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Dekanat Villach-Stadt

Was dürfen wir hoffen?

Mit Kohelet und Kant am Balancierbalken der Hoffnung – ein Kommentar von Dechant Herbert Burgstaller

Es gibt auch biblische Materialisten, die dem irdischen Glück mehr vertrauen als der jenseitigen Hoffnung. Der alttestamentliche Weisheitslehrer Kohelet ist ein Vertreter dieser Lebenseinstellung. Der herkömmlichen biblischen Weisheitslehre misstraut er. Um sie zu widerlegen, schöpft er aus seinem reichen Erfahrungsschatz. Die Kunst seiner Widerlegung von biblischen Lehrsätzen gründet in der eigenen Lebenspraxis und den Schlussfolgerungen aus Alltagseinsichten.

Mensch und Tier seien einander ähnlicher, als die biblischen Autoren vermuten lassen. Beide, so Kohelet, würden wieder zu Staub. Dass die Seele fortbestehe, will er nicht recht glauben. Außerdem seien Gesundheit und ein langes als auch glückliches Leben nicht der Lohn für einen redlichen Lebenswandel. Vielfach habe er das Gegenteil beobachtet. Dem Unredlichen waren Erfolg, Reichtum und Gesundheit beschieden, dem Rechtschaffenen hingegen Unglück und Krankheit. Gott scheint keine Gerechtigkeit zu kennen, resümiert Kohelet.

Daher dürfe man die göttlichen Gebote nicht allzu ernst nehmen. Ihre sture Befolgung zeitige keinen Lohn. Kenne vielmehr Maß und Ziel! Gebrauche Deinen Verstand, um dein Leben halbwegs zu meistern. Der Mensch ist ein endliches Wesen. In den Grenzen seiner näherhin nicht bestimmbaren Lebensdauer gilt es, sich Gelassenheit und Frohsinn anzueignen und darin ein Lebenskünstler zu werden. Unabänderliches Lebenslos annehmen lernen und realistisch Machbares aus eigener Kraft zu meistern, ist eine hohe Kunst. Wer sie beherrscht und dabei den Frohsinn nicht verliert, ist ein glücklicher Mensch. Lebe aus dem Augenblick, ergreife ihn, doch kenne das danach!

Kohelet ist seiner Zeit voraus. Seine Lebensauffassung und -einstellung lässt sich leicht in die Gegenwart übertragen. Individuelle Glücksmaximierung ist vielfach Lebensmaxime. Gott ist für die Erreichung der Lebensziele kein zuverlässiger, kein berechenbarer Faktor. Das weiß bereits Kohelet. Deshalb bricht er mit dem überlieferten Gottesbild. Es ist mit seiner Lebenserfahrung nicht vereinbar.

Auch der große Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant, wird einen neuen, lebenstauglichen Gottesbegriff konzipieren. Der alte schien ihm wenig geeignet. Anders als Kohelet wird Kant nicht das individuelle Glück in den Mittelpunkt stellen, sondern das Gemeinwohl. Das höchst Gut ist für Kant das verallgemeinerungstaugliche Ich. Was ich tun soll, gilt auch für den anderen als Norm. Was meine Pflicht ist, ist die Pflicht aller. Das nennt Kant göttliches Gebot. Menschenpflicht ist Gottes Weisung, nicht umgekehrt. Vernunft muss ohne Gotteserkenntnis zur Einsicht in das zu tun Gebotene gelangen. Die Vernunft weiß, was zu tun geboten ist. Davon ist Kant überzeugt. Eine Bibel braucht er dazu nicht.

Sowohl Kohelet als auch Kant brauchen für die irdische Daseinsbewältigung letztlich keinen Gott. Allerdings entwerfen sie unterschiedliche Lebensmodelle. Beide sind für die Gegenwart tauglich. Wer den Spuren jesuanischer Überlieferung folgt, wird Gott nicht aus dem Lebensalltag und aus dem Lebensorbit bannen. Vielmehr wird er ihn wie Jesus als einen Lebensgebleiter und inneren Gesprächspartner kennen.

Viktor Frankl nennt diesen inneren Gesprächspartner Gott. Er bezieht sich dabei allerdings nicht explizit auf den Gott der Bibel. Die Verfasser der Bibel sehen in Gott eine echte Bezugsgröße mit einem mächtigen Veränderungs- und Zukunftspotential. Das lässt den Apostel Paulus zu dem Satz durchringen, „…wider alle Hoffnung hoffen.“ Gott ist keine eingebildete Größe, kein subjektives Gefühl, sondern der bestimmende Faktor, die Größe aller Größen…allerdings unsichtbar. Ein nicht hinnehmbarer Makel für rein irdisch gesinnte Menschen.

Dechant Herbert Burgstaller