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Internetredaktion der Diözese Gurk

Du hast … zu sagen

Vom Geist, der alle zu Propheten macht - ein Beitrag von Klaus Einspieler

Hören Sie es auch manchmal? – Ich meine das Seufzen des Heiligen Geistes. Dem Apostel Paulus folgend, ist dies eine seiner Arten, zu kommunizieren (Röm 8,26). Er spricht also in und für uns, wenngleich wir dies nicht in Worte fassen können. Er bewirkt aber auch, dass jene, die an Christus glauben, die richtigen Worte finden. So sieht es zumindest Petrus, der in der Apostelgeschichte das Wort ergreift, um das Pfingstwunder zu deuten.

Der Heilige Geist sucht Landeplätze ... (Foto: Karl-Heinz Kronawetter / Internetredaktion)
Der Heilige Geist sucht Landeplätze ... (Foto: Karl-Heinz Kronawetter / Internetredaktion)

Wenn nur endlich alle zu Propheten würden!

Was ist sieben Wochen nach Ostern in Jerusalem geschehen? Petrus verweist auf die Verheißungen des Alten Testaments. Dort gelten vor allem prophetische Gestalten als Trägerinnen und Träger des Geistes Gottes. Der größte von ihnen ist Mose (siehe Dtn 34,10-12). Das Buch Numeri erzählt, wie Gott etwas von dem Geist, der auf Mose ruhte, auf siebzig von den Ältesten des Volkes Israel legte. Nun begannen auch sie, prophetisch zu reden. Im Bann dieser denkwürdigen Begebenheit sagt Mose sehnsuchtsvoll: „Wenn nur das ganze Volk des HERRN zu Propheten würde, wenn nur der HERR seinen Geist auf sie alle legte!“ (Num 11,29). Der Prophet Jeremia macht daraus eine Verheißung. In der Endzeit, sagt er, wird „keiner mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, denn sie alle, vom Kleinsten bis zum Größten, werden mich erkennen – Spruch des HERRN“ (Jer 31,34). Alle werden also zu Prophetinnen und Propheten werden, die in der Lage sind, das Wort Gottes in sich aufzunehmen und zu deuten. Der Apostel Petrus kommt in seiner „Pfingstpredigt“ zur Überzeugung: Jetzt ist es so weit. Die Endzeit ist angebrochen. Nun gilt, was Gott durch den Propheten Joel verheißen hat: „Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure Alten werden Träume haben und eure jungen Männer haben Visionen. Auch über Knechte und Mägde werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen“ (Joel 3,1-2). Das ist nun gleichsam in die DNA der Kirche eingepflanzt: alle sind mit Gottes prophetischem Geist begabt. Dies wird nach außen hin sichtbar, wenn das Leben der Glaubenden ein kritisch-heilsames Korrektiv zu dem bildet, was sich in ihrem Umfeld ereignet. Nun ist zu fragen, wie es sich im Inneren dieser Gemeinschaft verhält. Weht auch hier prophetischer Geist und wo zeigt er sich?

Eine Vielfalt an Begabungen

Beim Apostel Paulus werden wir fündig. Offenbar braucht auch die junge Kirche, das prophetische Zeichen Gottes für die Welt schlechthin, in ihrem Binnenraum geistbegabte Menschen, auch solche, die mit prophetischer Rede vertraut sind. Sie vermitteln Weisheit und Erkenntnis, stärken ihre Brüder und Schwestern im Glauben und erschließen die Offenbarung. Heute würde man wohl sagen: Sie sind in der Lage, das Wort Gottes zu deuten, zu aktualisieren und für unser Leben fruchtbar zu machen. Für Paulus ist dies eine Gabe, die der Geist schenkt, um an seiner Kirche zu bauen (siehe 1 Kor 12,4-11). Offensichtlich waren die Empfängerinnen und Empfänger nicht nur Amtsträger. Der Wind weht schließlich, wo er will (Joh 3,8).

Wo kommen wir denn hin, wenn jede(r) …

Soweit ein erster Blick in die Bibel. Ein Ausflug in die Kirchengeschichte macht jedoch bald deutlich, dass man sich mit diesem Übermaß an prophetischem Charisma nicht immer leicht getan hat. Das Prophetische wurde rasch an das Amt geknüpft. Es wurde den Getauften höchstens als Glied der Gemeinschaft und im Blick auf die noch nicht christliche Welt zugesprochen. Das Wasser des Geistes sollte in fest gefügten Rinnsalen fließen, um nicht ganze Gebiete zu überfluten (dabei können Überflutungen für Ökosysteme ein wahrer Jungbrunnen sein). Vieles geschah aus echter Sorge, weil selbsternannte Propheten die Gemeinden heimsuchten und verstörten. Dennoch können wir aus heutiger Sicht vieles nicht mehr gutheißen. Als zum Beispiel im ausgehenden Mittelalter erste Bibelübersetzungen in den Volkssprachen erschienen, betrachteten kirchliche und staatliche Autoritäten diese Entwicklungen mit großem Argwohn. Wo kommen wir denn hin, wenn jede(r) die Bibel liest und für sich selbst deutet? Oder diese Deutung gar ins kirchliche Gespräch einbringt? Oder sich als Subjekt erfährt und nicht mehr als Schäfchen welcher Autorität auch immer? Ja, wo kämen wir hin, wenn wir den Propheten Jeremia ernst nähmen, dem folgend keiner mehr sagen wird: „Erkennt den Herrn!“, weil allen diese Erkenntnis geschenkt wird?

Gottes Geist – auch bei den Anderen

Zugegeben. – Das Mittelalter ist vorbei. Heute freuen wir uns darüber, dass die Bibel mittlerweile in über 700 Sprachen übersetzt ist. Vier Fünftel der Menschheit können das Wort Gottes in ihrer Muttersprache lesen. Als Katholiken stünde es uns gut zu Gesicht, den Kirchen der Reformation dafür Danke zu sagen. Dass so viele Menschen einen Zugang zum Wort Gottes finden konnten, ist hauptsächlich ihr Verdienst, ein kräftiges Zeichen wehenden Gottesgeistes.

Hören Sie das Seufzen des Geistes?

Heute freuen sich die meisten Hirten der Kirche, dass ihre Gläubigen in der Bibel lesen. Das ist ein gewaltiger Schritt, wenn wir uns das zähe Ringen in dieser Frage vor Augen führen. Doch sind wir damit schon am Ende des Weges? Wenn wir bei Paulus in die Schule gehen, wäre es nun an der Zeit, anzuerkennen, dass der Geist viele Menschen auch mit einem besonderen Feingefühl für dieses Wort beschenkt hat. Sie haben es auf ihre Weise verinnerlicht und durchaus etwas zu sagen. Ich weiß, wovon ich spreche. Im Rahmen von Wortgottesdienstleiterkursen habe ich bereits dutzende Videotrainings begleitet. Menschen aus den unterschiedlichsten Berufen und Regionen haben auf der Basis eines Bibeltextes von ihrem Glauben erzählt. Wie gerne hätte ich ihnen als regelmäßiger Kirchgänger auch hin und wieder in einem Gottesdienst zugehört! Sie hätten in der Tat etwas zu sagen! Im Rahmen von Andachten und Wort-Gottes-Feiern wäre dies heute schon erlaubt. Ein Blick in Pfarrblätter und aktuelle Programme bezeugt indes beredtes Schweigen. Was wäre naheliegender, als in einer Maiandacht hin und wieder eine Frau zu Wort kommen zu lassen? Maria war nämlich Laie im besten Sinne des Wortes – eine Frau aus dem Volk Gottes. Und doch deutet sie im Lukasevangelium in ihrem Lobgesang, einem Musterbeispiel prophetischer Rede, das Handeln Gottes. Dasselbe tut im Übrigen Elisabet im Gruß an ihre junge Verwandte – erfüllt vom Heiligen Geist, wie Lukas betont (Lk 1,41). In seinem Evangelium ergreifen also eingangs zwei prophetische Frauen das Wort. Und in unseren Gottesdiensten, zwei Jahrtausende später? Wäre es nicht eine Bereicherung, wenn man auch in der Öffentlichkeit eines Gottesdienstes geistliche Erfahrungen von sogenannten Laien teilte, sich Menschen wie zu Zeiten des Völkerapostels gegenseitig im Glauben bestärkten und darin eine Gabe des Heiligen Geistes erkennen könnten? Hören Sie es auch – das Seufzen des Geistes? Flüstert er auch Ihnen ins Ohr: „Du hast etwas zu sagen!“ Oder tönt es in Ihnen: „Du hast nichts zu sagen! Bei uns sind die Rollen von Redner und Zuhörer fest vergeben!“?

Theologie – wozu?

Ich gehe noch einen Schritt weiter. In der Kirche hat auch die Theologie eine prophetische Aufgabe. Der Umgang mit der Heiligen Schrift und den Überlieferungen der Kirche will gelernt sein. Dazu bedarf es der Faszination, Neues entdecken und Altes zum Vorschein bringen zu wollen, vor allem aber des Studiums und harter Arbeit. Doch wo ist ihr Platz im Leben einer Gemeinde? Wo können Theologinnen und Theologen ihr Charisma und ihre Kompetenz einbringen, damit sie Früchte tragen? Dass so viele, die eine theologische Ausbildung abgeschlossen haben, im Leben der Kirche kaum sichtbar präsent sind, kann doch wohl nicht ausschließlich daran liegen, dass sie dies nicht wollen. Ist es nicht auch ein Indiz dafür, dass man nicht so recht weiß, was sie uns schenken könnten? Haben sie etwas zu sagen? Das heißt: Gesteht man ihnen zu, dass sie das Wort ergreifen, ohne darum betteln zu müssen? „Du hast nichts zu sagen“ kann ja bekanntlich zweierlei bedeuten: Was du uns mitteilen möchtest, ist belanglos und: Wir entscheiden, wann und wo du reden darfst und gestehen dir nicht zu, deine Stimme zu erheben. Doch sehen wir einmal davon ab und fragen noch grundsätzlicher: Wird die Theologie innerhalb der Kirchenmauern überhaupt noch geschätzt? – In all ihrer Pluralität, die daraus entspringt, dass Gottes Geist über alles Fleisch ausgegossen ist (Joel 3,1). So selbstverständlich ist dies nicht. Angesichts drängender (praktischer) Herausforderungen erscheint das (vorerst) zweckfreie Nachdenken über Gott und die Welt zu rasch aus dem Blick zu geraten. Dabei ist „Grundlagenforschung“ in der säkularen Welt längst als Basis des Fortschritts und der Erkenntnis angesagt. Grundlagenforschung im Sinne der Rückfrage nach unserem Dasein und unserer Sendung – wie gut das der Kirche täte! Wie gerne wird in Kirchenkreisen organisiert und strukturiert. Das ist zweifellos wichtig, doch versteht man dies auch als geistlichen Weg, um in der Spur des Nazareners zu bleiben?

Du hast etwas zu sagen!

Im Zugehen auf Pfingsten ist mir heuer immer wieder das Evangelium von der Heilung eines Taubstummen in den Sinn gekommen (Mk 7,31-37). Dieser hat im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu sagen. In einem ersten Schritt öffnet Jesus seine Ohren. Er macht ihn zu einem Hörer seines Wortes. Dann löst er ihm die Zunge und ermächtigt ihn, zu sprechen. Nun hat er etwas zu sagen. Ist dies nicht ein durch und durch pfingstlicher Text? Gottes Geist schenkt uns das Erkennen und Verstehen. In einem nächsten Schritt sendet er uns aus, um zu bekennen und zu verkünden. Welche Zusage für alle, die man nicht zu Wort kommen lässt, an der Ausübung ihrer Charismen hindert und so zu Be-hinderten gemacht hat! Das Volk Gottes sieht es und klatscht Jesus (und seinem frei machenden Geist) Beifall: „Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen“ (Mk 7,37).

Autor: Mag. Klaus Einspieler