Die Macht der Liebe
Geistlicher Impuls von Stadtpfarrer Mag. Ernst Windbichler zum 4. Sonntag im Jahreskreis
Da gibt es den bekannten Witz vom Buslenker und dem Pfarrer, die beide vor der Himmelstür stehen. Der Buslenker wird eingelassen, der Pfarrer muss warten. Der protestiert natürlich und fragt nach dem Grund. „Ganz einfach“, wird ihm gesagt: „Während du gepredigt hast, haben die Leute geschlafen, aber während der Chauffeur gefahren ist, haben sie gebetet“.
Diese humorvolle Anmerkung ist mir eingefallen, wie ich im Evangelium lese: „Jesus redete wie einer, der göttliche Vollmacht hatte, und nicht wie ihre Schriftgelehrten“. Bei ihm haben die Leute sicher nicht geschlafen, nicht nur, weil die Rhetorik gestimmt hat, weil er eine laute und sympathische Stimme gehabt hätte oder ein gutes Aussehen, weil er intelligente und druckreife Reden gehalten hätte. Das allein hätte ihm diese Vollmacht wohl nicht verliehen. Wir dürfen eher annehmen, dass es wohl sein Leben und seine Werke gewesen sind, dass sein Reden und Tun, seine Worte und Taten übereingestimmt haben. Das mag es wohl als erstes gewesen sein, was ihm diese Autorität verliehen hat.
Er hat nicht nur Macht-Worte gesprochen, sondern auch Macht-Taten vollbracht. Trotzdem war er sicherlich nicht das, was wir heute unter einem Machtmenschen verstehen. Ein Machtmensch ist in unseren Ohren eher einer, der mit Gewalt und Blutvergießen herrscht, der Angst und Schrecken verbreitet. Jesus hat die Macht der Liebe auf seine Fahnen geschrieben, das war es wohl auch, was die Leute gespürt haben, herausgespürt haben aus seinen Worten und Taten.
Diese Macht der Liebe hat sich heilsam ausgewirkt auf seine Umgebung. In seiner Nähe werden die Menschen frei, wo er ist, da können sie sich aufrichten, da können sie Zwänge und Ängste hinter sich lassen. Oft hat man in der Kirche mit Gottes Wort gedroht und geschimpft, hat Menschen klein gehalten und erniedrigt. So hat es Jesus nicht gemeint.
Wir können das heute so schön ablesen an der Heilung des Besessenen. Wir wissen nicht, welche Krankheit er gehabt hat. Wenn die Bibel von Dämonen spricht, dann sind das oft seelische Zwänge, Geistes- und Gemütskrankheiten. Ein fanatischer Querdenker, ein böser Störenfried, ein streitsüchtiger Hysteriker, jemand, der einen Zerstörungswahn hat und sich selbst und andere zugrunde richtet. So ein Mensch ist nicht mehr Herr seiner selbst, er ist fremdgesteuert, von Süchten und Trieben beherrscht. Diese Woche haben wir ja den Gedenktag der Befreiung des KZ- Lagers Auschwitz begangen und damit den internationalen Tag des Holocaustgedenkens. Unglaublich, wie viel Zerstörung und Grausamkeit im Menschen wohnen kann.
Vieles davon kann man heute mit Hilfe der Psychologie erklären und auch heilen, Vieles aber bleibt rätselhaft und dunkel. Oft findet man keinen Aufschluss und ratlos meint man dann: vielleicht steckt ein Dämon in ihm. Wie auch immer: solche Menschen sind uns unheimlich, da ergreifen wir gerne die Flucht, wenn wir so jemandem begegnen.
Jesus aber scheut die Auseinandersetzung nicht, und er setzt diese gespaltene Persönlichkeit wieder zusammen, so dass sie eins wird, dass sie ganz wird. Da wird dann jemand, der ganz au-seinander ist und ganz durch-einander, am Schluss wieder eins. Das Zerrissene wird zusammengefügt und man ist wieder gut beisammen. Der aus der Fassung geratene fasst sich wieder. Jemand, der nicht mehr ganz dicht ist, wie ein zerbrochener Krug, der wird wieder brauchbar, der Ungenießbare wird genießbar und fügt sich wieder ein in die Gemeinschaft. Der Ver-Rückte, der aus der Mitte gerückte, findet wieder zu sich selbst.
Wir dürfen noch einmal genauer hinschauen auf diese wundersame Heilungsgeschichte und davon lernen für unser Leben.
Da ist zuerst einmal die Einsicht des Kranken: in der Begegnung mit Jesus und in seinem Licht erkennt er den dunklen Graben, der ihn trennt vom erfüllten Leben. Er stellt sich selbst die Diagnose, er erkennt: mit dir habe ich nichts zu tun. Ich bin gefangen in einem tödlichen Kreislauf.
Das ist auch für uns immer wieder der erste Schritt, wenn unser Leben aus den Fugen gerät: Dass ich erkenne, wie es um mich steht, wie weit weg ich bin von Gott, von den Menschen, von mir selbst. Wo bin ich abhängig, was zieht mich in den Abgrund?
So auch der Besessene.
Als nächstes gibt er seine Angst zu: „Bist du gekommen, um zu strafen, um auszurotten, um mich ins Verderben zu stürzen“?
Das ist wohl im Grunde der Seele die Angst so vieler Menschen, dass Gott der Strafende und Rächende sei, sie können sich nicht vorstellen, dass nicht nur seine Gerechtigkeit unbegreiflich ist, sondern auch seine Barmherzigkeit. Bei uns sind das zwei verschiedene Paar Schuhe, bei Gott aber geht es zusammen: seine Gerechtigkeit ist unendlich, aber auch seine Barmherzigkeit.
Und schließlich erkennt der Besessene: „Du bist der Heilige Gottes“. Bei dir gibt es Heil und Heilung. Das ist manchmal eine schmerzliche Erkenntnis, dass ich mir nicht selber helfen kann, dass ich mich nicht selbst erlösen kann. Deshalb schreit der Besessene heute im Evangelium so sehr, aber es ist ein Geburtsschrei, es beginnt ein neues Leben für ihn. Vielleicht ist auch diese Coronakrise so ein Geburtsschrei der Schöpfung, aus der neues Leben entstehen will.
Es ist immer schon Kennzeichen falscher Religionen und Lehren gewesen, sich selbst erlösen zu wollen. Wir können nicht, wie Münchhausen, uns selbst am Schopf packen und aus dem Sumpf ziehen, das kann nur einer, der selbst auf festem Grund steht. Deshalb hat Jesus neben anderen Titeln auch den Titel Heiland und Erlöser, weil er immer wieder am Ufer steht und uns herausziehen will aus allerhand tiefen Löchern, aus denen wir aus eigener Kraft nicht mehr herausfinden.
Der Abschluss dieser Geschichte ist seltsamerweise nicht Freude und Staunen und Dankbarkeit, sondern Schrecken: „Da erschraken alle“. Etwas Neues, etwas noch nie Dagewesenes erregt immer zuerst einmal Unsicherheit, da werden alle bisherigen Maßstäbe in Frage gestellt.
Auch am Schluss des Evangeliums, als am Ostermorgen die Frauen zum leeren Grab kommen, heißt es: „Sie flohen, denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt“. Das Wunder führt nicht automatisch zum Glauben, es kann uns auch überrumpeln.
Mögen wir nicht nur in den großen Sensationen Gottes Wirken ahnen, mögen wir ihn auch herausspüren aus den kleinen alltäglichen Wundern, denn Gott schreibt normalerweise nicht in großen Lettern und Schlagzeilen, er ist meistens eher im Kleingedruckten zu finden und nur mit der Lupe des Glaubens zu entdecken.