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Dekanat Villach-Stadt

Gewissen und Freiheit

Der dritte Vortrag im Rahmen der KAV-Reihe in Villach-St. Martin

Illona Wullf-Lübbert (re.) und Dr. Karl-Heinz Kronawetter referierten in Villach-St. Martin (© Foto: Pfarre Villach-St. Martin)
Illona Wullf-Lübbert (re.) und Dr. Karl-Heinz Kronawetter referierten in Villach-St. Martin (© Foto: Pfarre Villach-St. Martin)

Das Gewissen und die Freiheit standen im Mittelpunkt der KAV-Reihe Aggiornamento? Die vergessene Verheutigung des 2. Vaticanums unter dem Titel „Gott als Artefact - Das Gewissen im Freiheitstrip der Moderne“ am Donnerstag, 21.3. um 19.30 Uhr im Pfarrzentrum Villach-St. Martin mit Dr. Karl-Heinz Kronawetter und Illona Wullf-Lübbert.

Menschenbild und Gewissen

Dr. Karl-Heinz Kronawetter begann seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass das, was wir unter dem Gewissen verstehen, davon abhängt, welches Menschenbild wir haben. Der Dichter Erich Kästner sieht im Gewissen eine unverlierbare Gegebenheit, die nicht irrt, die aber überhört werden kann. Der Philosoph Wilhelm Weischedel bringt zum Ausdruck affirmative und negative Haltungen, die aber auf  einer Ebene liegen. Für den Psychotherapeuten  Viktor Frankl ist das Gewissen jenes Sinnorgan, das dem Menschen hilft, den einmaligen und einzigartigen Sinn einer konkreten Person in einer konkreten Situation aufzuspüren. Das Gewissen ist ihm zufolge eine „Stimme der Transzendenz“. Im Blick auf die lateinische Bedeutung des Wortes Person (personare-durchtönen) spricht er darüber, dass „durch das Gewissen der menschliche Person per-sonat eine außermenschliche Instanz“

Das christliche Gewissen

In der Bibel, so auch beim Propheten Jeremia, wird das Gewissen häufig mit dem Begriff Herz umschrieben. Apostel Paulus bereichert seine biblische Sicht mit einer „inneren Stimme“, dem syneidesis (lat. conscientia –Mitwissen, Bewusstsein) aus der hellenistischen Philosophie.

Augustinus verbindet das biblische Verständnis von Gewissen auch mit den Überzeugungen aus der griechischen Philosophie. Er kombiniert das alttestamentliche „höre Israel“ mit dem „erkenne dich selbst“ der hellenistischen Ethik. Die Conscientia ist das Ort der Begegnung des Menschen mit Gott. „Weil ich Gott im Innersten meiner selbst entdecke, bin ich mir dort am nächsten, wo ich Gott nahe bin.“ sagt Augustinus. Gottes Anruf und menschliche Antwort treffen sich hier. Das Gewissen ist primär aber nicht nur ein Ort der liebenden Gottesbegegnung. Es ist auch der Sitz des ethischen Verantwortungsbewusstseins. Inhaltlich orientiert es sich an der Goldenen Regel und den Zehn Gebote des Dekalogs.

Thomas von Aquin unterscheidet ein habituelles Urgewissen (synderesis), das eine natürliche und jedem Menschen mitgegebene Anlage ist, das in seinem Personsein gründet, unverlierbar ist und zur Folge hat, dass der Mensch Gut und Böse unterscheiden kann, von der aktuellen Handlungsbeurteilung (conscientia), die ein konkretes Urteil in einer ganz bestimmten Situation meint, das irren kann und doch befolgt werden muss, wenn der Mensch der Überzeugung ist, dass er damit das Gute erkannt hat. Neben diesen beiden kennt Thomas auch noch das moralische Wissen (scientia moralis), das im Laufe des Lebens erworbene Wissen um Werte und Normen.

Gaudium et Spes und das Gewissen

Diese Systematik fand auch den Eingang in die einschlägigen Texte des 2. Vaticanums. Im Gaudium et spes 16 wird das Gewissen als die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist, bezeichnet. Der Mensch trägt in sich ein Gesetz, das von Gott in seinem Herzen eingeschrieben ist. Durch die Treue zum Gewissen sind wir mit den übrigen Menschen im Suchen nach der Wahrheit verbunden.

Nach dem Gewissen handeln

Am Ende seines Vortrags betonte Dr. Kronawetter, dass unser Gewissen gebildet, entwickelt und gereift werden müsse. Im Zusammenspiel vom Urgewissen, moralischen Normen und Werten, christlichen Gesinnung werden und sollen situationsbezogen unsere Gewissensurteile erfolgen. In diesem Sinne ist das Gewissen die höchste Instanz, nach der wir uns richten müssen. Dafür wurde das Beispiel von Franz Jägerstätter, der sich aus den Gewissensgründen weigerte, als Soldat in Hitlers Armee zu dienen, genannt. Die Treue gegenüber dem Gewissen erzwang hier ein Handeln, das über die allgemeine Erwartung der gesellschaftlichen Moral hinausging. Seine Gewissensentscheidung ist ein sog. supererogatorisches Tun, eine Mehrleistung, die über das von Recht und Moral geforderte Maß hinausgeht; d. h. von sich mehr verlangen, als in vergleichbaren Situationen anderen zugemutet werden kann.

Die Berufung aber auf das Gewissen hat auch praktische Grenzen. Die Gewissenfreiheit bedeutet nicht, dass der Mensch das Recht hat, unter der Berufung auf sein Gewissen alles zu tun, was ihm beliebt. Die praktische Gewissensfreiheit hat dort ihre Grenzen, wo die Rechte der anderen Menschen verletzt werden. Gewissensfreiheit ist nicht zu verwechseln mit subjektiver Willkür.


Rolle der Frau und die Freiheit des Gewissens

Frau Illona Wullf-Lübbert widmete ihre Ausführungen der Situation der Frau in Bezug auf Freiheit und Gewissensentscheidungen, sowie auch der Anfrage an uns alle bezüglich der Stellung der Frau in der Gesellschaft und Kirche. Anhand einiger Beispiele brachte sie uns diese Thematik näher.

Zuerst führte sie das Beispiel der Antigone, die ihrem Gewissen folgte, der ungerechten Staatsentscheidung trotzte und auf eigene Verantwortung handelte. Sie starb am Ende für ihre Zivilcourage, für ihre Überzeugung und für ihr Gewissen.

Als das zweite Beispiel nannte die Referentin Johanna von Orleans. Johanna ist überzeugt, dass sie einen himmlischen Auftrag hat. Sie folgt bedingungslos ihrem Glauben und ihrem Gewissen. Sie zieht in den Kampf, entschieden, sich in einer Männergesellschaft durchzusetzen. Außerdem ist sie Jungfrau und steht dazu, in dem Glauben, allein ihre Jungfräulichkeit kann ihre Mission erfolgreich werden lassen – ein freiwilliges Zölibat Gott und ihrer Mission zuliebe. Doch nach einem kurzen Blick in das Gesicht des fremden englischen Soldaten zerbricht ihr Glaube an sich und ihre Mission und ihr Abstieg beginnt: sie vermag es nicht, den Gegner zu töten. Sie entscheidet sich trotz ihrer Mission und Pflicht aus den Gewissensgründen zu handeln.

Die Eingabe der Frauen des dritten Standes der französischen Revolution an die Regierung führte Frau Wullf-Lübbert als das dritte Beispiel an. In dieser Eingabe fordern die Frauen unter anderem die Vertretung der Frauen durch die Frauen, das Recht die Beschwerden einzureichen und die Gleichstellung der Frauenstimmen mit den Stimmen von den Männern.
Können wir heute mit unserem Gewissen vereinbaren und die Rechte der Frauen nicht ernst zu nehmen, gab  die Referentin zu bedenken. Kann sich die Kirche noch erlauben die Rolle der Frau weiterhin so betrachten und hinnehmen, wie es jetzt der Fall ist?

Eine andere Facette des Umgangs mit dem Gewissen ist am Beispiel der Tragikomödie „der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmat zu sehen. In diesem Zusammenhang stellte Frau Wullf-Lübbert einige Frage in Raum: Drücken wir hin und wieder ein Auge zu? Oder schließen wir beide? Pflegen wir Sterbende zu trösten? Auch solche, die zum Tode verurteilt werden? Wie sieht unser Gewissen im Punkte Rache bei einem erlittenen Unrecht aus? Wie oft haben wir schon bei Korruption in Staat, Gesellschaft und Kirche geschwiegen? Was sagte unser Gewissen dazu? Wo ist das Gewissen derer, die sich korrumpieren lassen?

Ihre Ausführungen schloss die Referentin mit dem Hinweis auf Jesu Wertschätzung und Achtung der Frauen ab. Am Beispiel seiner Begegnung mit einer Syrophönizierin wurde die Öffnung der Botschaft Jesu für alle Menschen sichtbar. Er offenbarte sich nach seinem Tode einer Frau mit dem Auftrag, sie solle verkünden, was sie gesehen habe.

Vor wenigen Jahren durften Frauen noch nicht einmal wählen. Wir können nicht erwarten, dass Freiheit einfach geschieht, ohne dass etwas dafür getan wird. Freiheit entsteht im Kopf, in unserem Denken und in der Folge dann erst in unserem Handeln, sagte Frau Wullf-Lübbert und fuhr fort, dass das 2. Vaticanum die Schienen für eine mögliche Zukunft im menschlichen Miteinander und im Verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung unter besonderer Einbeziehung aller Menschen legte. Es bietet uns einen guten Anlass in einen Dialog zu treten und offen anzusprechen, was uns stört, unserem Gewissen wieder bewusst zu folgen, Gott wieder zu spüren, ein neues WIR Bewusstsein zu erleben. Gott schenkte uns den freien Willen. Wenn wir uns dieser eigentlich selbstverständlichen Verantwortung bewusst sind, dann können wir frei und gerne in Gott sein und die Fenster und Türen unserer Kirche weit öffnen, uns öffnen.