinem Ende vom Tod des großen Propheten. Damit endet die Tora, der zentrale Teil des Alten Testaments. Nun stellt sich die Frage, wie man ab sofort mit Mose und damit seiner Botschaft in Verbindung bleiben kann. An dieser Stelle wird der Text rätselhaft. Zunächst erzählt er vom Begräbnis des Mose: „Man begrub ihn im Tal, in Moab, gegenüber Bet-Pegor“ (Dtn 34,6). Sein Grab müsste also zu finden sein. Doch genau das wird im nächsten Satz verneint: „Bis heute kennt niemand sein Grab“ (Dtn 34,6). Offensichtlich sollten jene, die Mose suchen, nicht nach seiner Grabstätte Ausschau halten. Dort würden sie ohnehin nur die tote Vergangenheit finden. Den lebendigen Mose aber wird jener finden, der die Buchrolle an die vierzig Meter zurückdreht und sie mit den Worten „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde …“ von Neuem zu lesen beginnt. Denn Gott schenkt sich uns im Wort.

Auf, nach Galiläa!

Wie schwer die Sichtweise des ursprünglichen Markusevangeliums auszuhalten war, zeigt uns seine Wirkungsgeschichte. Matthäus hat sich in vielen Belangen an die Ostererzählung seines älteren Bruders Markus gehalten. Er kannte den Text. Zur Furcht der Frauen gesellt sich bei ihm jedoch auch große Freude. Zudem erscheint der Auferstandene auch selbst den Frauen. Für ihn ist die Sendung der Jünger nach Galiläa nur noch der Ausgangspunkt für etwas viel Umfassenderes – die Aussendung zu allen Völkern, bis ans Ende der Welt. Der Text atmet bereits die Erfahrung von zwei christlichen Generationen. Die Botschaft hat ihren Weg zu den Menschen gefunden. Der Auferstandenen ist der Gott-mit-uns bis ans Ende der Zeit.

Und auch am Markusevangelium selbst wurde noch einmal Hand angelegt. Im zweiten Jahrhundert hat man nämlich einen weiteren, letzten Abschnitt angefügt. Er erzählt nun auch davon, wie der Auferstandene einer Reihe von Menschen erschienen ist, in den Himmel zur Rechten Gottes aufgenommen wurde und seinen Jüngern beigestanden ist, sein Evangelium der ganzen Schöpfung zu verkünden. Auch dies ist eine wichtige Erfahrung von Ostern. Am Anfang aber war die Sprachlosigkeit. In Galiläa, im Evangelium Jesu, haben die Jüngerinnen und Jünger Worte gefunden, um ihre Erfahrungen am leeren Grab in Worte zu kleiden und davon zu erzählen … Also: auf nach Galiläa!