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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Wird uns die Zukunft wirklich besser schmecken?

Franz Küberl im Gespräch mit Gerald Heschl

Franz Küberl, ehemaliger österreichischer Caritas-Präsident, ist als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit weithin bekannt. In seinem jüngsten Buch geht es um die Zukunft von Kirche und Gesellschaft. Wie kann heute ein Leben als Christ in der Kirche gelingen – für eine Welt, die allen guttut?, lautet dabei die zentrale Frage, die er im Interview mit dem „Sonntag“ erörtert.

Ihr jüngstes Buch trägt den Titel „Zukunft muss nach Besserem schmecken“ und enthält auch Autobiografisches. Was hat Sie geprägt?

KÜBERL: Ich bin in eine Zeit geboren worden, die ungeheure Entwicklungsmöglichkeiten geboten hat. Ich bin als Kind in einer Kellerwohnung in armen Verhältnissen aufgewachsen und hätte mir das nie träumen lassen. Eigentlich ist das ein kleines Wunder, das aber viele andere aus meiner Generation auch erlebt haben. Die Armut war damals ein Massenphänomen. Wenn man das heutigen Generationen erzählt, ist das für sie weit weg.

Beides ist heute unvorstellbar: die Armut, aber auch der Aufstieg.

KÜBERL: Österreich ist im Zweiten Weltkrieg fast der Hölle entkommen und hat es fast bis in den Himmel geschafft. Meine Generation war bei dem Aufstieg in den Himmel dabei. Wichtig ist mir aber nicht das, was war. Es hilft keinem heute, würde man sagen, dass es schon einmal bessere Aufstiegschancen gab.

Wir müssen im Jetzt leben und die Gegenwart und Zukunft bewältigen. Wenn wir von den Möglichkeiten von damals reden, ist das auch deshalb nicht verständlich, weil manches einfacher und anderes wieder viel komplexer geworden ist. Jede Generation muss die ihr gestellten Fragen beantworten.

Sie schildern auch die Begegnungen mit vielen Menschen …

KÜBERL: Mein Glück war schon, dass ich ungeheuer viele Menschen kennengelernt habe, die mich geprägt, aber auch gefördert haben. Es kann ja kein Mensch nur aus sich allein heraus etwas bewegen. Es braucht immer andere.

Die Kirche hat Sie geprägt und Sie haben ein Stück weit auch die Kirche geprägt. Die Kirche damals war noch wesentlich vom II. Vaticanum und einem Aufbruch geprägt, der heute ja auch schwer vermittelbar ist …

KÜBERL: Da hat man schon die Zukunft geschmeckt. Ich glaube, Johannes XXIII. hat mich für die Kirche begeistert. Vor allem sein Bild der „Verheutigung“, was ja nicht heißt, dass man jeder Mode nachlaufen muss. Man soll nur in der Lage sein, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu deuten. Dazu gehört auch, sich in das Neue mit dem Ursinn des Evangeliums einzuklinken.

Wie beurteilen Sie das Pontifikat von Papst Franziskus und seinen Synodalen Prozess, den er angestoßen hat? Führt dies auch in eine Zukunft, die nach Besserem schmeckt?

KÜBERL: Ja, das kann nach Besserem schmecken. Entscheidend wird sein, ob es auf die vielen Fragen der Gläubigen auf der ganzen Welt auch Antworten gibt, die sie in ihr Leben aufnehmen können. Kirche und Glaube bestehen ja aus zwei Schichtungen: Da ist einmal das Gehäuse Kirche. Da stellt sich die Frage, ob es genug Impulse gibt, dass das tägliche Leben der Gläubigen dadurch unterstützt, angespornt oder ermutigt wird. Aber der Hauptspielplatz der Gläubigkeit ist der Marktplatz des Lebens. Das kann die Familie sein, die Nachbarschaft, die Gemeinde, mein Beruf, der Verein und natürlich auch die Kirche. Das sind die Lebenswelten. Mein Rat und meine Bitte an kirchliche Mitarbeiter lauten daher: Verwendet bitte weniger als die Hälfte eurer Zeit für innerkirchliche Fragen!

Ist Ihnen die Kirche zu sehr in sich selbst gekehrt?

KÜBERL: Ehrlich gesagt habe ich schon manchmal den Eindruck, dass kirchliche Einrichtungen in ihrem Bemühen, im Leben der Menschen eine Rolle zu spielen, nicht wirklich gefördert werden. Da zählt man dann eher die Büroklammern und schaut, dass nicht zu viele verwendet werden.

Bleiben wir noch beim Glauben: Einen Satz habe ich mir herausgeschrieben: „Der Glaube ist keine Ich-AG.“ Braucht Glaube Kirche, also Gemeinschaft?

KÜBERL: Man kann nicht alleine glauben. Zum einen teilt man den Glauben, zum anderen erfährt man ihn durch andere Menschen. Es braucht auch den Austausch. Davon bin ich überzeugt. Zum Glauben gehört außerdem das Tun. Und dies geschieht wohl in erster Linie mit anderen Menschen gemeinsam. Das habe ich besonders in der Caritas erfahren. Nur im Miteinander entsteht etwas. Glaube hat auch mit Feiern zu tun, und alleine feiern ist schon eine sehr einsame Angelegenheit. Insofern entsteht und festigt sich Glaube durch Gemeinsamkeit.

Die Tendenz geht stark in Richtung Individualisierung. Wird da die individuelle Freiheit zu einer Art Ersatzreligion?

KÜBERL: Ich meine, dass Menschen ihre Freiheit immer rustikaler in Anspruch nehmen. Ein Problem wird es dann, wenn die Freiheit des Einzelnen die Freiheit anderer einschränkt.

Ist diese Form von Freiheit auch eine Ursache für die hohen Austrittszahlen? Denn handfeste Argumente gibt es derzeit zumindest in Österreich nicht.

KÜBERL: Insgesamt bewegt sich in Österreich das Schiff, das sich Kirche nennt, in ruhigen Gewässern. Möge das noch lange so bleiben. Neben hausgemachten innerkirchlichen Gründen ist sicher einer der Gründe, warum sich Leute von der Kirche abwenden, dass sie sich nichts mehr sagen lassen wollen. Das passt schon zu diesem rustikalen Freiheitsverständnis – unter dem Motto: Ich kann ja mit dem Evangelium, der Bergpredigt usw. weiterleben und brauche dazu den ganzen Apparat Kirche nicht. Die wollen sich in ihre individuelle Ethik nicht dreinreden lassen. Und es gibt Menschen, die wollen oder können nicht glauben.

Sie schreiben ja auch, dass es neben dem staatlichen Verfassungsbogen so etwas wie einen gemeinsamen Ethikbogen braucht. Wie soll man dieser individuellen Ethik begegnen?

KÜBERL: Ich finde, die katholische Kirche soll auch die Chance sehen, dass sie mit ausgetretenen Menschen auf vernünftige Weise umgeht und den Dialog nicht scheut. Mit dem Ethikbogen meine ich die Frage: Was hält uns in unserer Gesellschaft zusammen? Da haben wir als Kirche auch die Verantwortung, dass man über diese gemeinsame Ethik im Gespräch bleibt. Daher sollen wir mit möglichst vielen Menschen und gesellschaftlichen Gruppen Kontakt haben. Das negative Gegenteil davon wäre das Thermoskannen-Prinzip: nach innen wärmen und nach außen möglichst wenig abstrahlen. Das ist nicht die Kirche, die ich mir wünsche.

Also eine missionarischere Kirche …?

KÜBERL: Durchaus – aber mit einem zeitgemäßen Missionsverständnis. Das kann nicht sein, dass man die eigene Wahrheit ständig vor sich herträgt und versucht, sie anderen über den Kopf zu stülpen. Heute heißt dies, in der Lage zu sein, zuzuhören und im Gespräch zu bleiben. Wir sind ja überzeugt davon, dass sich der Herrgott in jeden Menschen eingeschrieben hat. Das soll ein inneres Wesensprinzip im Gespräch mit Anders- und auch Nichtgläubigen sein. Das heißt auch Auseinandersetzung und Debatte.

Der Titel Ihres Buches lautet: „Zukunft muss nach Besserem schmecken“. Das ist zwar eine Aufforderung, dennoch enthält er auch eine gehörige Portion Hoffnung. Woher nehmen Sie den Optimismus, dass die Zukunft tatsächlich nach Besserem schmeckt?

KÜBERL: Wenn ich mir die Geschichte der Menschheit anschaue, so sehe ich absolut keinen Grund zur Annahme, dass jetzt die Apokalypse kommt. Jede Generation stand vor großen Herausforderungen, viele haben geglaubt, dass jetzt alles aus ist. Ja, es gibt heute viele Verwerfungen, doch gibt es immer auch einen Grundzug, dass sich die Situation für viele Menschen positiv entwickelt.

Es gibt viele Entwicklungen, die mir Hoffnung machen. Wir müssen aber schon schauen, dass wir der nächsten und übernächsten Generation keinen Scherbenhaufen hinterlassen. Das ist auf jeden Fall unsere Verantwortung. Als gläubiger Mensch lebe ich auch in der Zukunftshoffnung, dass alles gut werden wird. Dass das wirklich eintritt, ist aber weniger eine Glaubensfrage, sondern hängt schon auch zum guten Teil am Bodenpersonal vom Herrgott. Er hat uns die Freiheit gegeben, den Weg ins Bessere zu suchen. Diese Freiheit hat er uns mit dem Schöpfungsimpuls mitgegeben.

Zur Person:

Franz Küberl (*1953 in Graz), arbeitete sein Leben lang in unterschiedlichen kirchlichen Funktionen in der Diözese Graz-Seckau und österreichweit. 1994 wechselte er zur Caritas. Als erster Laie wurde er 1995 Präsident der Caritas Österreich. Durch seinen Einsatz für soziale Gerechtigkeit erlangte er weitreichende Bekanntheit. Das Kommunikationstalent war „Mann des Jahres“ im Trend-Magazin und erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. 2005 verlieh ihm die Katholisch-Theologische Privatuniversität Linz die Ehrendoktorwürde.

Buchpräsentation:

"Zukunft muss nach Besserem schmecken – Herausforderungen für Kirche und Gesellschaft“ von Franz Küberl ist im Tyrolia-Verlag erschienen. 194 Seiten. Preis: € 22,00 €

Erhältlich bei der Buchpräsentation am Stand des Behelfsdienstes der Diözese, Tel: 0463/5877-2135 bzw. E-Mail: behelfsdienst@kath-kirche-kaernten.at

Buchpräsentation:

Mittwoch, 12. April, 19 Uhr, Diözesanhaus, Tarviser Str. 30, Eintritt frei!

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