Pfarre

St. Andrä im Lavanttal

Verzeih!

Gedanken zum 24. Sonntag im Jahreskreis von Dechant P. Gerfried Sitar

Wer sich dem Leben Jesu aufmerksam widmet, wird feststellen, dass Vergebung in seiner Lehre eine ganz zentrale Rolle spielt. Wer nicht vergibt, hat das Evangelium nicht verstanden und auch nicht begriffen, dass er selbst des Vergebens anderer bedarf. Wir erfahren täglich unsere eigenen Grenzen, und müssen erschrocken feststellen, dass wir oft in unserem Bemühen, gute Menschen zu sein, scheitern. Wir ertappen uns dabei, wie wir neidvoll auf andere schielen, anderen den Erfolg missgönnen, uns selber besser darstellen wollen als wir sind, schlecht über andere reden, Pläne schmieden, um Gegner auszubooten, nicht die Wahrheit sagen, uns davor drücken, uns für andere zu engagieren, mehr haben wollen, als andere … und, und, und. Die Liste ist endlos.

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf (Homo homini lupus). Dieses alte lateinische Sprichwort zeigt sehr deutlich, dass sich über Jahrhunderte nichts verändert hat.

Der Kodex Hammurapi (ca. 1750 v. Chr.) forderte Auge um Auge, Zahn um Zahn … Das könnte man durchaus als das Prinzip des Rechts verstehen, würde da nicht jener Aspekt zum Tragen kommen, der Barmherzigkeit als Basis für einen Neuanfang versteht. Jeder Neubeginn braucht eine klare und ehrliche Selbstreflexion und das Erkennen, dass bisher eingeschlagene Wege Irrwege gewesen sind. Es braucht aber genauso das herzliche Vergeben der anderen. Darin liegt nicht selten der Haken auch des christlichen Zusammenlebens. Alte Fehler werden immer wieder „aufgekocht“ und vor Augen gestellt. Das ist wie ein Teufelskreis, der es unmöglich macht, daraus auszubrechen. Wer vergibt, muss auch das Vergessen üben. Da führt kein Weg vorbei. Wo Vergebung halbherzig geschieht, ist sie nicht wirklich geschehen. Vergebung ist der Grundstein für ein fruchtbares Zusammenleben in Gemeinschaften. Dazu gehören ebenso Familien oder Pfarrgemeinden, Schulgemeinschaften, Arbeitsgruppen, Klöster etc.

Wo wir das Vergeben nicht neu üben, hinken wir hinter dem Anspruch Jesu für seine Nachfolge hilflos hinterher.

Da hilft es nichts, wenn wir 1000 Mal betonen, dass wir uns bemühen, gute Christen zu sein und das in ausladenden und vielleicht sogar öffentlichen Gebeten formulieren. Ein guter Christ ist zunächst einer, der vor der eigenen Türe kehrt und sich darum bemüht, die täglichen Fehler in den Griff zu bekommen, sie aber sieht und nicht klein redet, und einer, der bereit ist, die Großzügigkeit, die er von Gott erwartet, auch seinem Nächsten zu schenken.

Einen guten Christen zeichnet diese Großzügigkeit im Umgang mit den anderen aus – die Fehler zwar zu missbilligen, den aber, der sie begeht, trotzdem zu lieben.

Daran scheitern viele. Das vermeintlich Perfekte wird schlecht durch den kleinsten Defekt. Wir beurteilen andere nicht selten aufgrund dieser Defekte und nicht aufgrund dessen, was ihnen gelingt. Wir legen gerne den berühmten Finger in die schmerzenden Wunden und sind nicht wie ein weiser Arzt, der heilende Umschläge darüber legt. Wir decken Fehler der anderen lieber auf, als ihnen dabei zu helfen, diese wieder gut zu machen und zu vermeiden. Die Gesellschaft lebt nach der Devise: Die Schwächen meines Gegenübers sind meine Stärke. Die Folge ist die Verrohung des Umgangs, den wir täglich dramatisch erleben – in Politik, Wirtschaft und leider auch in der Kirche. Auch dort beobachte ich, wie der Umgang miteinander wenig mit dem zu tun hat, was Jesus lehrt. Man ist sehr selbstgerecht geworden und merkt dabei gar nicht, wie leer dadurch Verkündigung geworden ist. Ich wäre sehr gespannt, was manche Hassprediger an diesem Sonntag predigen oder fühlen, wenn es um das Vergeben und die eigene Schuld geht. Eines weiß ich sicher: Betreten schweigen werden sie wohl kaum, aber vielleicht doch ein wenig über eigene gravierende Verfehlungen nachdenken. Das ist schon ein guter erster Schritt, um wieder mit Aufrichtigkeit bekennen zu können: Mea culpa! Mea maxima culpa! Der gute Gott hat längst vergeben. Vielleicht schaffen wir das auch.

Ich wünsche uns allen einen kritischen Blick auf uns selbst und einen liebenden auf den Nächsten!

Herzlich, Ihr P. Gerfried Sitar