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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Wozu Religion?

Religion ist die Voraussetzung, dass Leben gelingt. Gerald Heschl im Gespräch mit Matthias Beck.

Univ.-Prof.Mag.Pharm.Dr.med. Dr.theol. Matthias Beck ist Professor für Moraltheologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. (© Foto: Kronawetter)
Univ.-Prof.Mag.Pharm.Dr.med. Dr.theol. Matthias Beck ist Professor für Moraltheologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. (© Foto: Kronawetter)

Sie haben in Tainach unter dem Motto: „Kann eine Gesellschaft ohne Religion gedeihen?“ ein flammendes Plädoyer für das Christentum gehalten. Sie haben gesagt: „Wir sollten den Kindern beibringen, was die Religion bringt.“ Was bringt sie?
Beck: Dass Leben gelingt! Sie  können vielleicht 40 Jahre lang ohne Gott gut leben, aber spätestens in der Lebensmitte brechen die entscheidenden Fragen auf. Die Psychologie nennt das midlife crisis. Es geht aber um mehr, um die letzten Fragen nach Gott. Daher ist es wichtig, Kinder frühzeitig mit dem richtigen Gott des Lebens in Verbindung zu bringen. So kommt das Leben als Ganzes zur Entfaltung. Viele Menschen bleiben auf der Hälfte des Lebens stehen. Die Lebensentfaltung ist aber dasjenige, was den Menschen letztlich glücklich macht.

Sie sind Pharmazeut, Arzt und Priester und beschreiben die Religion wie eine Art Medizin – also doch Opium für das Volk?
Beck: Ganz und gar nicht! Opium  führt in die Abhängigkeit. Man stirbt daran. Aber Gott ist ein Gott des Lebens. Wir müssen also von der „richtigen Religion“ sprechen, vom richtigen, wahren Gott, der befreit und zum Leben in Fülle führt. Dieses Befreiende des Christentums sollte innere und äußere Befreiung bewirken.

Dieses Befreiende des Christentums hat vieles bewirkt: etwa die Menschenrechts-Charta. Gleichzeitig beklagten Sie, dass vieles von der Kirche nicht anerkannt ist.
Beck: Viele in der Kirche wissen sehr wohl über diese Errungenschaften Bescheid. Man müsste nur viel stärker hervorstreichen, was aus dem Christentum alles gewachsen ist. Nehmen Sie die Universitätslandschaft. Die Ausbildung junger Menschen ist rund um die Klosterschulen entstanden. Jetzt haben sich die Wissenschaften emanzipiert.

... was zu Zwist führt.
Beck: Ich verstehe manchen Konflikt zwischen Religion und Naturwissenschaften nicht. Die Theologie stellt andere Fragen als die Naturwissenschaft. Die Naturwissenschaft fragt: „Wie läuft etwas?“ Die Theologie dagegen: „Warum gibt es überhaupt etwas?“ Also grundsätzliche Fragen, über das Naturwissenschaftliche hinaus.

Sie sind Naturwissenschafter und Mediziner einerseits, Philosoph und Theologe andererseits, verkörpern also die beiden Pole, von denen man einen Widerspruch erwartet. Kommen Sie mit sich ins Reine?
Beck: Ja, sehr. Wir haben ein dreifaltiges Gottesbild des Dialoges. Spuren davon finden Sie in der Natur beispielsweise im „dialogischen Geschehen“ zwischen Genetik und Epigenetik. Ich bin überzeugt, dass Naturwissenschaften auch Gottesbilder vertiefen können.

„Gott zeigt sich täglich, wir müssen die Zeichen nur lesen lernen“, sagten Sie zu Beginn Ihres Vortrages. An welchen Zeichen erkennen wir Gott?
Beck Er zeigt sich in allem. Ignatius von Loyola sagte schon: Achte auf das, was in dir vorgeht, dann kannst du Gott erkennen. Die Freude und der innere Friede sind Ausdruck der Übereinstimmung mit Gottes Willen. Aber auch in Schicksalsschlägen, Krankheiten, Begegnungen mit Menschen, in der Natur kann man Gott erkennen, vielleicht manches noch nicht gleich interpretieren – aber Gott wirkt ständig.

Klingt sehr einfach.
Beck: Es geht auch um die einfachen Dinge. Christentum ist Alltagsspiritualität.

Wenn man Ihnen so zuhört, dann klingt das alles sehr logisch und nachvollziehbar. Warum, so fragt man sich, steckt die Kirche dann überhaupt in einer Krise?
Beck: Das hat viele Gründe: Zum einen die vermeintliche Abgesichertheit des Menschen. Dann aber der Verlust an tiefer Spiritualität in der Kirche. Menschen suchen anderswo. Man traut der Kirche nicht zu, etwas Sinnvolles für den Alltag zu sagen. Wir brauchen mehr Spiritualität und Reflexion. Man muss fragen, was Menschen beschäftigt. Nicht-Fragen ist Arroganz. Arroganz kommt von „arrogare“: „nicht fragen“. Es gibt eine katholische Behäbigkeit, die meint, die Menschen müssten sich nach uns richten. Jesus hat es genau umgekehrt gemacht, er fragt: Was soll ich dir tun? Willst du gesund werden? Warum seid ihr so betrübt? Und die Bedürfnisse der Menschen haben sich geändert. Um Gorbatschow zu zitieren: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Stillstand ist Rückschritt: Wenn man auf seinem Status beharrt, geht man rückwärts. Und ich sage es medizinisch: Ein Kind, das im Geburtskanal stecken bleibt, bleibt nicht stecken, es stirbt. Mit dem II. Vaticanum ist ein Geburtsprozess geschehen, ausgelöst durch eine (Vor-)Arbeit des Heiligen Geistes. Dieses Kind, das da geboren werden sollte, ist im Geburtskanal stecken geblieben und stirbt. Alles, was in letzter Zeit als Kirchenkrise geschehen ist, ist eine der Folgen davon.

Das ist eine brutale Diagnose. Gibt es Hoffnung?
Beck: Jetzt muss ein großes Aufwachen und eine spirituelle Vertiefung durch die Kirche gehen. Man ändert aber erst etwas, wenn der Pflug so richtig durch den Acker geht. Ich halte die Krise daher für eine große Chance, dass neu gesät werden kann. Es braucht aber natürlich auch einen guten Samen.

Das Christentum hat in seiner Geschichte ja schon öfter solche „Samen“ gebraucht, ich denke an Franz von Assisi, Ignatius von Loyola oder Teresa von Avila ...
Beck: Der Same kommt von Gott… Es geht heute nicht mit Einzelnen. Aber ich kenne eine ganze Reihe Menschen, auf die man bauen könnte. Oft sind das Menschen, an die man zunächst
gar nicht denkt. Der Heilige Geist gibt lieber neuen Wein in neue Schläuche. Es bildet sich schon etwas, und es entsteht Neues. Das gibt Hoffnung.