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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Zukunft braucht das Miteinander

Patrizia Nanz über Bürgerbeteiligung bei politischen Entscheidungen

Bei den „Tagen der Zukunft“ in Ossiach sprach die Partizipationsforscherin Patrizia Nanz über die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung. Im „Sonntag“-Gespräch geht es um Chancen und Grenzen des Dialogs mit Politik und Wirtschaft.

Patrizia Nanz im “Sonntag“-Gespräch über die zunehmende Bedeutung von Bürgerinnen und Bürgern bei Entscheidungen in Politik und Wirtschaft. (© Foto: participationinstitute)
Patrizia Nanz im “Sonntag“-Gespräch über die zunehmende Bedeutung von Bürgerinnen und Bürgern bei Entscheidungen in Politik und Wirtschaft. (© Foto: participationinstitute)
Univ.-Prof. Patrizia Nanz aus Bremen (© Foto: participationinstitute)
Univ.-Prof. Patrizia Nanz aus Bremen (© Foto: participationinstitute)

Ihr Forschungsschwerpunkt liegt beim Thema Partizipations-Kultur, also die Frage der Beteiligung von Bürgern. In Kärnten wurde kürzlich ein Bürgerrat gegründet. Ist die Zeit reif für solche Bewegungen?
Nanz: Ja, absolut. Ich finde die Ergebnisse dieses Rates sehr beeindruckend. Ich meine, da gibt es ein großes Potenzial. Dazu gibt es schon Vorbilder: In Vorarlberg bestehen die Bürgerräte schon seit fast zehn Jahren, und sie werden auch bis hinauf auf Landesebene sehr gut umgesetzt.

Aus Politik und Wirtschaft gibt es die Kritik, dass solche Bewegungen notorische Verhinderer sind. Wie beurteilen Sie diese Kritik?
Nanz: Sie müssen unterscheiden zwischen strukturierten Beteiligungsverfahren wie BürgerInnenräten und Bürgerinitiativen. Bürgerinitiativen werden ja gegründet, um gegen etwas Stimmung zu machen. Diese sind meistens sehr qualifiziert mit Experten und wenden sich gegen politische oder wirtschaftliche Projekte. BürgerInnenräte sind dagegen etwas ganz anderes: Hier geht es darum, dialogorientiert eine Zusammenarbeit mit der Politik anzubieten.

Wie schaut das dann aus?
Nanz: Es ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander. Die individuellen Interessen der Bürger werden im Dialog zu Gemeinwohlinteressen geformt. Am Ende steht also das Gemeinsame von Bürgern und Politik.

Wollen Politiker überhaupt diese mündigen Bürger?
Nanz: Das kann man pauschal nicht beantworten. Natürlich ist es für die Politik einfacher, wenn die Bürger alle vier oder fünf Jahre wählen und ansonsten still sind. Es ist aber heute einfach nicht mehr so, dass die Repräsentanten bestimmen und die Bürger schweigend einverstanden sind. Heute wollen die Menschen nicht mehr Zuschauer sein. Die Politik wird also diese Form der Führung von oben nicht mehr ohne weiteres durchsetzen können. Sie stößt ja schon heute dort auf Widerstände, wo sie dies versucht.  

Sehen Sie ein Umdenken in der Politik?
Nanz: Die Politiker erkennen, dass ihnen die Zusammenarbeit mit Bürgern etwas bringt. Dieses Miteinander entlastet die Politik ja auch. Es geht bei den enormen Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, nur noch gemeinsam im Sinne einer gemeinwohlorientierten Politik.

Das eine ist die Politik. Wie stehts da mit der Wirtschaft, die ja meist kommerzielle Interessen vertritt und Bürgerbeteiligung eher scheut? Sehen Sie hier auch Veränderungen?
Nanz: In Ossiach bei den „Tagen der Zukunft“ haben wir diese Veränderungen hautnah erlebt – unter dem Motto: Unternehmergeist trifft Zivilgesellschaft. So eine neue Haltung gibt es vermehrt auch bei ganz großen Konzernen etwa im Infrastrukturbereich. Diese bieten heute schon von sich aus die Bürgerbeteiligung an. Sie wissen, dass sie ohne Einbeziehung der Bürger gar nichts mehr durchsetzen können – etwa eine Stromtrasse oder eine Autobahn. Unternehmen haben von daher gesehen eine neue Rolle und eine größere gesellschaftliche Verantwortung.

Wurde also ein Umdenken erreicht?
Nanz: Ja, das hoffe ich. Es geht darum, den Hausverstand der Bürger in diese Prozesse einzuspannen. Da geht es viel weniger viel weniger um die „Berufsbürger“ innerhalb der Initiativen, sondern um den Normalbürger, der in Entscheidungsprozesse mit eingebunden wird.

Besteht auch die Gefahr, dass Wirtschaftskonzerne diese Bürgerbeteiligung dazu verwenden, ihre Interessen leichter durchzubringen?
Nanz: Diese Gefahr besteht dann, wenn es keinen Gestaltungsspielraum mehr gibt. Wenn man also im Nachhinein etwas legitimieren will. Es muss von Anfang an klar sein, dass es einen gewissen Gestaltungsspielraum gibt. Der muss von Beginn an definiert werden. Es muss auch klar sein, wer die Entscheidung letztlich trifft. Wenn es ein Scheindialog oder eine Legitimation ex-post ist, dann würde ich gar nicht von Bürgerbeteiligung sprechen, sondern höchstens von PR.

Wie verändert Bürgerbeteiligung die Demokratie?
Nanz: Das ist eine sehr wichtige Frage, deren Beantwortung noch schwierig ist. Ich meine aber, dass wir den Begriff der Politikverdrossenheit bei uns neu betrachten müssen. Es ist wohl eher eine Politiker- bzw. Parteienverdrossenheit. Es zeigt sich, dass immer mehr Menschen nicht zur Wahl gehen, aber bereit sind, sich ehrenamtlich oder als Teilnehmer von Beteiligungsverfahren zu engagieren. Es gibt ja auch Vorreiterbeispiele, wo es rechtliche Rahmenbedingungen gibt, die dies ermöglichen. In Vorarlberg etwa ist in der Landesverfassung seit 2013 diese Form der partizipativen Demokratie neben der direkten Demokratie festgelegt. Ein anderes Beispiel ist die Stadt Heidelberg, wo Bürger Vorschläge machen und sich beteiligen können. Es geht schon verstärkt in diese Richtung, dass Bürgerbeteiligung einen rechtlichen Rahmen erhält und sogar verbindlich wird. Ich denke, dass auch die Volksvertreter teilweise zu Unrecht unter Beschuss gekommen sind. Ich glaube, dass sie Bürgerbeteiligung durchaus zu schätzen wissen. Gerade bei jüngeren Politikern gibt es diesbezüglich ein Umdenken.

Wird dadurch politische Verantwortung an die Bürger delegiert?
Nanz: Es ist ja nicht so, dass die Bürger entscheiden. Es geht um einen Beratungsprozess. Das ist auch schon viel. Es geht nicht um Meinungsumfragen, sondern darum, die kollektive Intelligenz durch ein gut moderiertes Verfahren anzuzapfen. Der entscheidende Schritt muss dann sein, dass die Politik verantwortungsvoll die Empfehlungen der Bürger aufnimmt oder nicht und dies dann aber auch begründet.

Welche Rolle spielt da die Zivilgesellschaft – also Vereine etc.?
Nanz: Es gibt schon bestimmte Fragen, wo sie gesellschaftlich viel bewegen. Wenn sie an Beteiligungsverfahren zusammen mit Normalbürgern teilnehmen, ist das Problem aber zumeinst, dass Vereine gewisse Interessen vertreten. Es kann aber nicht darum gehen, dass gewisse Interessen durchgedrückt werden. Lobbying wäre sicher der falsche Weg, denn die Bürgerdialoge sollten genau dem entgegenwirken.

Welche Aufgaben haben diesbezüglich die Medien?
Nanz: Den Medien kommt eine große Rolle zu: Zum einen, die Empfehlungen, die in solchen Verfahren gegeben werden, auch publik zu machen. Diese finden ja im geschützten Rahmen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das ist auch gut, damit man offen sprechen kann. Die Ergebnisse müssen dann aber weitergetragen werden, damit sie der Öffentlichkeit bekannt werden und breit diskutiert werden können. Zum zweiten geht es aber auch um einen Kulturwandel. Die Medien können dann auch das Positive berichten und nicht nur „bad news“. Es ist schon eine gute Geschichte, wie sich Bürger engagieren und einbringen können.