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Kant und die Welt im Kopf

Ein großer Philosoph feierte Geburtstag - Gedanken von Dechant Herbert Burgstaller

Kant und die Welt im Kopf - wie die Freiheit zur Pflichtübung wurde

Dieser Tage jährte sich der 300. Geburtstag des großen Philosophen der Aufklärung Immanuel Kant. Was Martin Luther für Theologie und Kirche an nachhaltigen Veränderungen eingeleitet hat, gilt gleichermaßen für die Philosophie nach Kants Publikation der „Kritik der reinen Vernunft“. Luther wird Reformator genannt, mit Kant wird die kopernikanische Wende des Denkens assoziiert. Der Satz der Sätze lautet: „Das Ding an sich ist bloße Erscheinung.“ Wirklichkeit ist für den Menschen Konstruktion. Ich sehe die Welt und die Dinge in ihr immer durch die Brille der Wahrnehmung und des Verstandes. Diese Brille kann ich nicht abnehmen. Salopp formuliert: „Die Wirklichkeit ist nicht wirklich wirklich.“ Mein Hirn und meine Sinne sind das Maß aller Dinge.

Luther und Kant ist eines gemeinsam. Sie setzen unabdingbar auf den Freiheitsbegriff. Der mündige Christ braucht keinen Papst für das wahre Verständnis der Bibel. Wer lesen kann, braucht keine päpstliche Lesehilfe. Die Macht des Papstes ist die Entmündigung des Christen. Was Luther über den mündigen Christen lehrt, formuliert Kant radikaler in seiner Abhandlung „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. Religiöse Institutionen haben nur dann echte Legitimität, wenn sie zur Besserung des Menschen dienen. Die Aufgabe der Religion besteht nach Kant ausschließlich in ihrer moralischen Funktion, den Menschen zur rechten Gesinnung zu erziehen und vor allem zum rechten Handeln anzuleiten. Religion ist eine Moralanstalt. Ist sie das nicht, ist sie zwecklos und absolut überflüssig.

Radikales Denken in konsequenter Umsetzung befreit von unnötigem Müll. Diesen Müll nennt Kant selbstverschuldete Abhängigkeit. Die Waffe zur Befreiung von kirchlicher Willkür und Machtausübung, zur Befreiung von der römischen Kirche und dem Papst, ist nach Luther die Heilige Schrift. Das Studium der Heiligen Schrift und der Glaube an Jesus Christus befreien vom römischen Katholizismus. Kirchen und Lehrgebäude werden entrümpelt, verstörender Prunk weicht der Nüchternheit des Glaubens. Kirchenbau und Kirchenausstattung werden zum Offenbarungseid der neu gewonnenen Mündigkeit.

Kants Mündigkeit geht entschieden weiter. Die nüchterne Vernunft wird zum Gott erhoben. Die Vernunft entzaubert und entthront alle Götter mit souveränen Machtansprüchen und -attitüden. Der Gott der Bibel, ja die Götter insgesamt, die Götter aller Nationen und Völker, bewahren ihren göttlichen Status nur dann, wenn sie den Vorgaben der reinen und praktischen Vernunft entsprechen. Passt ein Gott nicht in das Vernunftkonzept, wird er für immer verworfen. Ein Gott ist nur dann von Nutzen, wenn er dem universellen Moralanspruch genügt. Kants Religionsphilosophie und Götterlehre erhebt sich über alle Kulturen und fegt sie hinweg, wenn deren Gottesbegriff nicht der allgemeinen moralischen Erziehung des Menschen dient. Den Grundsatz: „andere Länder andere Sitten“, verwirft er als Häresie am allgemeinen Sittengesetz.

Kein Wunder, dass Heinrich Heine Kant einen Bildungsphilister der schlimmsten Art nennt. Kant soll sein ganzes Leben lang Königsberg nicht verlassen haben. Er sieht die Welt als Verwaltungsbeamter. Der ideale Weltbürger ist ein Beamter. Des Beamten höchste Tugend ist die Pflicht. Moralisch gut ist diese Tugend nur dann, wenn diese Pflichtübung durch Vernunfteinsicht und ohne Zwang geschieht, also in Freiheit. Das zu tun Gebotene wird zur freiwilligen Pflichtübung, zur freiwilligen Verpflichtung.

Darum definiert Kant Religion als „Erkenntnis aller Pflichten als göttliche Gebote“. Wo zuvor ein Heer von Priestern war, um den Weg zu Gott als Mittler zu erschließen, steht nun der Mensch mit seiner Moral alleine da. Nunmehr sagt der von Vernunfteinsicht geleitete Mensch dem Menschen, wie Menschsein richtig funktioniert. Der Mensch passt auf den Menschen auf, hat den Menschen zum Nachbarn und Beobachter. Was für mich gilt, gilt für den anderen. Das gilt für alle Menschen ausnahmslos gleich und punktgenau. Gerechtigkeit bemüht den Gleichheitsgrundsatz.

Weil Kant als preußischer Beamter den Gerechtigkeitsbegriff bis tief in die Seele verinnerlicht hat, wirkt er bis nach dem Tod nach. Wenn ein Mensch im Diesseits keine Gelegenheit für Sühneleistung von Vergehen gehabt hat, ist diese Sühneleistung oder ein etwaiger Strafvollzug im Jenseits anzutreten. Daher ist für Kant die Seele unsterblich. Klingt doch vernünftig, oder? Ob solcher abwegiger Vernunftspekulationen mag es nicht wundern, dass lange vor Kant Blaise Pascal dem Gott der Philosophen und dem reinen Denken abschwor, um sich in aller Einfalt des Herzens dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu verschreiben.

Dechant Herbert Burgstaller