Wir haben keine Euro-Krise
Claus Raidl, Präsident der Nationalbank, zur Schuldenkrise und zur Kirchenkrise
Claus Raidl im "Sonntag"-Gespräch über die Gestaltungskraft von Politik und Gesellschaft


Ganz Europa wartet derzeit gebannt auf die Wahlen in Griechenland. Aber auch Spanien, Portugal und Italien haben Probleme. Als Präsident der Nationalbank stecken Sie direkt in der Eurokrise ...
Raidl: ... da muss ich gleich widersprechen: Wir haben keine Euro-Krise. Der Euro hat sich bewährt und steht überhaupt nicht infrage. Wir haben eine Staatsschuldenkrise, deren Ursache einmal die Finanzkrise und dann die Wirtschaftskrise war. Damals haben die Staaten zwei Mal zu recht große Ausgaben getätigt: einmal die Bankensanierung, die Milliarden gekostet hat, dann die Konjunkturpakete. Dazu kommen steigende Kosten wie die Arbeitslosenunterstützung, die Unterstützung bei der Kurzarbeit etc.
Österreich steckt ebenfalls tief in den roten Zahlen. Ein Sparpaket jagt das andere. Wo würden Sie ansetzen?
Raidl: Wir brauchen dringend grundlegende Reformen. Zunächst einmal bei den dynamisch wachsenden Ausgaben, die auch mit der demografischen Entwicklung zusammenhängen. Das sind in erster Linie die Bereiche Pensionen, Pflege, Gesundheit.
Gerade bei der Pflege ist eine heftige Diskussion entbrannt. Die Steiermark und Kärnten setzen auf den Regress durch Angehörige. Wie sieht Ihr Reformvorschlag aus?
Raidl: Beim Pflegesystem müssen wir rasch eine neue Finanzierung finden. Ich könnte mir vorstellen, dass man innerhalb des Steuersystems einen Tausch durchführt. Da muss man neue Prioritäten setzen. Nehmen Sie die Wohnbauförderung. Diese war nach dem Krieg sehr wichtig. Aber heute hat sie diese Bedeutung längst nicht mehr. Im Gegenzug kostet die Pflege viel zu viel. Bei den Sozialabgaben werden vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer jeweils 0,5 Prozent für die Wohnbauförderung einbehalten. Das entspricht in etwa einer Milliarde Euro. Dieses Geld könnte man für eine Pflegeversicherung verwenden. Alternativ vorstellbar wäre eine Pflichtversicherung, die privat abgewickelt wird. Da muss man auf die soziale Verträglichkeit achten.
Sie sprechen auch immer wieder von einer Bildungsreform und von der längst überfälligen Verwaltungsreform ...
Raidl: Bei den Universitäten brauchen wir Aufnahmsprüfungen und Studiengebühren. Es ist nicht einzusehen, dass der Kindergarten in manchen Bundesländern etwas kostet, aber das Studium gratis sein soll! Was die Verwaltungsreform und den Föderalismus betrifft, sieht man an der Steiermark, dass etwas weitergehen kann. Ich würde nicht die Bundesländer abschaffen. Das halte ich für dumm. Aber es würde keinem Österreicher auffallen, wenn es den Bundesrat nicht mehr gäbe.
Der Staat braucht Geld. Sind Sie für eine Reichensteuer?
Raidl: Das ist ein populistischer Begriff. Ich bin aber dafür, dass alle Erträge von Vermögen und Wertzuwächsen mit 25 Prozent besteuert werden. Das gleiche gilt für Grundstücke, etwa für Umwidmungen. Ich bin auch dafür, dass man beim 13. und 14. Gehalt die höheren Einkommen ganz normal besteuert, sodass der Vorteil verloren geht.
Sie waren auch wirtschaftspolitischer Berater von Bundeskanzler Schüssel. Also genau in jener Ära, die jetzt von der Justiz aufgearbeitet wird. Wie geht es Ihnen, wenn Sie von diesen Machenschaften hören oder lesen?
Raidl: Es geht ja nicht um die ganze Regierung, sondern nur um einzelne Personen und ihr Umfeld. Die Regierung selbst hat in diesen sechs Jahren viel weitergebracht.
Dennoch hat man das Gefühl, ohne Korruption und Bestechlichkeit geht in Politik und Wirtschaft nichts. Sind Wirtschaft und Politik noch saubere Geschäfte?
Raidl: Ja, sie sind sauber. Es ist aber schon erdrückend, was da an Korruption, an Gier, hervorkommt.
Was sind die Ursachen? Ist der Anstand verloren gegangen?
Raidl: Die Wurzeln sind Gier, dann die Annahme, es ist alles käuflich und der Verlust von Regeln, die man eigentlich in der Volksschule mitbekommt. Es ist das Gefühl für das verloren gegangen, was man tut und was man einfach nicht tut. Es hat ja jeder geglaubt, er muss jedes Jahr mindestens ein Haus verdienen, was man früher für sein ganzes Leben geplant hat. Da ist vieles verloren gegangen, was man wieder zurückholen muss.
Gestatten Sie zum Schluss eine persönliche Frage: Sie selbst sind Mitglied im MKV und im CV. Wie halten Sie´s mit der Religion?
Raidl: Ich bin CVer, bin Katholik. Ich muss aber schon sagen, dass es einem immer schwieriger gemacht wird.
Wo liegt das Problem?
Raidl: Die Einstellung der Kirche zur Frau, zur Sexualität, die Frage der wiederverheiratet Geschiedenen und ihrer Zulassung zur Kommunion. Die Kirche macht es einem nicht immer leicht. Aber man nimmt das alles in Kauf, wenn man davon überzeugt ist, dass Jesus Christus Sohn Gottes ist. Alles andere ist Beiwerk.