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Halt suchen

Theologische Fragmente in Zeiten von Krisen 4/1

Halt suchen (fietzefotos_pixabay_pfarrbriefservice.de)
Halt suchen (fietzefotos_pixabay_pfarrbriefservice.de)

Pandemie, Ukraine-Krieg, Überflutungen, Waldbrände, Teuerung, Hunger-, Flüchtlings- und Energiekrise wechseln sich ab und überlagern einander. Was gibt Halt in diesen schwierigen Zeiten? Und wie können wir einander Halt geben? Diesen Fragen geht der Theologe Michael Kapeller in einer Kurzserie von vier „Theologischen Fragmenten in Zeiten von Krisen“ nach.
Den ersten Beitrag „Halt suchen“ lesen Sie hier:

In der Spur von Sisyphus

Immer und immer wieder derselbe Vorgang. Langsam, mit förmlich letzter Kraft, nimmt Sisyphus den Stein auf, schleppt ihn die Anhöhe hinauf, legt ihn erleichtert ab und muss ein weiteres Mal tatenlos mitansehen, wie er sich in Bewegung setzt, zu rollen beginnt und erst am Fuße des Hügels zum Stehen kommt. Dann beginnt alles wieder von vorne. Was in der griechischen Mythologie Ausdruck der Strafe für den König Korinths ist, der den Tod zweimal zu täuschen wusste und dies nun in der Unterwelt eine Ewigkeit lang büßen muss, ist als „Sisyphusarbeit“ zum Sinnbild der Vergeblichkeit geworden. Albert Camus vermag im Schicksal des Sisyphus noch ein Moment der Zufriedenheit, ja des Glücks zu erkennen, da „dieser Fels seine Sache ist“ und seine Lebensaufgabe darstellt. 2022 klafft dieses Gefühl der Vergeblichkeit jedoch als Überforderung auf. Denn es ist längst nicht mehr nur ein Fels, den es hinaufzurollen gilt und der sich immer wieder in Bewegung setzt. Vom Boden über den der Felsen nach oben gewälzt wird, lösen sich vielmehr Steine, reißen andere mit sich und wachsen sich zu Felslawinen aus. So wird bereits der Anstieg zum förmlichen Spießrutenlauf, gekennzeichnet von der ständigen Anspannung, welche Katastrophe die nächste sein könnte. Pandemie, Ukraine-Krieg, Überflutungen, Waldbrände, Hunger- und Flüchtlingskrisen wechseln sich ab und überlagern einander. Alles scheint in Bewegung geraten zu sein, nicht nur der Fels, auch der Berg. So mündet diese Sisyphus-Wanderung der Vergeblichkeit trotz des vermeintlich immer gleichen Weges in eine abgrundtiefe Weglosigkeit.

Elija in der Wüste

Auch die Bibel kennt mit dem Propheten Elija einen Wanderer, der all seine Anstrengung als sinnlos und vergeblich erlebt. Vor der Rache der Isebel flieht er in die Wüste, legt sich unter einen Ginsterstrauch und wünscht sich den Tod. Doch ein Engel rührt ihn zweimal an und fordert ihn auf: „Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich!“ (1 Kön 19,7). Gestärkt mit dem Brot, das Elija neben seinem Kopf findet bricht er auf zum Gottesberg Horeb. Dort angekommen klagt er dem Herrn seine Enttäuschung und die Vergeblichkeit all seines Tuns. Der Herr aber heißt ihn, aus der Höhle herauszutreten und zeigt sich ihm, nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer, sondern in einem sanften, leisen Säuseln. Doch der Gipfel ist auch für Elija nicht ein Ort des Verweilens, des dauerhaften Glücks. Vielmehr fordert der Herr den Propheten auf: „Geh deinen Weg durch die Wüste zurück.“ (1 Kön 19,15).

Halt suchen in Gott

Einer der bedeutendsten christlichen Lehrer begreift sich selbst als großen Suchenden und Ringenden, Aurelius Augustinus. In seinen Confessiones, seinen Bekenntnissen, stellt er sein ganzes Leben unter das Vorzeichen eines Haltfindens im Leben durch die ständige Suche nach Gott. Doch Gott, so weiß Augustinus aus der Schrift, ist unfassbar groß und weit, unerreichbar fern. Daher bedeutet Gott suchen für ihn, Gott anrufen. Doch dies hat Konsequenzen.

„Wie aber soll ich meinen Gott anrufen, (…) denn ihn anrufend werde ich ihn sicher in mich hineinrufen? Aber wo wäre Raum in mir, den mein Gott in mir einnehmen sollte?“ (Aurelius Augustinus)

Gott Raum schenken und dabei wissen: Er lässt sich nicht fassen, nicht festhalten, er führt den Menschen zu sich selbst und darin über sich hinaus. Dieser Weg ist keiner der Vergeblichkeit, denn er hat ein klares Ziel – Ruhe finden, in Gott.