Pfarre

Spittal an der Drau

2. Sonntag nach Weihnachten 2021

Geistlicher Impuls von Stadtpfarrer Mag. Ernst Windbichler

Als tiefes Schweigen das All umfing, und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da stieg dein allmächtiges Wort, oh Herr, vom Himmel herab, vom königlichen Thron.

So beschreibt ein biblischer Autor den Eintritt Gottes in die Welt: Tiefes Schweigen, das ist nicht ein ratloses Schweigen, wie bei uns oft, oder ein trotziges Schweigen, wenn man sich nichts mehr zu sagen hat, oder ein gleichgültiges Schweigen. Ein Schweigen, das aus der Tiefe des göttlichen Herzens kommt und in das man tief eintauchen kann, das ist dieses tiefe Schweigen. Solches Schweigen umfängt dich, es macht dich nicht einsam, es verheißt Geborgenheit und Vertrautheit. Die ganze Welt ist mit dir in diese Geborgenheit eingeschlossen. Als tiefes Schweigen das All umfing.

Im Schweigen beginnt Gott sein großes Werk, und in diesem Schweigen umfängt er in Gedanken schon das ganze Weltall und darin jeden Menschen und auch dich und mich. In Stille setzt Gott das Werk der Erlösung in Bewegung, wie wohl die meisten großen Werke nicht aus dem Lärm und aus dem vielen Reden entstehen, sondern aus dem Schweigen.

Viele Ordensleute, Klosterschwestern und Brüder sagen oft, dass das Schweigen und die Stille für sie ein großes Geschenk bedeuten. Schweigend sich der Gegenwart Gottes auszusetzen, das sei für sie die wirklich angemessene Form des Gebetes, so sagen sie. (S. Kierkegaard: Vom Schweigen. Vom Gebet als Hören). Würdest du es aushalten, ein paar Minuten am Tag nichts anderes zu tun als absichtlich zu schweigen? Gerade in Zeiten des Lockdowns kann das auch eine Möglichkeit sein.

Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, heißt es weiter: Gott handelt nicht nur im Schweigen, er handelt in der Nacht. Das heißt zuerst einmal: unsichtbar, unbemerkt, unauffällig. Oft hat Jesus gesagt, dass Gott kommt wie ein Dieb in der Nacht. Nur dass ein Dieb nichts Gutes vorhat, er will uns etwas rauben. Aber vielleicht will Gott uns auch etwas rauben: die gar so zufriedene Ruhe vielleicht, oder auch die allzu große Sorge und Angst und lauter schädliche Dinge, an die wir uns klammern und die wir für Wertgegenstände halten. Die Nacht, das ist aber auch immer ein Bild der Verzweiflung, der Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit. In einem alten Abendgebet heißt es: „Bleibe bei uns, wenn über uns kommt die Nacht der Trübsal und der Angst, die Nacht des Zweifels und der Anfechtung, die Nacht des bitteren Todes“. Und in diese Nacht sind auch jetzt, obwohl es draußen Tag ist, Menschen ganz tief eingetaucht und befinden sich mitten drinnen. Nicht nur die Coronakranken, das wissen wir. Da gibt es noch noch ganz andere Nächte. Aber gerade da beginnt es, mitten in der dunklen, stockfinsteren Sackgasse, mitten in der Nacht, um Mitternacht. Unaufhaltsam beginnt das Licht seinen Siegeszug. Und so heißt es weiter in diesem Vers und es geht dem Höhepunkt entgegen: da stieg dein allmächtiges Wort vom Himmel herab, vom königlichen Thron.

Ein seltsames Bild, nicht wahr, ein Wort, das wie auf einer Leiter vom Himmel herabsteigt. Wieder müssen wir die Begriffe hinterfragen. Ein Wort, was ist das? Ein Wort, das ist in erster Linie einmal eine Kontaktaufnahme. Wenn einer ein Wort sagt, dann öffnet er sich, er öffnet nicht nur den Mund, er öffnet auch sein Herz und lässt uns teilhaben am Klang seiner Stimme, an seinem Innersten, an seinen Gedanken. Und wenn er nur sagt: Schönes Wetter heute! Er ist jedenfalls nicht stumm geblieben. Er nimmt mich als gleichwertigen Ansprechpartner ernst. Einen Hund auf der Straße werde ich nicht ansprechen, und schon gar keine Ameise oder eine Kellerassel. Gott ist ein kontaktfreudiger Gott, der mich nicht übersieht, bei dem ich mein Ansehen habe. Das ist zuerst gemeint, wenn uns der Evangelist Johannes heute sagt: Im Anfang war das Wort...und das Wort ist Fleisch geworden. Gott braucht keine Kontaktlinsen, damit er uns besser sehen kann, er gibt auch keine Kontaktanzeigen auf und bleibt selber anonym, er benutzt schon gar keinen Kontaktkleber um uns an sich zu binden oder zu kleben, nein, er öffnet selber sein Innerstes, er macht den ersten Schritt auf uns zu, er ergreift die Initiative, längst bevor wir etwas tun, und er spricht zu uns. Er ist so durch und durch kontaktfreudig, dass Menschen in dichterischer Sprache sagen können: er ist das Wort schlechthin.


Der große Dichter Johann Wolfgang Goethe, der vor 189 Jahren gestorben ist, der ist damit nicht einverstanden und er schreibt in seinem Faust: Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wort!“ Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muss es anders übersetzen...und dann nach vielen Übersetzungsversuchen: „Mir hilft der Geist! Auf einmal seh’ ich Rat. Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat“. Das Ideal des faustischen Tatmenschen, der sich selbst in den Mittelpunkt stellt, der immer nur ich, ich, ich sagt, der die Bibel neu übersetzt und dem das Wort nichts mehr bedeutet, wie viel Unheil hat dieses Ideal angerichtet. Genug der Worte sind gewechselt, lasst endlich Taten sprechen. Aktivität, Beschleunigung, Dynamik, darin ist Faust zuhause. Und wer dieses Stück kennt, der weiß, dass er dann den Bund mit dem Teufel eingehen muss, um diesem Ideal zu entsprechen.


Gott aber will nicht um sich selber kreisen, er öffnet sich. Und diese Kontaktaufnahme Gottes mit uns Menschen beschränkt sich nicht auf die Frage nach dem Wetter, sondern sie ist ganz und gar radikal: das allmächtige Wort stieg vom Himmel herab, vom königlichen Thron. Der Himmel kommt auf die Erde herab. Gott verzichtet auf seinen ganzen Himmel und lässt alles zurück um auf uns Menschen zuzugehen. Wenn es also heißt: Im Anfang war das Wort, und Gott ist von allen Anfang und Ursprung an Wort, dann muss auch das andere gesagt werden, dass jedes Wort eine Antwort sucht und braucht. Ein Gruß braucht einen Gegengruß, Liebe braucht Gegenliebe, jede Ansprache einen Ansprechpartner, jede Rede ein offenes Ohr. Wenn nicht, dann geht es in Leere, das Wort, es kommt nicht an. Kommt Gottes Wort an bei uns? Gottes Wort ist immer ein zuvorkommendes und entgegenkommendes Wort. Aber kommt es auch an? Bei dir und bei mir? Und wird es beantwortet? Nehmen wir Gott ernst als unseren Gesprächspartner, so wie er uns ernst nimmt? Beantworten wir seine Liebe mit Gegenliebe? Das sind einige der anspruchsvollen Fragen, die uns jedes Jahr das Weihnachtsfest stellt. Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da stieg dein allmächtiges Wort vom Himmel herab, vom königlichen Thron. Und: Das Wort ist Fleisch geworden. Das ist die Zusammenfassung des Weihnachtsevangeliums. Mögen die Konsequenzen daraus auch im kommenden Jahr und in unserem Leben spürbar sein.