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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Ich erwarte mir einen moralischen Leitfaden

Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle über die Bruchlinien in Österreichs Gesellschaft

Die Kärntner Politikwissenschafterin über die Folgen der Bundespräsidentenwahl, das Säen von Misstrauen und die dringendsten Aufgaben der Regierung

Die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle über die Folgen der Bundespräsidentenwahl, neue Bruchlinien in Österreichs Gesellschaft und die Rolle der Kirche als Brückenbauer. (© Foto: furgler)
Die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle über die Folgen der Bundespräsidentenwahl, neue Bruchlinien in Österreichs Gesellschaft und die Rolle der Kirche als Brückenbauer. (© Foto: furgler)
Kärntner Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle (© Foto: sonntag/eggenberger)
Kärntner Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle (© Foto: sonntag/eggenberger)

Nach der Bundespräsidentenwahl sprachen viele Beobachter von einer gespaltenen Gesellschaft, von Brüchen, die überwunden gehören. Wie beurteilen Sie die gesellschaftliche Situation?
Stainer-Hämmerle: Die Spaltung der Gesellschaft ist ja nicht neu. Es gab in der Zweiten Republik immer ein rotes und ein schwarzes Lager. Bei dieser Wahl sind aber neue Bruchlinien sichtbar geworden. Diese Linien verlaufen entlang zweier Grundgefühle, die von den Kandidaten auch angesprochen wurden: Auf der einen Seite herrscht Pessimismus, die Angst vor dem sozialen Abstieg. Auf der anderen Seite stehen die eher Zufriedenen, die an das System glauben und positiv in die Zukunft blicken. Man kann nicht mehr vom klassischen Rechts-Links-Schema sprechen.

Die Frage ist, wie man diese Unzufriedenen und Ängstlichen ins politische System integrieren kann. Wenn man etwa den krassen Stadt-Land-Unterschied im Wahlverhalten ansieht: Wie kann man sich diese Diskrepanz erklären?
Stainer-Hämmerle: In den Städten ist die Gesellschaft jünger, besser gebildet, besser verdienend. Daher sind sie auch optimistischer, meist auch weniger ängstlich gegenüber Zuwanderern. Am Land ist das genaue Gegenteil der Fall. Dazu kommen die strukturellen Probleme: Es gibt keine Post mehr, keine Geschäfte, keine Arbeitsplätze. Die Jugend wandert ab. Wie soll da Optimismus aufkommen?

Man spricht jetzt viel davon, die Gräben zu überwinden und Brücken zu bauen. Das kann ja nicht nur der neu gewählte Präsident alleine schaffen. Welche Aufgaben sehen Sie etwa bei den Regierungsparteien?
Stainer-Hämmerle: Die haben eine ganz besondere Aufgabe, weil der Riss mitten durch die Parteien geht. Sie müssen sich vorstellen: Von allen, die bei der letzten Nationalratswahl ÖVP gewählt haben, entschieden sich diesmal 50 Prozent für Hofer und 50 Prozent für Van der Bellen. Die ÖVP hat sich in der Mitte geteilt. Bei der SPÖ ist es immerhin noch ein Drittel, die Hofer gewählt haben und nicht dem offiziellen Kurs der Parteispitze gefolgt sind. Da stellt sich die Frage, wie es die Parteien schaffen, zwischen ihren Wählern Brücken zu bauen. In so einer Zwickmühle müssen sie erst einmal ein gemeinsames Regierungsprogramm durchbringen. Das stelle ich mir schwierig vor.

Was kann in so einer Situation die Rolle der Regierung sein?
Stainer-Hämmerle: Für die Regierungsparteien war ja der erste Wahlgang ein heilsamer Schock. Ich denke, sie haben die Botschaft verstanden. Aber es muss ihnen jetzt gelingen, bis zur nächsten Nationalratswahl Vertrauen zu schaffen. Wir werden sehen, wie lange die Harmonie zwischen Kern und Mitterlehner halten wird. Entscheidend wird sein, dass die beiden Hoffnung, ein positives Zukunftsbild vermitteln können.

Viele haben den Eindruck, dass dieser Wahlkampf besonders aggressiv verlief. Teilen Sie diese Ansicht?
Stainer-Hämmerle: Ich glaube, da hat das ATV-Duell die Meinung beeinflusst. Wenn Sie sich alte Wahlplakate anschauen, so finden Sie auch Slogans, die nicht sehr fein sind. Dagegen waren die Kandidaten zurückhaltend. Was es früher nicht gab, sind die Sozialen Medien. Dort ist es mitunter schon rund gegangen. Da kommen heute Meinungen an die Öffentlichkeit, die früher am Stammtisch geblieben sind. Aber in Summe sind es Einzelne, die hier agitieren.

Dennoch hat dieser aggressive Grundtenor in der Debatte Sorgen ausgelöst. Zuletzt hat sich bei der Fronleichnamspredigt auch Kardinal Schönborn für den Brückenbau und einen gemäßigteren Ton ausgesprochen. Welche Aufgaben sehen Sie für die Kirchen, die Risse zu kitten?
Stainer-Hämmerle: Zunächst einmal sollten Kirchen und Parteipolitik getrennt sein. Es ist aber wichtig, zu Grundsatzfragen Stellung zu nehmen. Von der katholischen Kirche erwarte ich mir eher einen moralischen Leitfaden: Wie geht man miteinander um, welchen Ton wählt man, wie hält man es mit den Menschenrechten? Da sehe ich eine wichtige Aufgabe. Wenn man „Kirche“ weiter fasst, so wünsche ich mir schon von der Islamischen Glaubensgemeinschaft ein klareres Bekenntnis in Richtung Demokratie, Werte und europäischen Islam.  

Im Zuge der Wahl wurde viel über die Kompetenzen des Bundespräsidenten diskutiert. Wird es nun zu einer Beschränkung kommen?
Stainer-Hämmerle: Ich finde erstaunlich, dass jetzt Van der Bellen de facto eine Dritte Republik ankündigt. Er will aber die Rolle des Bundespräsidenten schwächen. Ich frage mich: zugunsten von wem? Das ist ein komplexes Thema. Aber man soll sich die Verfassung einmal anschauen und auf die Höhe der Zeit bringen. Den Versuch dazu gab es schon 2004. Damals ist er gescheitert. Ich halte es aber für ein tolles Projekt, denn man sollte in regelmäßigen Abständen darüber nachdenken, welche Aufgaben der Staat eigentlich hat.

Gleich nach der Stichwahl kamen bei der Wahlparty der FPÖ Gerüchte über Wahlbetrug auf. Wie sind solche Äußerungen zu bewerten?
Stainer-Hämmerle: Was ich dabei wirklich für verwerflich halte, ist das Säen von Misstrauen gegenüber demokratischen Prozessen. Es ist der Versuch, dem Sieg von Van der Bellen die Legitimation abzusprechen. Aber es geht noch weiter: Im Grunde stellen sie damit auch die Volkswahl infrage. Offenbar hält man die Menschen nicht für reif genug, geheim und frei zu wählen. Das ist insofern interessant, als gerade die FPÖ immer von der „Macht des Volkes“ und Volksabstimmungen spricht. Wie soll das dann funktionieren, wenn man gleichzeitig meint, die Menschen seien nicht in der Lage, frei zu entscheiden?

Eine Gesellschaft lebt vom Vertrauen in ihre Institutionen. Spaltet man nicht durch dieses Schüren von Misstrauen noch mehr?
Stainer-Hämmerle: Ich glaube, es geht weniger um Spalten, sondern um Entfremden. Man entfremdet die Menschen von den demokratischen Prozessen und bereitet den Boden auf für autoritäre Angebote nach dem Motto: „Wir brauchen kein Parlament wo nur lange herumgeredet wird, wir brauchen einen, der entscheidet.“ Parteien sollten Personen und Gruppen ins politische System integrieren. Mit diesen Gerüchten macht man genau das Gegenteil. Ich habe mich wissenschaftlich intensiv mit Wahlrechten auseinandergesetzt und kenne eigentlich kein besseres als unseres - trotz aller Für und Wider. Das in Frage zu stellen, geht an die Grundfesten der Republik.

Wir haben einen neuen Bundespräsidenten und Bundeskanzler. Was würden Sie beiden empfehlen, wo sie als erstes ansetzen sollten?
Stainer-Hämmerle: Für mich liegt das Problem einfach in der mangelnden politischen Bildung. Ich denke, das wäre der Hebel, bei dem man ansetzen müsste. Nicht nur in Bezug auf die aktuelle Diskussion, sondern ganz generell. Da hat Österreich einen großen Nachholbedarf.