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Arbeit fair teilen!

Forderung nach 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich

Dr. Richard Wohlgemuth (© Foto: Foto: AK-Kärnten)
Dr. Richard Wohlgemuth (© Foto: Foto: AK-Kärnten)

Forderung nach 30h/Woche Normalarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich - "weltfremd", "falsch", "gefährlich" oder ein Gebot der Stunde?

Die derzeitige Situation am österreichischen Arbeitsmarkt mit einem Höchststand an Beschäftigten von 3,5 Millionen - davon 1,15 Millionen Teilzeitbeschäftigten – sowie den höchsten gemessenen Arbeitslosenzahlen - 428.519 Arbeitslosen im März 2015 - führt zu einer Renaissance der Diskussion um eine Reduzierung der Normalarbeitszeit auf etwa 30h/Woche bei vollem Lohnausgleich.

Sowohl in Deutschland, als auch in Österreich sprechen sich immer mehr Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler für eine Reduktion der Normalarbeitszeit aus. So haben in Deutschland im Jahre 2013 mehr als 200 Wissenschaftler und Politiker als eines der Instrumente im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit die „30-Stunden-Woche“ gefordert, da ihrer Meinung nach, ohne Arbeitszeitverkürzung nie wieder eine Vollbeschäftigung zu erreichen sein wird. In diesem Zusammenhang stellt z. B. Heinz-Josef Bontrup, Wirtschaftsrechtler an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen fest, dass wenn alle weniger arbeiten, mehr Leute eingestellt werden könnten.

Historisch gesehen sind Arbeitszeitverkürzungen jedenfalls nichts Ungewöhnliches. Die wöchentliche Normalarbeitszeit ist von einstmals über 70 Stunden in bestimmten Branchen auf weit unter 40 Stunden gesunken. Gleichzeitig ging aber auch die Jahresarbeitszeit durch Urlaub und die Lebensarbeitszeit durch längere Ausbildung und früheren Pensionsantritt zurück. Die Realeinkommen sind aufgrund des anhaltenden Produktivitätsfortschrittes dennoch nicht gesunken.

Durch die erschreckend hohe Arbeitslosigkeit in Österreich, hat der Slogan „Arbeit fair teilen“, mehr Aktualität als je zuvor.

Jörg Flecker, Professor für Soziologie an der Universität Wien, geht davon aus, dass erst bei einem Wirtschaftswachstum von rund drei Prozent, die Arbeitslosigkeit zurückgehen würde. Eine solche Annahme wäre aber für das nächste Jahrezehnt völlig unrealistisch.

Bei der Diskussion über Arbeitszeitverkürzung geht es aber auch darum die gesellschaftlichen Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Die Fragen nach Gesundheit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Kindererziehung, Lebens- und Freizeitqualität sowie Vermeidung psychischer Erkrankungen, die Erhaltung der Leistungsfähigkeit udgl spielen dabei eine wichtige Rolle. Die derzeitige arbeitszeitpolitische Realität wird den Ansprüchen vieler ArbeitnehmerInnen nicht mehr gerecht. Dies zeigen vor allem Umfrageerhebungen des Arbeitsklima Index sowie der Arbeitskräfteerhebung von Statistik Austria, wonach viele ArbeitnehmerInnen über zu lange Arbeitszeiten, die durch Überstundenarbeit noch verschärft wird, klagen.

Die Gegner einer Arbeitszeitverkürzung, als adäquates Mittel gegen die Arbeitslosigkeit, wie etwa Karl Brenke, Konjunkturexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, halten fest, dass die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche absolut weltfremd sei. Damit ein Lohnausgleich funktioniere, müsste die Effizienz der Arbeitnehmer steigen. Dies sei nicht der Fall.

Diese Annahme wird aber durch skandinavische Modellbetriebe die eine Arbeitszeitverkürzung auf eine 30-Stunden-Woche vorgenommen haben wiederlegt, da gerade diese Betriebe eine wesentliche Effizienzsteigerung feststellen konnten. Insgesamt stieg in diesen Betrieben nämlich die Produktivität und die Effizienz bei einem 6 Stunden-Arbeitstag erheblich im Verhältnis zu längeren Tagesarbeitszeiten.

Eine Arbeitszeitreduktion wäre zwar ein starker Impuls um die Arbeitslosenzahlen zu senken, sie sollte aber um eine noch größere Breitenwirkung zu entfalten im Kontext mit weiteren Maßnahmen wie Investitionsprogrammen für humane Arbeitsplätze und Abbau der Überstundenleistung einhergehen.

In Österreich werden pro Jahr mehr als 300 Millionen Überstunden von den unselbständig Beschäftigten geleistet, wovon ca. 70 Millionen nicht bezahlt und auch nicht in Zeitausgleich abgegolten werden. Der Anteil der nichtbezahlten Überstunden ist bei Frauen deutlich höher als bei Männern. Während bei Männern 2011 nur 19,65 Prozent der Mehrarbeit nicht bezahlt wurden, waren es bei Frauen 28,25 Prozent. Bei Männern ist der Anteil von 33,8 Prozent im Jahr 2004 auf 25,3 Prozent im Jahr 2008 auf zuletzt 19,65 Prozent gesunken, bei Frauen von 47,25 Prozent auf 40,9 Prozent und nunmehr auf 28,25 Prozent.

Würde man die in Österreich geleisteten Überstunden in Arbeitsplätze umrechnen, so könnten unter Zugrundlegung des österreichischen Durchschnittseinkommens mehr als 150.000 neue Arbeitsplätze neu geschaffen werden. Dieser Effekt würde sich durch eine Senkung der wöchentlichen Normalarbeitszeit auf eine 30-Stunden-Arbeitswoche noch zusätzlich multiplizieren.

Diesen aufgezeigten Weg zu beschreiten bedarf jedoch gänzlich anderer Denkansätze, die in eine neue Zukunft der gerechten Arbeitsaufteilung unter der Prämisse von „Arbeit fair teilen“ führen

Zusammenfassend glaube ich persönlich, dass ohne die Normalarbeitszeit wirksam zu senken, ohne das zum Großteil auf Überstundenleistung aufgebaute Gehaltssystem zu ändern und ohne weitere wirksame Maßnahmen (humane Arbeitsplätze und dgl.) zu setzen, eine Symbiose von guter Arbeit und Leben in Würde wie es von „Arbeit fair teilen“ propagiert wird, leider weiterhin für mehr als 430.000 Arbeitslose in Österreich Utopie bleiben wird.

Dr. Richard Wohlgemuth (Vorsitzender der KAB-Kärnten)