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Dekanat Villach-Stadt

Das II. Vaticanum - Ein Zeitgespräch

Dechant Mag. Herbert Burgstaller führt uns im Jahr des Glaubens zum 50. Jahrestag des Konzils ins 2. Vaticanum ein

Vollversammlung des Konzils im Petersdom (© Foto: aus heiligerlexikon.de)
Vollversammlung des Konzils im Petersdom (© Foto: aus heiligerlexikon.de)

Ein Zeitgespräch

Am 11.10.1962, also vor 50 Jahren, eröffnet Johannes XXIII. die erste Sitzung des II. Vatikanischen Konzils. Verhandlungs- und Beschlussmaterie werden insgesamt vier Konzilsperioden beanspruchen, am 08.12.1965 erfolgt der feierliche Abschluss des Konzils durch Paul VI.. Das Konzil steht unter dem Leitwort „Aggiornamento“, was Verheutigung besagt. Will Kirche dem Menschen der Moderne begegnen, dann stehen Glaube und Lehre der Kirche am Prüfstand, damit aus dem Lehrgebäude kein Leergebäude, keine Gettokirche wird. Der Anspruch des Konzils besteht in der angemessenen Übersetzung der Glaubenslehre ins Heute. Außerdem erfolgt eine Standortbestimmung über Wesen und Dienst der Kirche in der Welt von heute. Das Ergebnis sind 4 Konstitutionen, 9 Dekrete und 3 Erklärungen.

Eine kleine Vorgeschichte
Gesellschaft im Wandel
Die Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 leitet nicht nur den Aufbruch in die Neue Welt ein, zugleich geht damit ein Aufbruch in die neue Freiheit einher. Reformer üben sich im Kräftemessen mit anerkannten Autoritäten. 1517 folgt Luthers Thesenschlag. Der aufkeimende Freiheitsdrang lässt Glauben zu Landeskirchen werden, Fürsten entscheiden. 1789 wird mit der Französischen Revolution sukzessive der Fürst seiner souveränen Macht beraubt. Bürger kämpfen für ihre Rechte, Staat und Gesellschaft erleben massive Umbrüche. Was Karl Marx formuliert und Lenin in einem kommunistischen Staatsgefüge umsetzt, entstammt der Ideenwelt Hegels. Wenn schon Reichsfürsten entthront werden, müsse auch Gott entthront werden, wird Feuerbach zu Papier bringen. Der wahre Gott, das ist der Mensch, lehrt Feuerbach Marx beten. In diesem Chor wird auch Nietzsches Stimme schrill vernommen, er proklamiert den Tod Gottes. Die Umwertung aller Werte lässt totalitäre Systeme entstehen.

Wissenschaft im Wandel
Die Beobachtung und das Experiment leiten die große Wende im wissenschaftlichen Betrieb ein, die Naturwissenschaft wird das Feld der Wissenschaften dominieren. Freuds Tiefenpsychologie enträtselt in einer gewagten Hypothese das Rätsel Mensch, indem er das Überich mit dem Triebling Es versöhnt und wahre Ichwerdung feiert. C. G. Jung will Freud um nichts nachstehen und entdeckt ein ganzes Universum im Menschen, das kollektive Unbewusste. Dass der Mensch Gefangener seiner selbst ist, wird Wittgensteins Erkenntnis sein. Die Grenzen der Sprache ziehen die Grenzlinien der Welt. Ein Jenseits ist sprachlos, Erkenntnis ist nur sehr eingeschränkt möglich. Zwischenzeitlich formuliert Albert Einstein seine Relativitätstheorie, die Atombombe wird konstruiert, Satelliten umkreisen den Erdball. Der Biochemiker Jaques Monod lüftet das Geheimnis der Evolution: ein schlichter Übersetzungsfehler der DNA. Die Krone der Schöpfung verliert ihren Glanz.

Theologie im Wandel
Mit der Frage nach der Entstehung der Heiligen Schrift und nach der geschichtlichen Verortung sowohl der in ihr handelnden Personen als auch der Abfassungszeit der einzelnen Texte wird die Menschwerdung Gottes methodisch eingeholt. Das Heilige liegt am Seziertisch der Wissenschaft. Wer die Bibel nicht buchstäblich nimmt, hat die erste Lektion der Schriftauslegung verstanden. Aussageabsicht des Verfassers und die literarische Form sind zweckdienliche Mittel für die inhaltliche Annäherung an eine Textstelle. Anleihen aus der vergleichenden Literaturwissenschaft sind hilfreich. Die Frage nach dem historischen Jesus wird gestellt. Ein Mythos wird entzaubert. Rudolf Bultmann warnt vor vorzeitiger Verklärung des Glaubens und söhnt den verklärten Christus mit dem Mann aus Nazareth aus. Das Zeitalter der Aufklärung hat die Theologie eingeholt, wenn nicht überholt. Die Frage aller Fragen wird gestellt: „Wie verhält es sich mit dem Wunder?“ „Der aufgeklärte Glaube bedarf des Wunders nicht.“, lautet kurz und bündig die Antwort. Was Bultmann in Annäherung an Jesus Christus zur Methode macht, dessen hat sich der Philosoph Martin Heidegger im Vorfeld in der Frage nach dem Sein des Seienden bedient. Er bricht radikal mit der traditionellen Seinslehre, weil sich das Sein des Seienden nicht vergegenständlichen lässt. Die alte Schule tut so, wie wenn sie über das Sein des Seienden wie über einen Gegenstand verfügte. Sie tue es nicht, stellt Heidegger klar und findet in der Seinskehre Erhellung. Wie das Sein nicht beliebig verfügbar ist, sich also als fraglich erweist, so verhält es sich auch mit dem Heiligen, mit Gott. Einige Theologen des 20. Jahrhunderts werden die Grundgedanken der Seinslehre Heideggers übernehmen und eine Neuformulierung der Glaubenslehre wagen. Unter ihnen findet sich der Konzilstheologe Karl Rahner. Er vertritt einen neuen Ansatz. So wenig sich Gott vergegenständlichen lässt, so wenig lässt sich der Mensch vergegenständlichen. Die Objektsprache hat in der Theologie ausgedient. Das Was wird durch das Wer ersetzt. „Wer ist Gott und wer ist der Mensch?“, sind die Grundfragen, „wo ereignen sich Sinnerschließung und Offenbarung?“, lauten die Fragen weiter. Inwiefern Glauben den Menschen existentiell berührt, erörtert der Denker Kierkegaard. Ihn werden andere Theologen zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen, um den Glauben neu zu buchstabieren. Hans Küng, der das Konzil als Theologe miterlebt, zählt zu ihnen.

Kirche im Dialog mit der Zeit
Das Selbstverständnis der Kirche wird auf Grundlage der Moderne reflektiert. Die Konzilstexte betreffen sowohl das Innenleben der Kirche als auch die Verhältnisbestimmung nach außen. Das Innenleben wird in der Konstitution „Lumen gentium“ (Licht der Völker) beleuchtet, worin von Kirche als Zeichen und Werkzeug für die innige Verbindung mit Gott  die Rede ist. Gottes Bündnispartnerschaft mit seinem Volk erfährt eine heilsgeschichtliche Darlegung, die in der Mittlerschaft Chisti gipfelt. Das Priestertum aller Gläubigen gründet in der einen Taufe. Das hierarchische Priestertum sieht die Fülle des Weihesakramentes in den Bischöfen, den Nachfolgern der Apostel, verwirklicht. Die Presbyter (Priester) üben das dreifache Amt des Lehrens, Leitens und Heiligens in Hinordnung auf den Bischof aus. Der Diakonat als eigenständiges Dienstamt wird wiederentdeckt. Kirche dient dem Heil der Menschen. Gründe werden angeführt, in denen Heil auch außerhalb der Kirche möglich ist: „Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluss der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen. Die göttliche Vorsehung verweigert auch denen das zum Heil notwendige nicht, die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind, jedoch, nicht ohne die göttliche Gnade, ein rechtes Leben zu führen sich bemühen.“ (LG 16)
In der Konstitution über die Offenbarung „Dei verbum“ (Gottes Wort) stehen Vernunft und Glaube in keinem Widerspruch, die natürliche Theologie, also Gotteserkenntnis mit dem Licht der natürlichen Vernunft, wird wiederholt bejaht. Die Heilige Schrift beinhaltet das von Gott Geoffenbarte, Gott spricht durch Menschen zum Menschen. Die Kunst der Schriftauslegung wird durch die historisch-kritische Methode bereichert. Wie verbunden Kirche den Menschen sein will, wird in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ (Freude und Hoffnug – Kirche in der Welt von heute) entfaltet. Der Einleitungssatz nennt  programmatisch das Anliegen der inhaltlichen Auseinandersetzung: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ (GS 1) Der Autonomie des Menschen und seiner unveräußerlichen Würde wird durch den Primat des Gewissens bedingt entsprochen:
„Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und  das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist…Nicht selten jedoch geschieht es, daß das Gewissen aus unüberwindlicher Unkenntnis irrt, ohne daß es dadurch seine Würde verliert.“ (GS 16) Ein vordringliches Anliegen ist dem Konzil nicht nur die Ökumene, ihr ist ein eigenes Dekret gewidmet, auch eine Erklärung über die Religionsfreiheit wird verfasst, die in der Würde der Person ihre Begründung findet. Das Verhältnis zu den anderen Religionen wird im Ansatz dadurch offener, als es auch in ihnen einen Strahl der Wahrheit zu erkennen gibt: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.“ (Dignitatis humanae 2).
Die tätige Teilnahme (participatio actuosa) wird in der Liturgiekonstitution „sacrosanctum concilium“ ausführlich behandelt, schließlich ist die Eucharistie ja Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens. Die Muttersprache wird erlaubt, die Einbindung von Laien innerhalb der Gemeindemesse gefordert. Die Feier des Wortes Gottes innerhalb der Messe erfährt eine  Ausweitung und trotz innerer Verschränkung mit der Eucharistie eine eigene sichtbare Verortung. Die Hörer des Wortes werden zugleich lebendige Opfergabe. Ambo und „Volksaltar“ gehören nunmehr zur Architektur des Glaubens, der in einer schnelllebigen Zeit im rituellen, heiligen Schweigen selige Unruhe stiftet.

Dechant Mag. Burgstaller Herbert

(Diesen Text können Sie auch in der Villacher Brücke,  7. Jahrgang - Nr. 8. September/Oktober 2012  nachlesen.)