Organisation

Internetredaktion der Diözese Gurk

Ecclesia und Synagoga in der Stiftskirche von Millstatt

Über das geistliche Band zwischen Juden und Christen - Ein Beitrag von Klaus Einspieler und Michael Kapeller mit Video

Am 17. Jänner wird der Tag des Judentums begangen. Er wurde vom Ökumenischen Rat der Kirchen Österreichs im Jahr 2000 eingeführt und dient dazu, dass sich Christinnen und Christen ihrer Weggemeinschaft mit dem Judentum bewusst werden. Zudem soll an diesem Gedenktag das Unrecht, das jüdischen Menschen und ihrem Glauben in der Geschichte zugefügt wurde, thematisiert werden. Mangelnder Respekt kann sich auch in Form von Bildern verfestigen und so die Zeit überdauern. Ein Beispiel dafür ist die Wandmalerei am zweiten südlichen Pfeiler des Hauptschiffs der Stiftskirche von Millstatt, die in die Zeit um 1430 datiert wird. Im Zentrum steht der gekreuzigte Christus. Darunter betrauern Maria und Johannes den Tod Jesu. Über ihnen befinden sich mit der „Ecclesia“ und der „Synagoga“ zwei Frauengestalten. Sie repräsentieren die Kirche und das Judentum.

Das Video zum Thema

https://youtu.be/m7QWF0OXKQ0?si=cawJq7RqPK3Z2pf9

Ecclesia – die Kirche

Im Zentrum der Wandmalerei befindet sich Christus am Kreuz. Die Ecclesia sitzt aus der Perspektive des Gekreuzigten auf einem Thron auf der gewichtigeren rechten Seite. Dies ermöglicht ihr, das Blut aus der Seitenwunde Christi mit einem Kelch aufzufangen. Dasselbe tun auch die beiden Engel, die unter den Armen des Gekreuzigten schweben und einen Kelch unter seine durchbohrten Hände halten. Christus ist während dieses Geschehens schon tot, seine Augen sind geschlossen, dennoch ist sein Haupt der Ecclesia zugewandt. Seine Augen sind auffallend groß dargestellt, als würde er durch die geschlossenen Lider hindurch liebevoll auf die Kirche blicken. Ecclesia ist mit einem kostbaren Gewand bekleidet und gekrönt. Ihr rechter Arm fasst nach einer langen Lanze, deren Schaft am Rand des Bildes bis zum Fuß des Thrones reicht, auf dem sie sitzt. Unter der Spitze weht ein Banner mit dem Zeichen des Kreuzes. Mit der linken Hand hält sie einen Kelch mit dem Blut Christi. Dies ist als Hinweis auf die Eucharistie und den Neuen Bund, den Christus beim Letzten Abendmahl und durch seine Hingabe am Kreuz besiegelt hat, zu verstehen.

Die Darstellung der Ecclesia und der Synagoga in der Stiftskirche Millstatt (Detail - unter der Kreuz Christi: Ecclesia links - Synagoga rechts) - Foto: KH Kronawetter/Internetedaktion
Die Darstellung der Ecclesia und der Synagoga in der Stiftskirche Millstatt (Detail - unter der Kreuz Christi: Ecclesia links - Synagoga rechts) - Foto: KH Kronawetter/Internetedaktion

Maria

Unter der Ecclesia steht Maria. Hier folgte der Künstler offensichtlich dem Johannesevangelium. Es ist das einzige, das davon berichtet, die Mutter Jesu wäre ihrem Sohn bis unter das Kreuz gefolgt (Joh 19,25-27). Da die Mutter Christi als Urbild der Kirche gilt, wird sie mit der Ecclesia in Verbindung gebracht. Durch das Herz Marias dringt ein Schwert, dessen oberes Ende der Schneide mit drei Kreuzen geschmückt ist. Dies erinnert an die Prophetie des greisen Simeon, der Maria vierzig Tage nach der Geburt Jesu ankündigt:
„Siehe, dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele zu Fall kommen und aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird, – und deine Seele wird ein Schwert durchdringen. So sollen die Gedanken vieler Herzen offenbar werden“ (Lk 2,34-35).
Es scheint, dass Maria nach oben blickt, zu ihrem gekreuzigten und durchbohrten Sohn. Mit dem Schwert, das ihr Herz durchdringt, ist angedeutet, dass sie sein Schicksal teilt und in das Werk der Erlösung eingebunden ist. Zugleich streift ihr Blick nach oben aber auch die Synagoga, während sich diese in ihre Richtung wendet und ihr rechter Arm parallel zum Schwert zum Herzen Mariens weist. Damit verbirgt sich in der Bilddiagonale auch die subtile Unterstellung, wer für das Leid der Mutter Jesu verantwortlich ist.

Synagoga – das Judentum

Die Synagoga befindet sich auf der linken Seite. Auch sie sitzt auf einem Thron, ihr Gewand erscheint jedoch im Blick auf den spätmittelalterlichen Farbenkanon ärmlicher und die Krone, das Zeichen ihrer Würde, fällt zu Boden. Der Gekreuzigte wendet sich durch die Neigung des Hauptes nach rechts von ihr ab, was dadurch verstärkt wird, dass auch sie selbst nach unten blickt, als wolle sie das Geschehen über ihr nicht wahrnehmen. Dies wäre aber ohnehin nicht möglich, da ihre Augen verbunden sind. Ein Arm des Engels über ihr reicht bis zur Augenbinde. Man kann diese Szene dahingehend verstehen, dass es letztlich Gottes Wille ist, dass die Synagoga das zentrale Heilsereignis nicht erkennt. In der rechten Hand trägt die Synagoga eine Lanze. Auch sie weist nach unten und ist bereits an zwei Stellen zerbrochen. Die Ecclesia mit aufrechter Lanze und Banner hat also über sie triumphiert. In der linken Hand hält die Synagoga ein geöffnetes Buch, das sich aufzulösen beginnt – den Bildrand entlang fallen lose Blätter nach unten, bis zum fest gebundenen Buch, das der Evangelist Johannes in Händen hält. Dieses Motiv ist außergewöhnlich. Was mit dem Buch gemeint sein könnte, wird Gegenstand der Interpretation sein. Der Maler selbst unterlässt weiterführende Hinweise, da die Schrift nur angedeutet ist und keine Botschaft erkennen lässt.

Johannes

Unter der Synagoga befindet sich die Gestalt Johannes des Evangelisten. Im Johannesevangelium selbst heißt es zwar nur, der Jünger, den Jesus liebte (Joh 19,26), hätte sich unter dem Kreuz eingefunden, in der Geschichte der Auslegung wurde er jedoch bald mit dem Evangelisten gleichgesetzt. In der linken Hand hält er einen vierteiligen Codex, der durch Buchschließen zusammengehalten wird. Es ist anzunehmen, dass er nicht nur das vierte Evangelium symbolisiert, sondern die Summe aller vier Evangelien, an deren Ende jenes des Johannes steht. Es besteht also offensichtlich ein Bezug zwischen dem Codex und dem zerfallenden Buch der Synagoga: Während ihre Lehre zerfällt, ist das Evangelium, Kern der Lehre der Ecclesia, fest in sich zusammengefügt.

Die Darstellung der Ecclesia und der Synagoga in der Stiftskirche Millstatt (Detail - Maria links - Johannes rechts) - Foto: KH Kronawetter/Internetedaktion
Die Darstellung der Ecclesia und der Synagoga in der Stiftskirche Millstatt (Detail - Maria links - Johannes rechts) - Foto: KH Kronawetter/Internetedaktion

Die theologische Aussage des Bildes

Bilder können eine subtile Wirkung entfalten. Das gilt auch für diese Wandmalerei. In der Art, wie sie Dinge ordnet, einander zuordnet oder in Opposition zueinander stellt, betreibt sie Theologie und gibt eine Interpretation vor. Auf den ersten Blick scheint die Logik bestechend klar zu sein, vor allem in den Augen von Betrachterinnen und Betrachtern, die nie ein positives Bild des Judentums vermittelt bekommen haben. Die Analyse des Bildes hat diese Abwertung deutlich gemacht. Die vorgefasste Meinung über das Judentum wird quasi theologisch untermauert und ikonenhaft – als wäre es eine ewig gültige Wahrheit – dargestellt.

Zerfallendes Buch und festgefügter Codex

Das Motiv der beiden Bücher ist äußerst interessant, da es kein fester Bestandteil der im späten Mittelalter üblichen Darstellung der Ecclesia und Synagoga ist. Wie sind die Bücher zu deuten? Man könnte darin die Spannung zwischen Gesetz und Evangelium sehen, ein Motiv aus den paulinischen Schriften. Dafür spricht, dass die Synagoga in manchen mittelalterlichen Darstellungen zwar nicht ein Buch, wohl aber gelegentlich Gesetzestafeln in den Händen hält. Mitunter fallen sie sogar zu Boden, was dem sich auflösenden Buch entsprechen würde. Dies würde also bedeuten, das Gesetz habe seine heilschaffende Kraft verloren. Der Alte Bund, versinnbildlicht durch die Dekalogtafeln, ist gekündigt. An seine Stelle ist der Neue Bund, versinnbildlicht durch den Kelch mit dem Blut Christi, getreten: „Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird“ (Lk 22,20).

Gesetz und Glaube

In der Tat ist für Paulus nicht das Befolgen der Gebote der Schlüssel zum Heil, sondern der Glaube. Dieser Gedankengang kann jedoch nicht als Grundlage einer Wesensbeschreibung von Judentum und Christentum herangezogen werden. Für Paulus steht die Erkenntnis, dass der Glaube zum Heil führt, nicht im Gegensatz zu seinen biblisch-jüdischen Überzeugungen, sondern zu seiner bisherigen Lebenspraxis, die nicht alle seiner jüdischen Zeitgenossen teilten. Insofern muss die Diskussion um den Vorrang des Glaubens vor dem Gesetz auch als innerjüdischer Diskurs gesehen werden. Er hatte jedoch weitreichende Folgen. Paulus etwa meint mit dem Gesetz nie die gesamte Tora, um sie zu entwerten. In ethischen Fragen zitiert er sie immer wieder und betreibt in seinen Briefen Schriftauslegung. Zudem wird in anderen neutestamentlichen Texten, allen voran in der Bergpredigt (Mt 5,17-19), ausdrücklich betont, dass die Gebote auch weiterhin gelten. Der Gedanke, Gott hätte seinen Bund mit Israel gekündigt, ist Paulus und den Evangelisten ganz und gar fremd. Im Gegenteil: Das Wort über den Kelch im Matthäusevangelium (Mt 26,28) legt eher den Schluss nahe, Jesus habe den Sinaibund durch seinen Tod am Kreuz erneuert.

Abwertung des Alten Testamentes

Bereits im 2. Jahrhundert gab es jedoch Strömungen, die das Alte Testament ablehnten. Ein einflussreicher Vertreter dafür war Markion. Das frühe Christentum leistete zwar Widerstand, dennoch führte die Auseinandersetzung um das Alte Testament zu einer Abwertung desselben, vor allem in der Verkündigung. Mitunter wurde sein Wert nur mehr darin gesehen, dass es Christus ankündigt. Einen Eigenstand wollte man darin nicht mehr erkennen. Diese Geringschätzung des Alten Testaments führte unweigerlich auch zu einer Geringschätzung des Judentums. Umgekehrt müsste man wohl auch fragen, ob nicht die Geringschätzung des Judentums durch viele Jahrhunderte hindurch einen positiven Zugang der Christinnen und Christen zum ersten Teil der Bibel verbaut hat. So oder so liegen religiös-christlich motivierter Antisemitismus wie auch die Verunglimpfung und Abwertung des Alten Testaments als Buch der Rache und Vergeltung theologisch betrachtet eng beieinander. Bedauerlicherweise sind sie bis heute nicht ganz überwunden. So ist vereinzelt immer noch zu hören, das alttestamtliche Ethos ließe sich auf die Formel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zurückführen, während das Gebot der Nächstenliebe charakteristisch für das Neue Testament sei. Dabei wird geflissentlich verschwiegen, dass letzteres dem Buch Levitikus entstammt, das im Zentrum der Tora steht.

Christen und Juden

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich die christliche Sichtweise auf das Judentum grundlegend geändert. Wegweisend dafür ist die „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ (Nostra aetate), wo in Artikel 4 in besonderer Weise auf das geistliche Band hingewiesen wird, durch welches die Kirche als das Volk des Neuen Bundes, mit dem Stamm Abrahams geistlich verbunden ist. Darauf weist auch Papst Franziskus bei seinem Besuch in Jerusalem im Mai 2014 hin, wenn er in einem Gespräch mit den beiden Oberrabbinern meint:

„Als Christen und als Juden sind wir berufen, uns eingehend nach der geistlichen Bedeutung des Bandes zu fragen, das uns miteinander verknüpft. Es handelt sich um eine Verbindung, die von oben kommt, die über unseren Willen hinausgeht und die unversehrt bleibt, trotz aller Beziehungsschwierigkeiten, die es in der Geschichte leider gegeben hat.“

Ein neues Bild der Synagoga

Auf dem Hintergrund der Interpretation dieser Wandmalerei und der neuen Sichtweise auf das Judentum hin wird deutlich, dass die Darstellung der Synagoga mit verbundenen Augen, zerbrochener Lanze und dem sich auflösenden Buch theologisch falsch ist. Zudem hat diese zum Bild gewordene Abwertung des Alten Testaments zu einer unheilvollen Abneigung der Christen gegen alles Jüdische geführt und ihnen durch die mangelnde Wertschätzung für jenes Volk, zu dem Gott zuerst gesprochen hat, den Zugang zum geistlichen Reichtum des ersten Teils ihrer Bibel verstellt. Die Synagoga müsste vielmehr mit einer wertvollen Torarolle abgebildet werden – als Ausdruck für den bestehenden Bund Gottes mit seinem Volk. Sie ist auch für uns Christen die Basis des Glaubens. Daher müsste sich die Tora – im Bild gesprochen – zu Johannes hin entrollen, denn seine Botschaft schöpft auch aus ihrem Reichtum. Dies würde Mt 5,17 entsprechen, wonach Jesus nicht gekommen ist, das Gesetz und die Propheten aufzuheben, sondern sie zu erfüllen.

Autoren: Klaus Einspieler, Michael Kapeller