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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Haben uns die vergangenen Wochen neue Perspektiven aufgezeigt?

Michael Kapeller, Leiter des Instituts für kirchliche Ämter und Dienste, im Interview zur Corona-Krise und welche positiven Impulse das uns als Kirche für eine Weiterentwicklung geben kann

Foto: Irmengard Kapeller-Salcher; bearb.: Haab
Michael Kapeller, Leiter des Instituts für kirchliche Ämter und Dienste

Welche Sorgen und Freuden haben Sie in den vergangenen acht Wochen wahrgenommen?
Kapeller: Drei Punkte haben für mich diese acht Wochen gekennzeichnet. Ein erster ist das, was Karl Rahner als die Erfahrung bezeichnet, dass unsere Existenz völlig ungesichert ist. Bisher habe ich immer den Eindruck gehabt, die nächste Zukunft überblicken zu können und sehr viele, tragende Momente zu haben, auf die ich mich verlassen kann. Mit dem Corona-Virus, das über uns hereingebrochen ist, war plötzlich sehr vieles ungesichert, fraglich und mit Spannung versehen.
Eine zweite Beobachtung ist: Worauf wir in den letzten acht Wochen verzichtet haben um eines höheren Gutes – der Gesundheit – willen, war zu Jahresbeginn noch völlig unvorstellbar. Zu Jahresbeginn hätte ich mir nicht einmal im Ansatz vorstellen können, dass solche Wochen denkbar sind. Blicke ich nun auf die ökologische Krise, die immer noch da ist und uns beschäftigen wird, dann denke ich mir: Wenn wir es mit dem Lock-Down geschafft haben, das Corona-Virus zu bannen – was mit der Anstrengung aller hoffentlich gelingen wird –, werden wir auch die Herausforderungen der ökologischen Krise und der Klima-erwärmung bewältigen können.

Und der dritte Punkt?
Kapeller: Eines der zentralen Elemente der Strategie der WHO und der Bundesregierung war, Distanz zu halten. Es war für mich positiv überraschend, wie nahe man sich kommen kann, wenn man Distanz hält. Also eine starke Erfahrung der Solidarität und Verbundenheit gerade in einer Situation, in der man voneinander getrennt ist.

Haben Sie ähnliches auch innerhalb der Kirche beobachtet?
Kapeller: Seit dem Konzil gehen wir ganz selbstverständlich mit der Formulierung um, dass die Eucharistie Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens ist. Ich habe mich bisher eher mit dem Thema Höhepunkt beschäftigt. Wie kann die Eucharistie gefeiert werden, dass sie als Höhepunkt christlichen Lebens erlebt wird? Wie kann man dazu hinführen, das unterstützen? Zum ersten Mal habe ich jetzt erlebt, was es heißt: Es geht nicht um den Höhepunkt, sondern um die Quelle. Und diese Quelle war für viele nicht zugängig. Das löst im Gesamt der Kirche etwas aus.

Können Sie das ein wenig erläutern?
Kapeller: Es löst die Spannung aus, dass ein kleiner Teil weiterhin zu dieser Quelle Zugang hat und ein großer Teil nicht. Das hat Priester wie Laien beschäftigt. Priester haben mir erzählt, dass sie sich unwohl fühlen, wenn sie in der Messe kommunizieren und sich von der Eucharistie stärken, aber dabei wissen, dass viele andere es nicht können. Sie haben es dann stellvertretend getan, und es war gewiss wertvoll so, aber es macht eine Spannung sichtbar. Ein Weiteres ist, dass es eine große Sehnsucht nach der Eucharistie gibt und dass man diese Quelle nicht einfach durch etwas anderes ersetzen kann. Das macht die Pandemie besonders deutlich: Diese Quelle bleibt eine Quelle, die unverzichtbar für uns ist. In den letzten Wochen gab es aber auch eine weitere Erfahrung, nämlich „Kirche sein“ heißt nicht in die Kirche gehen.

Woran machen Sie diese ergänzende Beobachtung fest?
Kapeller: Viele bemerken: Ich kann jetzt nicht in der Kirche die ^Messe mitfeiern, dieser Fixpunkt in meinem Glaubensvollzug ist ausgesetzt. Kann ich jetzt nicht mehr Christ sein? Und dann die Erfahrung: Schon! Denn Christ-Sein ereignet sich in der zwischenmenschlichen Begegnung, besonders auch in der Familie, im Hören auf das Wort Gottes, im Beten und miteinander Singen: Das ist gelebter Glaube. Und dadurch wird die Dimension noch einmal geweitet vom Kirche-Sein in der Eucharistie zum Kirche- und Christ-Sein mitten im Alltag.

Wir haben in der Pandemie gelernt, langsamer zu sein, hinhören zu müssen.

Wie haben Sie die gesetzlichen und die kirchlichen Maßnahmen wahrgenommen?
Kapeller: Die Corona-Pandemie hat uns diesbezüglich vor eine neue Situation gestellt. Die Form, wie die Österreichische Bischofskonferenz mit dem Staat die Regeln ausgehandelt hat, und die Festlegungen selbst haben teils zu großen Spannungen geführt. Da gab es einerseits viel Verständnis und andererseits viel Ärger. Nämlich in der Wahrnehmung: Als Kirche dürfen wir uns nicht unter den Staat stellen, kein Staat kann uns an der Verkündigung des Glaubens hindern! Aber in einem säkularen Staat, in dem die Kirche ein wesentlicher, durch Religionsfreiheit geschützter Teil ist, hat sie sich auch in das einzuordnen, was das Gesamtgefüge des Staates vorgibt. Das ist ein schmerzvoller Prozess, der aber dazu führt, dass wir als Kirche gesellschaftspolitisch im 21. Jahrhundert ankommen.

Welche Perspektiven sehen Sie für den nun anstehenden Weg?
Kapeller: In der Kirche haben wir einen ähnlichen Prozess vor uns wie die Gesamt-Gesellschaft: Wir werden schrittweise wieder hochfahren. Da würde ich mir wünschen, dass wir so langsam vorgehen, dass dabei immer der Auftrag Jesu aus der Bergpredigt leitend ist: Wie können wir Salz der Erde und Licht der Welt sein? Können wir das mit dieser Aktion und jener Maßnahme, oder haben wir vielleicht über diese acht Wochen gelernt, dass anderes wichtiger und wesentlicher ist?

Davon ausgehend, dass Gott auch in der Krise an unserer Seite steht und dass sein Geist uns etwas sagen möchte: Welche Lernfelder sehen Sie, welche Chancen warten darin auf uns?
Kapeller: Wir haben in der Pandemie gelernt, langsamer zu sein, hinhören zu müssen. Wir haben auch die eigene Ohnmacht aushalten müssen. Das ist eine gute Voraussetzung, einen zentralen Auftrag von Kirche erfüllen zu können, nämlich über das Wahrnehmen der eigenen Gebrochenheit und Ohnmacht feinfühlig zu sein für die Nöte der Menschen, die ganz unterschiedlich sein können: materielle Sorgen durch Arbeitslosigkeit, soziale und psychische Nöte, Spannungen in der Familie und Einsamkeit. Wenn wir als Kirche diese Hellhörigkeit mitnehmen, erfahren und vermitteln wir etwas von der Zuwendung Gottes.
Ein zweites Moment ist, dass wir Gemeinschaft leben und erleben, die stärkt. Die Streaming-Gottesdienste der letzten Wochen haben den Horizont kirchlicher Gemeinschaft geweitet und uns vielen Menschen nähergebracht. Diese positive Erfahrung werden wir gewiss mitnehmen. Die direkte Begegnung können sie aber nicht ersetzen. Wenn wir uns jetzt wieder versammeln, können wir so miteinander umgehen, dass Gemeinschaft erfahrbar wird und Menschen sich aufgehoben, wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen.
Ein Letztes, das wir lernen und als Stärke entwickeln können: von einem Glauben zu sprechen und einen Glauben zu leben, der berührt. Wir kommen aus einer Situation des Social Distancing, wo es notwendig war, einander nicht zu berühren. Vielleicht hat uns das bewusst gemacht, wie notwendig Berührungen sind. Berührungen im Sinne von Begegnungen; das kann ein Blickkontakt sein, eine Aufmerksamkeit füreinander, die den anderen oder die andere im Anderssein wahrnimmt und sich ungeteilt zuwendet, nicht nur beiläufig. Ich glaube, dass sich darin Christusbegegnung ereignet.

Interview: Georg Haab

Zur Person: Dr. Michael Kapeller, geb. 1971, Studium der Theologie in Graz, lebt mit seiner Familie in Klagenfurt und leitet seit 2010 das Institut für kirchliche Ämter und Dienste. In den vergangenen Wochen hat er auf der Diözesanhomepage regelmäßig theologische Reflexionen zur aktuellen Situation veröffentlicht.

>> zur Artikelserie "Die Corona-Pandemie im Spiegel der Theologie"