Pfarre

Wolfsberg

Gotteswaage

Kunstinstallation zur Fastenzeit in der Markuskirche Wolfsberg  mit Bildern von Walter Melcher

GOTTESWAAGE

eine Betrachtung von Christoph Kranicki

“Als das Lamm das dritte Siegel öffnete, hörte ich das dritte Lebewesen rufen: Komm! Da sah ich ein schwarzes Pferd; und der, der auf ihm saß, hielt in der Hand eine Waage.“

(Offb 6,5)

Drei Stationen bilden die Kunstinstallation, welche für die Fastenzeit in der Wolfsberger Markuskirche vorbereitet wurde. Die erste Station befindet sich bereits beim Haupteingang und präsentiert ein Bild von Walter Melcher. Es zeigt einen Horizont, der Himmel und Erde miteinander verbindet. Die zweite Station, „Quadragesima“, ist zentral über dem Volksaltar platziert und zeigt denselben Horizont als Hintergrund für ein dynamisches Ereignis. Den dritten Teil bildet der Hochaltar selbst mit dem verhüllten Altarbild.

Bei der Betrachtung dieser spirituellen Installation drängen sich mir folgende Grundfragen und Gedanken auf:

• Sprechen diese Bilder miteinander?

• Geschieht hier eine Interaktion? Ist es der Weg vom Nichts, durch die Schöpfungsgeschichte (erste Station) über die Incarnation Christi (zweite Station) hin zur wahren Gegenwart Gottes in Verzicht und Schweigen (dritte Station)?

• Oder ist es vielmehr der Lebensweg eines jeden Menschen von der Geburt (erste Station) über den persönlichen Weg nach Golgotha, der im Kreuzestod, quasi durch die Translatio des Brotes hin zum wahren Leib Christi (zweite Station), in der für uns noch verhüllten und nicht sichtbaren Freude von Ostern mündet (dritte Station)?

(1) Das Gebäude Kirche wird hier zu einem Begegnungsort, wo die Werke Melchers mit ihren Betrachtern in Dialog treten. Das verschlossene Hauptportal öffnet sich jeden Sonntag und lädt zum Gottesdienst ein; nach der Liturgie kann es umgekehrt als „Sendungsschleuse“ verstanden werden. Himmel und Erde, nach dem Bild von Melcher zusammengehörend, motivieren zur Selbstreflexion: Woher komme ich? Wer bin ich? Gibt es etwas mehr, als nur das, was ich sehe? Und was sehen wir wirklich? Wie ein Hilfeschrei erklingen hier die Worte von Christine Lavant: „Mein Herz, mein Herz! Wen soll ich nach dir fragen?“

„Von Geburt an bin ich geworfen auf dich,

vom Mutterleib an bist du mein Gott“.

(Psalm 22,11)

(2) Die mitten im Hauptschiff stehenden Betrachter, im Zentrum einer (un)sichtbaren Gemeinde, müssen sich von dem Werk distanzieren, sich bewegen und umdrehen, um über dem weißen Volksaltar eine ganz neue Perspektive zu bekommen. Seit der Erschaffung der Welt, durch die individuelle Lebensgeschichte, ist etwas geschehen. Die Engel, die still den Raum bewohnen, flüstern leise: „Er hat für dich den Himmel verlassen. So schwer war die Hoffnung, so drückend war die Liebe, dass Er sichtbar geworden ist - herabgestiegen in unsere Realität.“ Auch die zwei „Blinden“, die daneben stehen und ihn unterwegs nach Emmaus nicht erkennen, spüren seine verklärte Nähe. Wie blind muss die Liebe sein? Wie prachtvoll das neue Leben, das im goldenen Ei die Lebensmelodie beständig schreibt?

„Ich will mein Vertrauen mehren, bis ich spüre, dass du bist“ (Ch. Lavant). Dieses Vertrauen tropft wie eine Träne (Menschwerdung) und fällt direkt in die offenen Arme Gottes. Das ganze Geschehen ist durch Konsum und Selbstverherrlichung versklavt; trotzdem impliziert es Stärke in der sich wandelnden Lebenskraft.

„Beim Jüngsten Gericht werden einzig die Tränen in die Waagschale geworfen.“, schreibt der radikale Skeptiker Emile Cioran. Hier, in der Mitte des Herzens, geschieht diese Begegnung, wo Brot zum Leib, Materie zum Unsichtbaren, Erde zum Himmel wird - aus Tränen der Hoffnung. Hier kommt die eigentliche, in den obigen Fragen angesprochene, Translatio zu tragen.

(3) Und danach bleibt nur in Demut verharrend zu schweigen. Auf Bilder und Fragen zu verzichten. Ihn nicht mehr zu vermuten, sondern zu spüren. Befreiend. Heilsam. Ein Lebensweg hin zur Erlösung.

„Für jenes, das als Gotteswaage

im Mittelpunkt der Dinge steht;

für dieses Leben schick uns alle Tage

den neuen Stolz, der mehr als ein Gebet

uns trösten kann und über uns erheben.

O härte uns! Und höre nicht das Weinen,

nimm uns das Letzte unserer Seligkeit.

Dass wir als leerer Raum vor dir erscheinen,

doch stark und hoch und unermesslich weit.

Und unsre Sehnsucht lass wie Pfeiler streben!“ (Ch. Lavant)

Schlussfolgerung

„Er wurde vor ihren Augen verwandelt;

sein Gesicht leuchtete wie die Sonne

und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht.“

(Mt 17,2)

Dieses letzte befreiende Schweigen richtet unseren Blick auf die Verhüllung; die Verklärung. Hinter dem Verborgenen steht das Licht, das die Fesseln unserer Begrenztheit sprengt. Aus der Dunkelheit hin ins Licht - in den Anfang und in das Ende; Alpha und Omega. Auf dieses Licht ist unser Dasein ausgerichtet. Der menschliche, schöpferische Daseinsprozess beginnt bei der Tür. Der Eingang ist der Liebesbeweis Gottes, den er durch die Menschwerdung seines Sohnes eindrucksvoll für uns vollbracht hat. Die in der Eucharistie vollzogene Transfomation von Brot zum Leib drückt unsere eigene Wandlung (am Ende) unseres Lebens- bzw. irdischen Leidensweges aus. Wir werden dadurch verändert und erblicken dann hinter dem Vorhang Christus - den Gesalbten.

„Sofort fiel es wie Schuppen von seinen Augen

und er sah wieder;

er stand auf und ließ sich taufen.“ (Apg 9,18)

Der ganze Weg ist eine Waage, die wir durch unser ganzes Dasein hindurch mit dem barmherzigen Schöpfergott halten; die uns trägt und fordert aber immerfort wohlwollend führt und uns letztlich als Verwandelte vor den einen Herrn treten lässt.