Pfarre

St. Andrä im Lavanttal

A. D. V. E. N. T.

Gedanken zum ersten Adventsonntag von Dechant P. Gerfried Sitar

A chtsam zu sein bedeutet, sich nicht vom Sog der Zeit mitreißen zu lassen und in eine Gleichgültigkeit abzudriften, die uns zu Egoisten verkommen lässt. Es bedeutet, sich aufeinander einzulassen und das Gespür füreinander nicht zu verlieren, wenngleich die derzeit geltenden Abstandsregeln es uns nicht einfacher machen – oder …. uns vielleicht darin fördern? Achtsam zu sein bedeutet, das Wohl des anderen im Blick zu haben und das eigene Leben so auszurichten, dass ich mir selber die Frage stelle, wie mein Tun sich auf das Leben anderer auswirkt. Das meint Jesus, wenn er von der Wachsamkeit spricht. Wenn wir über unser eigenes Leben wachen und kritisch Entwicklungen wahrnehmen, die uns selbst schaden, dann können wir unser Dasein gestaltend in die Hand nehmen und etwas zum Guten verändern.

D emut ist ein Begriff, den wir gerne aus unserem Vokabular streichen, weil sie oft mit Schwäche verwechselt wird. Echte Demut ist allerdings das Gegenteil davon, sie ist Stärke, weil sie den anderen gelten lässt. Von Papst Johannes XXIII. erzählt man, dass er eines Tages in sein Tagebuch schrieb: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig!“ Demut ist wie ein Spiegel der Selbstkritik, der uns in unserer zeitweisen Realitätsfremde auf den Boden zurückbringt und uns deutlich macht, dass wir bedürftige Menschen sind, die regelmäßig an ihre Grenzen stoßen. Das ist nicht bitter, sondern schafft eine Gelassenheit, dass wir nicht alles leisten müssen, sondern in erster Linie Mensch sein dürfen. Deshalb hat Gott wohl das Schwache gewählt, um Mensch zu werden, um dem Menschen zu zeigen, dass es gut ist, dass er seine „Schwachheit“ annimmt.

V ernunft steht manchmal im Gegensatz zum Gefühl, hat aber im Leben eine wichtige Bedeutung. Der vernünftig denkende Mensch ist reflektiert und überlegt sein eigenes Tun, er überrollt andere nicht, sondern setzt seine Schritte bewusst. Ein altes Sprichwort meint: Wenn du es eilig hast, dann gehe langsam! Wer nicht hetzt, nimmt wahr und ist „wachsam“ für jene Eindrücke, die ihm das Leben bietet und die ihn inspirieren. Im Weniger entdeckt man das Mehr, weil es nicht verstellt ist durch unnötigen Ballast, der uns im Laufe unseres Lebens aufgebürdet wird. Wachsamkeit lehrt uns von Neuem das Staunen! Die Vernunft wägt ab und lässt uns dort wachsam werden, wo wir den Blick für das Wesentliche schärfen und uns Gedanken darüber machen, was wir zur Zufriedenheit wirklich brauchen – und was eben nicht.

E mpathie, für etwas zu brennen, kommt aus der Wachsamkeit. Wo wir das innere Feuer lebendig halten, weil wir wachsam sind, damit es nicht erlischt, schaffen wir es, Mögliches wahr werden zu lassen, weil wir uns dem scheinbar Unmöglichen nicht verschließen. Glaube hat sehr viel mit dem unmöglich Scheinenden zu tun, weil rein menschliche Maßstäbe dabei ihre Gültigkeit verlieren und Vertrauen gefragt ist. Ich denke oft an eine Begebenheit in meiner Kindheit zurück, als ich auf ein Dach geklettert bin und alleine nicht mehr fähig war, auf den Boden zurückzukommen. Mein Vater stand unten, breite die Arme aus uns rief: Spring! Ich sprang - ohne nachzudenken, weil ich darauf vertraute, dass er mich fangen würde, ohne es genau zu wissen. Und er hat mich sicher aufgefangen.

N eugier im guten Sinne verhindert, dass wir erstarren. Sie schafft Bewegung, weil uns das Interesse am Leben lebendig hält. Auch das hat mit Wachsamkeit zu tun! Der muntere Blick nimmt vieles wahr, wo das Leben Antworten auf unzählige Fragen gibt. Die Neugier am anderen meint nicht den Tratsch, sondern das Bemühen, den anderen immer neu kennenzulernen, Neues an ihm zu entdecken und ihn verstehen zu lernen. Wenn ich über meinen Nächsten etwas erfahren möchte, dann braucht es dafür nicht geschwätzige Nachbarn, sondern vor allem Zeit, um mich ganzheitlich auf mein Gegenüber einzulassen.

T reue schafft schließlich Kontinuität im Leben. Sich selber treu zu sein, um es auch anderen gegenüber sein zu können, das ist vermutlich das Schwierigste. Auch das hat sehr viel mit Wachsamkeit zu tun, denn Treue zur eigenen Lebenslinie bedeutet nicht selten, sich immer wieder bewusst abzugrenzen von Trends und Kurzzeiterscheinungen, um nicht zerrissen zu werden zwischen den vielfältigen Ansprüchen, die durch das Leben herangetragen werden. Wer sich selber treu ist, schafft damit eine gute Gleichmütigkeit, die in eine tragende innere Ruhe mündet. Wer nicht ständig nach Neuem strebt und atemlos dabei wird, sondern lernt, aus dem Vorhandenen zu gestalten, der wird Treue als wichtiges Instrument zur Selbstfindung erkennen und darf gespannt darauf sein, wieviel Göttliches er in sich selbst finden wird. Gott begegnet uns im wachsamen Umgang mit uns selbst und mit anderen – nirgendwo anders.

Ich wünsche Euch allen einen guten Advent und viel Wachsamkeit, um Gott dort zu erfahren, wo Ihr es nicht vermutet hättet.

Herzlich, Euer P. Gerfried Sitar