Jesus hat den Menschen keine Asche aufs Haupt gestreut
Klaus Einspieler über Aschermittwochrituale und die Dringlichkeit der Botschaft Jesu

Wenn Menschen zu Beginn der Fastenzeit in die Kirche kommen, um sich Asche auflegen zu lassen, hören sie mancherorts folgende Mahnung aus der Bibel: „Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zu Staub zurückkehren wirst“ (Gen 3,19). Schon in alttestamentlicher Zeit verwendete man Asche als Zeichen der Reinigung und Sühne, da sie durch die läuternde Kraft des Feuers entsteht. So ist es nicht verwunderlich, dass zunächst nur die Büßer, die schwere Schuld auf sich geladen hatten, zu Beginn der österlichen Bußzeit damit bestreut und symbolisch aus der Kirche vertrieben worden sind. So ist es nach dem Sündenfall schon Adam und Eva ergangen; aus dieser Erzählung ist auch das Wort „Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück“ entnommen. Es bringt die Lebensminderung auf den Punkt, die sich der Mensch mit seiner Abkehr von Gott zugezogen hat und steht im Widerspruch zum Segen „Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde …“ (Gen 1,28), den Gott als sein erstes Wort an den Menschen gerichtet hat. Diese Sichtweise scheint seit der Zeit um das Jahr 900 den Beginn der sogenannten Fastenzeit zu prägen. Damals streute man öffentlichen Büßern das erste Mal Asche aufs Haupt. Knapp zweihundert Jahre später ließen sich alle Gläubigen als Ausdruck der Verbundenheit mit ihnen Asche auflegen (immerhin sind wir alle Sünder und Sünderinnen). Hundert Jahre später ist der Brauch belegt, die Asche aus den Palmzweigen des Vorjahres herzustellen. Ihre doppelte „Weihe“ wurde bald magisch missverstanden. Viele empfingen das Aschenkreuz nicht mehr als Zeichen der Umkehr, sondern als Mittel gegen Kopfschmerzen aller Art.
Jesus war kein Bußprediger …
Ein Blick in die Geschichte macht also deutlich, dass der Aschenritus gar nicht so alt ist. Immerhin kam man fast ein Jahrtausend lang ohne diesen aus. Noch brennender aber ist die Frage, wie der Beginn dieser Zeit aussehen sollte, wenn wir mit den Augen Jesu darauf blicken. Eines steht fest: Jesus ist im Gegensatz zu Johannes dem Täufer kein Bußprediger gewesen. Zudem konnte er den theatralischen Fastenbräuchen seiner Zeitgenossen wenig abgewinnen. Das Tragen zerrissener Kleider, das Bestreuen mit Asche und der Verzicht auf das Waschen waren für ihn eher eine Gefahr, dass Wesentliches auf der Strecke bleibt. Daher rät er, sich vor dem Fasten das Gesicht zu waschen und zu salben (Mt 6,16-18). Zudem fasten seine Jünger auffallend selten, was die Anhängerschaft des Täufers irritiert (Mt 9,14-17). Nein, Jesus hätte den Menschen keine Asche aufs Haupt gestreut. Seine Botschaft lautet nicht: Bedenke, dass du vergänglich bist; ändere dein Leben, damit du nicht verdammt wirst.
… trotzdem war seine Botschaft dringlich
Was aber wollte er dann? Bevor der Evangelist Markus vom Wirken Jesu und seinen Wundern erzählt, fasst er seine Botschaft mit vier einprägsamen Sätzen zusammen (siehe Mk 1,15). Es sind die ersten Worte, die Jesus spricht. Es beginnt mit der frohen Kunde: „Die Zeit ist erfüllt.“ Das Warten ist also zu Ende. Angesichts dessen wäre es fehl am Platz, den Menschen an sein armseliges Dasein zu erinnern. Nachdem das Paradies in Staub und Asche zerfallen ist, beginnt in der Bibel mit Abraham und den vielen Gerechten ein langer Weg. Er ist geprägt von der Verheißung neuer Gemeinschaft mit Gott. Nun ist das Ziel vor Augen – „Das Reich Gottes ist nahe.“ Bibelkundige wissen, dass mit dieser Ansage die Hoffnung verbunden ist, dass jene, die im Mangel leben, zur Fülle gelangen. Schuld wird vergeben, Gebrechen werden geheilt, Ausgegrenzte leben in der Mitte der Gesellschaft; es gibt keine Armen mehr. Weil das so ist, ergeht nun der Ruf: „Kehrt um!“ Aber nicht, weil wir vergängliche, sterbliche, mit Schuld beladene Wesen sind, sondern Gottes Reich bei uns ankommen will. Es duldet kein Zögern. Gott klopft bereits an unsere Tür. Er kommt mit seiner Fülle. Vieles an uns muss anders werden, wenn sie sich entfalten soll. Daher schließt Jesus ab: Glaubt an das Evangelium! Macht euch das froh machende Programm zu Eigen. Traut Gott zu, dass er es gut mit euch meint. Wagt das Experiment loszulassen, um alles zu gewinnen.
Fasten und Fülle gehören zusammen
Seit der letzten Liturgiereform kann zum Auflegen der Asche – Gott sei Dank – auch das eben dargelegte Wort Jesu gesprochen werden: „Bekehre dich und glaube an das Evangelium.“ Wieviel besser bringt es zum Ausdruck, worum es Jesus gegangen ist und was das Wesen der Vierzig Tage vor Ostern ist. Wir gehen auf die österliche Dreitagesfeier zu. Der Auferstandene reicht uns die Hand, um uns aus dem Dunkel ins Licht, aus der Trauer zur Freude und aus dem Tod in das Leben zu führen. Nun liegt es an jedem einzelnen, sein Leben nach dem Evangelium zu erneuern. Dann wird er merken, dass Gottes Reich nicht nur nahe, sondern mitten unter uns ist (Lk 17,21). Fasten hat nichts mit Selbstzerfleischung zu tun; es geht auch nicht um den Verzicht um seiner selbst willen. Was nicht von der Sehnsucht nach jenem Leben getragen ist, das uns Gott verheißt, verfehlt seinen Sinn.
Daher hat auch Jesus gefastet
Auch Jesus hat gefastet, ganze vierzig Tage. Es war eine Zeit der Vorbereitung auf sein Wirken und die Botschaft vom Reich Gottes. Zu oft verhindern allzu zu menschliche Triebe, Eitelkeit und Machtstreben sein Kommen. Wer sich dem Guten öffnen will, muss auch lernen, dem Bösen zu widerstehen. So hat auch Jesus gelernt, den Hunger (nach materiellen Gütern) im Zaum zu halten. Er führte dann ein bedürfnisloses Leben – umso deutlicher wird er wohl bei so manchem Festmahl gespürt haben, wie köstlich die Einladung Gottes zum ewigen Festmahl schmeckt (Jes 25,6-8). Er musste sich aneignen, was es heißt, der Eitelkeit zu widerstehen, den Leuten gefallen zu wollen. So konnte er seiner Botschaft selbst dann noch treu bleiben, als sich alle von ihm abgewandt hatten. Es galt zu üben, für andere Verantwortung zu übernehmen, ohne sie zu beherrschen und für eigene Interessen zu missbrauchen. Das prägte seinen Umgang mit den Jüngern und bewahrte ihn davor, ein König nach dem Zuschnitt mancher Wirtschaftsbosse und Machthaber zu werden. Seine Fastenzeit in der Wüste war wohl ein großes Trainingslager. Sie gab ihm die Möglichkeit, zu beobachten, wo die Versuchung anklopft und der Mensch am ehesten verwundbar ist. Dann galt es, die Kraftquellen zu entdecken, die Gott für uns bereithält. Jesus hat gewusst und gebilligt, dass auch für seine Jünger die Zeit kommen wird, wieder Verzicht zu üben (Mt 9,15). Wir brauchen die Fastenzeit, weil sie uns zum Leben führt. Sie beginnt mit Asche, weil sie der Dünger für Gottes Fülle ist.