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Dekanat Villach-Stadt

Gott fehlt nicht

Gedanken von Dechant Herbert Burgstaller zum Gott der Bibel im Göttermeer unserer Zeit

Kürzlich erschien ein Buch eines in Utrecht lehrenden, praktischen Theologen, worin Gottes umfassender Bankrott in Europa festgestellt wird. Gott interessiert nicht. Zumindest nicht der Gott der Bibel. Die Gottesfrage berührt weder die Gesellschaft noch das Leben. Selbst die Intellektuellen befassen sich nur noch sehr eingeschränkt mit dem Gottesbegriff. Er wird akademisch abgehandelt, nicht existentiell. Die Postmoderne ist metaphysisch obdachlos, der Himmel ist leergefegt und der Mensch gottvergessen, letztlich einsam, aber nicht unglücklich. Gott fehlt ihm nicht. Er geht nicht ab.

In der Frage nach der kulturellen und nationalen Identität spielen zur Abgrenzung zwar religiöse Symbole eine entscheidende Rolle, aber der Gottesbegriff bleibt eine Randnote. Der Halbmond steht im Schatten des Kreuzes, nicht umgekehrt. Identitäre und reaktionäre Gesellschaften verbinden ihren Wertekatalog mit Kreuz und Halbmond. Gott darf nur dann Gott sein, wenn er in das ideologische Konzept passt. Chefideologen sind Gottes stolze Propheten, Parteiführer werden zur Gottesikone stilisiert, ja sind Gottes Inkarnation. Weh denen, die nicht hören wollen. Weh denen, die sich nicht fügen. Weh denen, die das Programm nicht ehrfürchtig nachbeten. Sie sind eine ernste Bedrohung und eine Gefahr für die Gesellschaft.

Wer anders denkt, der ist verblendet. Blender lieben das Dunkel und spielen mit Ängsten. Das Licht braucht den Kontrast. Die Vereindeutigung duldet kein Zwielicht, klar und deutlich werden Grenzen gezogen, Halbschatten gemieden, Graubereiche sind tabu. Wo es die Wahrheit nicht mehr gibt, ist keine mehr. Das Reich der Schatten hat gesiegt.

Zurück zu dem in den Niederlanden dozierenden, praktischen Theologen Jan Loffeld. Ja, der Gott der Bibel interessiert nicht. Der mag abgedankt sein. Doch es gibt für ihn einen echten Ersatz. Heilsversprechen lauern hinter jeder Ecke, schwirren durch virtuelle Räume, sind am Smartphone omnipräsent, attraktiv und vielversprechend. Virtuelle Stressfaktoren überlagern die innere Leere. Aus dem Gott der Bibel sind Götter geworden. Sie schlafen nicht. Die Konkurrenz ist groß. Umfragen und Algorithmen verfehlen nicht die Steuerungsstrategie. Welcher Gott wird sich als Übergott behaupten?

Die Gottesstrategen schrecken zum Zweck der Marktbeherrschung vor Fakes und Spionage nicht zurück. Macht, Einfluss und Kontrolle sind die Haupteigenschaften der neuen Götter, der neuen Göttergeneration. Ohne sie kann niemand mehr bestehen, er verliert seine Daseinsberechtigung, gerät unweigerlich ins gesellschaftliche Out. Die neuen Götter machen ihren Einfluss geltend. Sie spielen mit den Emotionen und Urängsten der Menschen, sind Trojaner in deren Herz und Hirn. Ja, diese Götter sind mächtig, höchst raffiniert und üben auf subtilste Weise Einfluss.

Das wussten bereits die Griechen. Die Spielwiese der Götter ist die Erde. Erst Prometheus gelingt die Abnabelung. Ihm ist das Drehbuch nach Art der Götter verhasst. Er will sein eigener Regisseur sein. Ödipus hingegen geht wie geblendet seinen Weg und scheitert tragisch. Als wirklich Geblendeter fügt er sich in sein Schicksal, vor dem es kein Entrinnen gibt. Für Sophokles ist die Sachlage klar: aus den Fängen der Mutter können sich Söhne nicht wirklich befreien. Mütter und Götter sind beängstigend übermächtig.

Mag sein, dass der Gott der Bibel in Europa keinen Menschen mehr bewegt, doch er führt aus Versklavung in Freiheit. Der Gott der Bibel ist zuallererst ein Spiegel von Abhängigkeiten. Adam verlässt das Paradies, Abraham lässt die Zivilisation hinter sich, Mose führt zum ersten Arbeiteraufstand gegen Ägyptens Unterdrücker, veranlasst einen Massenexodus und eine Staatsgründung auf fremdem Territorium. Jesus wird zum Gott ohne Allmachtsattitüden, er verzichtet auf jegliches Hofzeremoniell und wird zum überzeitlichen Gastgeber und Wegbegleiter.

Gott fehlt dort, wo Abhängigkeit keinen Namen hat. Der Gott der Bibel entlarvt Abhängigkeiten und bändigt die Dämonen der Versklavung. Dieser Gott meint es wirklich gut mit uns. Er führt in eine anstrengende Mündigkeit. Kant freut sich und auch Freud kann befreit lachen.

Dechant Herbert Burgstaller