Pfarre

Katholische Hochschulgemeinde

Die Apokalypse - Weltuntergang oder neues Jesusbild?

Statement von Peter Trummer bei der Thomasmesse in Klagenfurt Don Bosco

Das Buch mit den sieben Siegeln und das Lamm auf dem Tabernakel der Christkönigskirche in Klagenfurt (© Foto: Internetredaktion / KH Kronawetter)
Das Buch mit den sieben Siegeln und das Lamm auf dem Tabernakel der Christkönigskirche in Klagenfurt (© Foto: Internetredaktion / KH Kronawetter)

Dokumentation eines Vortrages des Grazer Bibeltheologen Professor Dr. Peter Trummer, den er am 24. Juni 2012 im Rahmen der "Thomasmesse" in der Klagenfurter Don Bosco Kirche gehalten hat:

 

Sehr geehrte Damen und Herren oder vielleicht besser: Liebe Mitchrist/inn/en!

Apokalypse bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch das genaue Gegenteil von dem, was eigentlich gemeint ist: nämlich Offenbarung, das Aufdecken jener vielen Schleier, die in verschiedensten Mustern und Farben vor unserer Erkenntnis liegen. Es ist traurig, aber wahr: Wir alle sind mehr oder weniger blind für das Eigentliche, auch für das, was uns die Bibel zu sagen hat, insbesondere ihr letztes Buch. Es ist nach seinem Selbstverständnis nicht die Offenbarung des Johannes, sondern die Offenbarung Jesu Christi (1,1). Sie möchte uns nicht in Schrecken versetzen, sondern die Gestalt und Bedeutung Jesu enthüllen. 

Christwerden beginnt mit einem Umdenken

Als Lesung haben wir das 7. Sendschreiben daraus gehört. Dass es gerade sieben Sendschreiben, Siegeln usw. sind, hat damit zu tun, dass diese Zahl etwas zutiefst Göttliches in sich trägt und dass ihre Botschaft an die gesamte Kirche, auch jene der Zukunft, also an uns gerichtet ist. Dennoch ist es nützlich, etwas vom ursprünglichen realgeschichtlichen (und sprachlichen) Hintergrund zu wissen. Die Stadt Laodizea z.B. liegt in 8 km Entfernung den berühmten Sinterterrassen von Pamukkale gegenüber, die in jedem Türkeiprospekt zu sehen sind und hat keine eigene Quelle. Das von Pamukkale hergeleitete Wasser war sehr geschätzt für medizinische Kuren, für die Herstellung spezieller Augensalben und effektiv in der Purpurerzeugung, die großen Wohlstand schuf. Zum Trinken war es weniger einladend, deswegen auch das Bild vom Ausspucken, was ein Beziehungsproblem andeutet, das zum Kotzen ist. Die Augensalbe wiederum verweist auf die Differenz von Selbstbild und Realität, ebenfalls ein wichtiges jesuanisches Thema, das eigens anzusprechen wäre. Und für den realen oder vermeintlichen Reichtum gilt: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, auch nicht in der Kirche, sondern es werden damit auch etliche menschliche Blößen kaschiert. Aber nicht der moralische Zeigefinger winkt im Text, sondern die Verheißung Jesu, dass er uns zum Rechten anleiten und erziehen (nicht züchtigen) will. Christwerden nämlich beginnt mit einem Umdenken (nicht Büßen), bringt immer neue, sich erneuernde Erkenntnis. Die Apokalypse will uns dabei behilflich sein, wenn wir sie mit Verstand und Weisheit lesen (17,9).

Ein tröstliches Christusbild

Das gezeigte Christusbild ist sehr tröstlich: Jesus ist nicht in alle Ewigkeit und in den Himmel entrückt; er steht an unserer Türe und klopft an. Wenn wir auf seine Stimme hören und die Türe öffnen (die meisten Türen gehen ja nach innen auf), dann können wir gemeinsam mit ihm Mahl halten. Genau das soll in unserer Feier auch passieren. Und ein Letztes zu diesem Lesungstext: Das Leben ist oft ein ziemlicher Kampf und auch die eigene Menschwerdung gar nicht so leicht; aber wenn uns nur ein Stück davon gelingt, dann werden wir unserer göttlichen Würde gewahr und „thronen“, werden also nicht mehr so leicht bei jedem Windhauch vom Hocker fallen.

Angekündigte Weltuntergänge

Allerdings sind zuvor etliche Missverständnisse auszuräumen. Zunächst einmal: Der für Dezember angekündigte Weltuntergang war schon längst abzusagen und mittlerweile (seit gerade 6 Wochen) haben wir sogar Kenntnis von dem mit Abstand ältesten Mayakalender. Die ihn darstellende Fresken in einem Urwaldtempel von Guatemala sind 1200 Jahre alt und rechnen insgesamt mit einem Zeitraum von 6000 Jahren. Danach haben wir also noch jede Menge Zeit, und dass im Dezember ein Kalenderzyklus endet: Na und? Jeder Kalender hat seine Zyklen.
Außerdem: Welche Messlatte sollte die Apokalypse diesbezüglich überhaupt angelegt haben? Juden, Römer oder Griechen hatten ja höchst unterschiedliche chronologische Richtmarken. Auch die christliche Zeitrechnung verlief bekanntlich nicht fehlerfrei und verbreitete sich in Europa anfänglich nur mit großer Zeitverschiebung und selbst die hoch fällige gregorianische Kalenderreform wurde nicht überall angenommen, bis heute. Und dass wir gerade bei unseren 1000ern so hysterisch werden liegt an uns, nicht an der Apokalypse. Sie hat ihre ganz eigene Zahlensymbolik, ja Mystik, die mit unserem Kalender und unserer Rechnerei absolut nichts am Hut hat.

Unterschiedliche Zeitvorstellungen

Schon zwischen den Zeitvorstellungen des Orients und des Abendlandes an sich klafft eine gewaltige Kluft, wie sich beim Studium der semitischen Sprachen alsbald herausstellt. Zudem redet die Apokalypse nur ein einziges Mal von der linearen Zeit als dem Chrónos mit der Botschaft: „Und Zeit wird nicht mehr sein“ (10,6). Auch das ist keine Drohung, sondern höchst realistisch, denn wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass unser Leben endlich ist und die Schöpfung einen Anfang und ein Ende hat. Jedoch beschreibt die Apokalypse keinen zeitlichen Verlauf. Die vielen gezählten oder nicht gezählten Siebenerreihen haben zu viele Wiederholungen, Brüche, Verknüpfungen, sind eher um ihre optische Mitte angeordnet, bieten eine Art Zentralperspektive, kein zeitliches Hintereinander. Man muss sie fast so betrachten wie einen orientalischen Bilderteppich in Form eines Bachtiars. Die Form von Laufbildern ist ihr fremd. Filme über sie müssen daneben gehen.

Der günstige Zeitpunkt

Die Offenbarung spricht vom Kairós. Und dieser meint den günstigen Zeitpunkt für etwas, wie zu Anfang und Ende ausdrücklich gesagt wird: Der Kairos ist nahe (1,3; 22,10). Das heißt, die Zeit ist günstig, und zwar jetzt, nicht erst irgendwann. Rasches und entschiedenes Handeln ist angesagt! Diese Botschaft wird sogar mit der ersten Seligpreisung der Offenbarung verbunden. Aber wer realisiert schon, dass sie auch sieben Seligpreisungen enthält. Die machen offensichtlich zu wenig Nervenkitzel und werden deshalb geflissentlich übersehen.
Nicht nur die Film- und Horrorindustrie hat die Apokalypse gründlich verunstaltet. Auch dass das Abendland von der Wiederkunft Christi „am Ende der Zeiten“ gesprochen hat, erweist sich nicht gerade als Segen. Denn welchen Nutzen hätte wir von einer vermeintlichen Wiederkunft am St. Nimmerleinstag? Es geht um Jetzt.

Keine Vorschau auf kommende Ereignisse

Die Bilder der Apokalypse sind keine Vorschau auf kommende Ereignisse. Und wäre tatsächlich irgendwo auf der Welt und zu einem ganz bestimmten Datum ein bestimmtes Ereignis vorausgesagt (viele sahen in Tschernobyl den Wermutstern des dritten Posaunenengels: 8,11), dann hätte noch jede andere Zeit sie völlig vergeblich gelesen. Die Apokalypse wird nicht einfach von abstrusen Visionen überschwemmt, sondern erweist sich auf weite Strecken hin als systematische Neuinterpretation der prophetischen Literatur, obwohl diese nirgendwo formell zitiert wird.

Dramatische Seelenbilder

Und was noch wichtiger ist: All diese Motive und Bilder sind keine Beschreibung der Außenwelt, sondern Metaphern, jedenfalls innere, zum Teil höchst dramatische Seelenbilder, welche Umwälzungen vorbereiten, geistige Umschmelzungsprozesse symbolisieren. Nur ein Beispiel: Wenn der Apokalyptiker ein Lamm sieht und dieses geschlachtet und gleichzeitig stehend (5,6), dann beschreibt er kein reales Lamm in der Außenwelt, sondern eine geistige Qualität Jesu: Nur dieser kann uns den Lauf und Sinn der Geschichte wirklich aufschließen, besonders wenn auch wir derzeit scheinbar auf der Verliererstraße marschieren. Doch auch dieses Christuslamm ist alles andere als eine niedliche Schäferidylle oder ein Opferlamm. Es hat sieben Hörner und wer es schon einmal mit einem Widder zu tun gehabt hat, weiß wie kräftig diese Tiere zustoßen können. Auch hat das Lamm sieben Augen, die als die sieben Gottesgeister interpretiert werden, die über die ganze Welt ausgesandt sind. Das Motiv der vielen Augen begegnet übrigens bereits im Gottesbild bei den geflügelten vier Wesen, die voller Augen sind (4,4.6). Das alles meint: Wir dürfen uns sehr behütet und beschützt fühlen. Denn das trotz seiner Schlachtung stehende Lamm signalisiert eindeutig: Der Kreuzestod hat Jesus nicht vernichtet, sondern er hat den Tod aufrecht bestanden. Deswegen ist dieses Lamm auch der siegreiche Löwe aus dem Stamm Juda und die Wurzel David (5,5).

Gottes Wort fordert Entscheidung

Auch diese Zuschreibungen sind wichtig, denn die Apokalypse ist trotz kritischer Bemerkungen gegenüber Juden (2,9; 3,9) nicht antisemitisch, sonst gäbe es in ihr auch keine Sonnenfrau mit 12 Sternen, keine 12 Apostel, kein neues Jerusalem u.a.m.). Ein weiteres Christusbild ist auch der siegreiche Reiter auf dem weißen Pferd (19,11). Doch müssen wir auch dabei unsere Phantasie zähmen. Denn selbst wenn aus dem Mund Jesu gelegentlich ein zweischneidiges scharfes Schwert kommt (2,12), so geht es dabei nicht um Kampf und Krieg, sondern um die Kraft des Gotteswortes, das seine Wirkung tut und zur Entscheidung auffordert, messerscharf (19,13). Nicht umsonst klingt gerade in diesem Zusammenhang erstmals und einzig im Neuen Testament ein vierfaches Halleluja an (19,1.3.4.6). Überhaupt ist die Apokalypse voller Lobgesänge. Aber wer kennt sie schon? Der Horror bittet zur Kasse, ist ja so lustig!

Nicht kosmische Katastrophen, sondern geistige Prozesse

Auch fallen laufend Sterne vom Himmel und die Geschichte geht dennoch immer wieder weiter. Was uns zu verstehen geben sollte: Hier geht es nicht um kosmische Katastrophen, sondern um geistige Prozesse, in denen unsere alten „Stars“ und Leitbilder zusammenbrechen, Welten für uns einstürzen, es auf uns niederhagelt usw.

Die Offenbarung ist politische Untergrundliteratur, aus einer sehr konkreten Situation heraus erwachsen, voller tiefsinniger Karikaturen und Chiffren, die einerseits verhüllen und anderseits zeigen wollen, dass die sich als Gott aufspielende Staatsmacht nicht von Dauer sein kann. Auch der historische Jesus hat sehr widerständig gehandelt, weil er an einen barmherzigen Gott glaubte und Opfer ablehnte. Dafür musste er sterben, nicht weil Gott es so wollte, sondern seine Gegner, die Hohenpriester. Doch Jesus musste standhalten, um mit den Armen, Schwachen, Kranken und allen Opfern im Namen Gottes solidarisch zu bleiben. Ebenso hat auch das neue Jerusalem der Apokalypse keinen Tempel, keinen Kult (21,22), sondern eine reiche Liturgie der Dankbarkeit, voll hymnischer Eucharistie, in der wir alle Priester und Priesterinnen vor Gott sind (5,10). Wir sollten sie nicht zum „Messopfer“ ummodeln wollen.

Widerstand gegen jede Machtideologie

Auch wir sind zum Widerstand gegen jede Machtideologie aufgerufen, gegen die Logik und das Diktat des Götzen Wirtschaft aufzustehen, aber ebenso dazu, selbst ganz wesentlich zu werden, erfüllt zu leben. Wir haben die Verheißung: Ich werde dem Dürstenden geben aus der Quelle des Lebenswassers umsonst (21,6). Nicht erst im Jenseits, sondern jetzt.
Was aber ist mit dem Gericht? Es drückt den Glauben aus, dass nichts ohne Folgen bleiben kann. Allerdings ist es wiederum höchst missverständlich, dieses göttliche Aufrichten als „Rächen“ interpretieren zu wollen (z.B. 18,20). Wir glauben zwar und hoffen fest, dass Gott den im Leben zu kurz Gekommenen ihren Mangel auffüllen wird, um zu sich selbst treu zu sein, aber wir sollten ihm nicht vorrechnen, wen er wie zu bestrafen hat.

Apokalypse als Trostbuch

Die Offenbarung ist ein Trostbuch. Wenn wir hören, was der Geist den Gemeinden wirklich zu sagen hat, werden wir bestimmt ein Stück Freiheit und Befreiung, auch von der Angst erleben und mit Geduld und Nachdruck handeln lernen. Diese Welt wird nicht ewig bestehen können, auch wir werden hier zum Glück nicht ewig leben; aber ob wir die Welt oder genauer gesagt die Menschheit in den allgemeinen Untergang drängen entscheidet sich in den nächsten dreißig Jahren. Also eine wichtige Zeit für uns alle, rasch etwas zu tun. Wir können nur gemeinsam überleben oder gar nicht. Fürwahr – Amen!        

(Peter Trummer)