Pfarre

Spittal an der Drau

“Kommt und seht!”

Geistlicher Impuls von Stadtpfarrer Mag. Ernst Windbichler zum 2. Sonntag im Jahreskreis

Als ich vor 12 Jahren im Herbst als Pfarrer nach Spittal berufen worden bin, da bin ich bald einmal zum Meldeamt gegangen und habe meinen Meldezettel ausgefüllt. Unter der Rubrik: „Ordentlicher Wohnsitz“ steht zu lesen, dass man darunter jenen Ort versteht, der der Mittelpunkt meiner Lebensbeziehungen ist. Natürlich habe ich hineingeschrieben: „Litzelhofenstraße 1- 9800 Spittal“, aber ich habe mir gedacht: wenn es nach dem Mittelpunkt meiner Lebensbeziehungen geht, dann müssten viele Leute eigentlich ganz andere Wohnsitze angeben: für den einen ist das Gasthaus der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen, für den anderen ist es die Firma oder das Büro, ein anderer wieder müsste die Adresse seines Fitnessstudios angeben.

Die eigene Wohnung ist ja heute überhaupt nicht mehr selbstverständlich, wenn wir an die vielen Flüchtlingsströme denken, an die Millionen von Menschen, die ständig in Bewegung sind und keine eigenes Zuhause haben. Aber auch in unserer Wohlstandsgesellschaft gibt es das Schlagwort von der Unbehaustheit des Menschen, der immer unterwegs sein muss und nirgends zu lange bleibt.

Diese Unruhe gilt durchaus auch für die Religion, die Weltanschauung, die Meinung, die Mode, den Lebensstil. Viele sind durch dieses Leben unterwegs wie durch einen Supermarkt, sie probieren alles ein bisschen aus, heute das und morgen jenes, ohne sich endgültig festlegen zu wollen.

Wenn wir heute hören, das zwei Anhänger Joh. d. Täufers Jesus nachlaufen, bis er sich umdreht und sagt: „Was sucht ihr?“-es ist übrigens das erste Wort, das Jesus im Johannesevangelium spricht: „Was sucht ihr?“ Und sie: „Meister, wo wohnst du?“ Und er: „Kommt und seht!“, dann spüren wir hier auch ein bisschen die ewige menschliche Sehnsucht heraus, dass da im Wandel der Zeit irgendetwas Fixes sein möge, woran man sich halten kann, irgendetwas, wo Leib und Seele zuhause sein können.

Jesus spürt diese Sehnsucht und fragt diese beiden etwas, das er jeden Menschen immer wieder fragt: Was sucht ihr? Was ist eure Sehnsucht? Immer mehr Menschen suchen mit aller Kraft nach irgendetwas, sie wissen selbst nicht wonach. Jedenfalls immer nach Sinn und Glück. Wenn diese Sehnsucht nicht gestillt wird, dann wird die Suche zur Sucht. Süchtige sind immer auch Menschen, deren Sehnsucht nicht gestillt wird, deren Suche ins Leere geht, und die sich durch ihre Sucht eine Ersatzbefriedigung verschaffen wollen.

„Was sucht ihr?“- fragt also Jesus diese beiden neugierigen Verfolger. Die haben schon ein Ziel im Auge: „Meister, wo wohnst du?“

Natürlich ist das nicht eine Frage nach der Adresse: Himmelpfortgasse Nr. 1 in Nazareth vielleicht, nein, diese Frage ist durchaus so gemeint, wie sie die Erfinder des österreichischen Meldezettels verstehen: Was ist der Mittelpunkt deiner Lebensbeziehungen? Wo sind die Quellen, aus denen du lebst, mit welchen Menschen pflegst du Umgang, was füllt dich ganz aus, was gibt deinem Leben Erfüllung? Wer bist du? Das alles beinhaltet die Frage: „Meister, wo wohnst du?“

Jesus, der Herzspezialist, liest zwischen den Zeilen und antwortet auf all diese Ansprüche nicht: Das geht euch nichts an. Oder: Darüber möchte ich nicht reden, er stellt auch keine Bedingungen, fragt nicht einmal: Worum geht es euch wirklich? Nein, er schaut diesen beiden ins Herz und sagt schlicht und ergreifend: „Kommt, und seht!“.

Dieser einladende Gott: Kommt und seht. Wieder müssen wir tiefer schauen: Kommt und seht, damit meint Jesus nicht: Kommt und seht meinen schönen Wohnzimmerschrank, meine Möbelgarnitur, meinen Heizkeller, meinen Fitnessraum. Wir wissen ja, dass Jesus als Wanderprediger unterwegs gewesen ist, ohne festen Wohnsitz. Einmal hat er sogar gesagt: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester, der Menschensohn aber hat nicht einmal einen Platz, wo er sein Haupt hinlegen kann“. Trotzdem kann er sagen: Kommt und seht: Und ich denke, er wird dabei auf sich selber gezeigt haben: Seht, ich bin es, den ihr sucht, ich bin die Wohnung, wo ihr daheim sein könnt, ich bin der Platz, wo ihr verstanden seid, wo ihr endgültig zuhause seid. „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit geschaut“, sagt es der Evangelist Joh. am Beginn seines Evangeliums in feierlicher Sprache. Kommt und seht, das heißt für mich auch: wer sich auf Jesus einlassen will, der muss zuerst kommen, der muss sich in Bewegung setzen, der muss auch Zeit haben. Dann wird er auch sehen, mit den Augen und mit dem Herzen, nicht nur sehen, sondern ein-sehen.

Anschließend ist er mit diesen beiden irgendwohin gegangen, wo sie ungestört sind und sie haben miteinander geredet, lange, einen ganzen Abend lang. Ein gutes Gespräch muss es gewesen sein. Noch nach langer Zeit, nach vielen Jahrzehnten, als der Evangelist Johannes sein Evangelium schreibt, ist es immer noch bekannt, wann dieses Gespräch angefangen hat,: es war um die zehnte Stunde, um vier Uhr nachmittags. Das ist für die Juden schon der Beginn des Nächsten Tages, die Zeit, wo sich der Tag zur Nacht wendet. Die 10 Stunde, das ist auch die Zeit, in der sich vieles zum Guten gewendet hat im Leben dieser beiden und im Leben der Welt. Wir wissen nicht, worüber die drei geredet haben, wir wissen nur das Ergebnis: die beiden verkünden begeistert: wir haben den Messias gefunden. Zuerst hat Jesus noch gefragt: was sucht ihr? Jetzt sagen sie: wir haben gefunden, wonach wir gesucht haben.

Und jetzt sieht man so schön, wie sich Gemeinde bildet, wie Kirche entsteht, wie ansteckend im guten Sinn Glaube sein kann: die beiden holen ihre Freunde, einer von ihnen, ein gewisser Simon wird auch mit zu Jesus gezerrt, könnte man sagen, und auch ihn sieht Jesus an, er erkennt sein inneres Wesen in einem Augenblick und gibt ihm den Beinamen: der Fels oder Petrus. Später wird dieser Petrus der Sprecher des Apostelkollegiums werden. Menschen, die in ihrer Begeisterung andere mitreißen. Das war der Beginn der Kirche. Und dieser kleine Beginn hat Kreise gezogen und die Kirche hat sich ausgebreitet bis zu uns nach Spittal

Ich bin dankbar, dass es auch in meinem Leben solche Menschen gegeben hat, die mich nicht durch große Worte, sondern einfach durch ihr Leben auf Jesus hingewiesen haben: Eltern, Erzieher, Freunde, Lehrer, mein 92-jähriger Heimatpfarrer, der ein paar Monate nach meiner Primiz gestorben ist. Ohne solche Menschen wäre ich sicherlich nicht Priester geworden. Menschen, die ansteckend im Guten sind, sorgen auch heute oft ganz unwissentlich dafür, dass sich Kirche ausbreitet. Diese „Pandemie der Liebe“ dürfen und sollen wir mit gutem Gewissen verbreiten, sollen den Impfstoff des Egoismus und der Gleichgültigkeit verweigern.

„Kommt und seht!“, diese Einladung Jesu gilt jedem von uns.

Nehmen wir uns Zeit, ihn persönlich kennenzulernen, auf sein Wort zu hören und es in unserem Leben zu verwirklichen. Wir werden merken, dass wir dabei das Leben finden. Und wenn er auch dich oder mich einmal fragt: „Was suchst du?“, dann wünsche ich uns so viel Vertrauen, dass wir sagen können: „Herr, du weißt es: Dich suche ich!“.