„Südtirol und Südkärnten: Gesellschaftliche Herausforderungen damals und heute“ - Bischof Marketz betont Friedens- und Versöhnungsdimension von Kirche
Südtiroler Bischof Muser: Minderheit ist vor allem Chance, Auftrag und Reichtum
Klagenfurt, 25. 11. 25 (pgk). Hochkarätige Veranstaltung mit zwei Bischöfen und zwei Landeshauptmännern im Bildungshaus Sodalitas Tainach/Tinje: Der Kärntner Diözesanbischof Dr. Josef Marketz, der Südtiroler Diözesanbischof Dr. Ivo Muser (Diözese Brixen/Bozen) sowie die beiden Landeshauptleute Dr. Peter Kaiser (Kärnten) und Dr. Arno Kompatscher (Südtirol) waren gestern Abend Diskutanten und Impulsgeber bei der Veranstaltung zum Thema „Südtirol und Südkärnten: Gesellschaftliche Herausforderungen damals und heute“ im Katholischen Bildungshaus Sodalitas in Tainach/Tinje.
Bischof Marketz bezeichnete in seinem Statement Südkärnten als eine Region, die seit dem Zweiten Weltkrieg in besonderer Weise von den Bruchlinien und Wunden europäischer Geschichte geprägt sei. „Die Kirche stand – und steht – mitten in diesen Spannungen. Ihre Aufgabe war und ist es, Orientierung zu geben, Versöhnung zu fördern und Hoffnung zu stärken“, so der Kärntner Bischof. Nach 1945 sei Südkärnten ein Raum der Unsicherheit gewesen. Politische Spannungen zwischen der deutschsprachigen und der slowenischsprachigen Bevölkerung seien durch die Ereignisse des Nationalsozialismus und des Partisanenkampfes verschärft worden. „Daraus resultierten Traumata, mit denen wir auch heute leben und umgehen müssen“, sagte Bischof Marketz, der ausdrücklich darauf hinwies, „dass die Kärntner Sloweninnen und Slowenen Kärnten als ihre Heimat bezeichnen“. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei für viele Menschen in Südkärnten die Kirche zu einem der wichtigsten sozialen und moralischen Bezugspunkte geworden. Sie habe Muttersprache, Heimat und Halt im Glauben vermittelt. Gleichzeitig war die Kirche auch herausgefordert, ihre Rolle während des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Überall dort, wo die Kirche deutlich für Menschenwürde, Minderheitenrechte und Dialog eingetreten sei, sei sie zu einer Kraft der Versöhnung geworden und habe breite Akzeptanz gefunden. Das Zweite Vatikanische Konzil und die darauffolgende Diözesansynode hätten entscheidende Impulse für das Miteinander der beiden Volksgruppen gesetzt, die Friedens- und Versöhnungsdimension der Kirche gezeigt und deutlich gemacht, dass „Versöhnung kein abgeschlossenes Projekt, sondern ein fortlaufender Prozess ist“, sagte der Kärntner Bischof und ermutigte dazu, die slowenische Sprache und Kultur auch künftig als Schatz und nicht als Problem zu betrachten.
Bischof Marketz bezeichnete es als große Herausforderung für die Kirche, nicht nur in Südkärnten Räume der Spiritualität zu öffnen und den Glauben zeitgemäß zu verkünden. „Wir wollen als Kirche auch in Zukunft nicht Zuschauerin, sondern Mitgestalterin gesellschaftlicher Entwicklungen sein und dazu beitragen, Frieden zu stiften, Gerechtigkeit zu fördern und Menschen dazu zu ermutigen, im Anderen nicht nur den Gegner, sondern den Mitmenschen zu sehen. Die Kirche wird sich auch in Zukunft konsequent auf die Seite der Schwachen stellen“, betonte der Kärntner Bischof.
Der Südtiroler Bischof Muser wies darauf hin, dass der Nationalsozialismus, vor allem aber der Faschismus das Land sehr geprägt habe. „Besonders schmerzlich war die sogenannte Option, die Familien, Nachbarschaften, Pfarrgemeinden und die Gesellschaft gespaltet hat“, sagte Bischof Muser. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sei in Südtirol geprägt gewesen vom Ringen um Autonomie. Identität in der Verschiedenheit sei, so Bischof Muser, zum zentralen Programm und gleichzeitig auch zum konsequenten Eintreten der Kirche geworden. Die Kirche habe einen entscheidenden Beitrag für Versöhnung, Verständigung und gegenseitigen Respekt in Südtirol geleistet. „Minderheit ist in erster Linie nicht ein Problem, sondern vor allem Chance, Auftrag und Reichtum“, sagte der Südtiroler Bischof. „Auf die eine oder andere Weise“ seien wir alle Minderheit, „und das verändert die Perspektive“. Die Kirche in Südtirol stehe heute, wie in vielen anderen Ländern auch, vor Herausforderungen wie Individualisierung, schwindende Glaubenskraft, abnehmende Kirchlichkeit und zunehmende Polarisierung innerhalb der Gesellschaft. Gerade in einer solchen Situation müsse Kirche „Heimat für alle sein, denn wir sitzen alle im selben Boot“. Bischof Muser ermunterte zu einem praktischen Umgang mit Sprache und nicht zu einem ideologischen. „In Südtirol ist es der Ernstfall christlicher Spiritualität, die Sprache des Anderen zu kennen“, so Muser. Deshalb seien auch doppelsprachige Gottesdienste „selbstverständlich und weit verbreitet“. „Wenn wir es schaffen, Geschichte von der Perspektive des Anderen her zu verstehen und zu bewerten, dann haben wir eine gute Zukunft“.
Landeshauptmann Kaiser, der sein Statement mit slowenischen Sätzen einleitete und beendete, verweis auf die wirtschaftlich positive Entwicklung auch des Südkärntner Raums nach dem Zweiten Weltkrieg, auf Fortschritte im zweisprachigen Schulwesen sowie auf die steigende Bedeutung der Elementarpädagogik für die slowenische Sprachentwicklung. Kärntner Künstlerinnen und Künstler – auch aus dem Südkärntner Raum – hätten, so der Landeshauptmann, weit über das Kärntner Kulturleben hinaus bedeutende Spuren hinterlassen. Die letzten Jahrzehnte seien grundsätzlich geprägt von „gegenseitiger Akzeptanz und dem Erkennen, dass zwei Landessprachen von Vorteil sind“. Gleichzeitig rief der Kärntner Landeshauptmann angesichts jüngster Ereignisse im Südkärntner Raum zu Wachsamkeit auf.
Der Südtiroler Landeshauptmann Kompatscher, der wegen eines dringenden Romtermins kurzfristig an der Teilnahme in Tainach/Tinje verhindert war, übermittelte eine Videobotschaft, in der er daran erinnerte, dass die Entwicklung in Südtirol seit dem Zweiten Weltkrieg „eine durchwegs positive“ sei. Als wichtige Voraussetzungen dafür nannte er die Überwindung der Staatsgrenzen durch den EU-Beitritt Italiens und Österreichs sowie die gemeinsame Währung. Mit 9/11 sei „die Weltordnung aus den Fugen geraten“. Dieses Ereignis habe auch in Südtirol einen Einschnitt gebracht. Er stelle sich, so Kompatscher, die Frage, ob man gesellschaftlich so weit sei, Vielfalt als Mehrwert zu sehen. Für das Miteinander hätten Kirche, Politik und alle gesellschaftlichen Einrichtungen eine gemeinsame Verantwortung. „Zuversicht und Optimismus braucht es dringender denn je“, sagte Kompatscher.
Begrüßt wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Bildungshaus-Rektor Josef Kopeinig und dem aus Unterkärnten stammenden EURAC-Institutsleiter Günther Rautz. Musikalisch umrahmt wurde der Gesprächsabend (Moderation: Mag. Maximilian Fritz) von Zlatina Riepl am Klavier.
Die Veranstaltung fand anlässlich des Erinnerungsjahres 2025 (80 Jahre Ende Zweiter Weltkrieg, 70 Jahre Staatsvertrag, 60 Jahre Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils und 30 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs) statt und wurde vom katholischen Bildungshaus Sodalitas Tainach/Tinje gemeinsam mit dem Forschungszentrum EURAC Bozen/Bolzano durchgeführt.