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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Wir sind noch nicht am Ende des Weges

Univ.-Prof. Markus Müller, Rektor der Med Uni Wien, über die Entwicklungen von Corona

Rektor Univ.-Prof. Markus Müller (Foto: MedUni Wien)
Rektor Univ.-Prof. Markus Müller (Foto: MedUni Wien)

Univ.-Prof. Markus Müller, Rektor der MedUni Wien und Mitglied der Corona-Taskforce des Gesundheitsministeriums, im Gespräch über Corona-Impfungen, seine Heimat Kärnten, wie Corona die Gesellschaft verändert und Religiosität ein Anker in schweren Zeiten sein kann.

von Christine Weeber

Herr Professor Müller, hat Covid-19 diese Welt verändert? Ist das gesellschaftliche Klima in Österreich anders geworden?
Müller: Natürlich hat Covid-19 die Welt sehr stark verändert. Das Schreckliche an Corona ist, dass es genau dort ansetzt, wo Menschen miteinander interagieren, in den sozialen Beziehungen, dem Handgeben, dem Maskentragen oder dem Distanzhalten. Auch die internationalen Beziehungen sind durch Corona stark beschädigt worden. Corona ist wie ein Brennglas, in dem man sowohl Personen, als auch internationale Beziehungen und wirtschaftliche Phänomene schärfer sieht. Wir erkennen deutlich, wie abhängig wir etwa von China sind, und was dies in einem Krisenfall konkret bedeutet. Es war zudem belastend, wenn man Freunde nicht treffen oder nicht ins Gasthaus auf ein Gespräch gehen kann. Ich empfinde das Klima auch als polarisiert. Es gibt auf der einen Seite Personen, die sagen, es ist schrecklich, die Welt geht unter und auf der anderen Seite Menschen, die meinen, es ist gar nichts. Die Wahrheit in all dem liegt vermutlich irgendwo in der Mitte.

Sie sind Rektor der Medizinischen Universität Wien und zählen zur „Taskforce“ des österreichischen Gesundheitsministeriums, dem Beraterstab von Minister Rudolf Anschober. Wie sieht Ihre Tätigkeit genau aus?
Müller: Ich habe Ende Februar dem Ministerium einen Vorschlag mit sechs Personen gemacht, die sich in Fragen von Infektionskrankheiten und Pandemien gut auskennen – der Beirat der Taskforce. Im Laufe der Zeit sind weitere Experten hinzugezogen worden; die Sitzungen waren anfangs häufig. Das war eine Zeit, die sehr intensiv war, und wir waren auch international abgestimmt. Wir haben sehr genau beobachtet, was in anderen Ländern passiert, und wir sind zur Erkenntnis gelangt, dass wir den steigenden Corona-Zahlen nicht tatenlos zusehen können. Das war diese erste Phase. Dann ist dieser Beraterstab viel größer geworden mit mittlerweile 27 Experten; die Tätigkeit ist jedoch nicht mehr so intensiv.

Wie sehen Sie den weltweiten Wettlauf und die Forschung nach einem Impfstoff gegen Covid-19? Wer wird auf der internationalen Bühne Ihrer Ansicht nach das Rennen machen?
Müller: In den letzten Wochen sind Daten erschienen, die Hoffnung machen. Ich war eher skeptisch, weil es bis dato gegen Corona-Viren keinen Impfstoff gibt. Es ist nicht so leicht wie etwa bei Grippe. Bei Influenza kann man sehr gut berechnen, wann ein Impfstoff jedenfalls da sein wird. Bei Corona laufen derzeit hunderte Impfstoffprojekte. Ich könnte mir vorstellen, dass es heuer vielleicht noch einen Impfstoff geben könnte.


Darf man hier Parallelen zur Influenza wagen? Wird es eine notwendige Impfung gegen Covid-19 zukünftig geben?
Müller: Bei der Influenza gibt es ja alljährlich im Herbst eine Grippewelle. Es ist eigentlich sehr erstaunlich, dass Influenza so berechenbar auftritt. Der Vorteil bei der Influenza ist ein sogenanntes Baukastensystem. Das heißt, man hat bereits einen Teil des Impfstoffes, man muss dann nur den neuen Virusstamm in den Baukasten einbauen. Das ist bei Corona nicht der Fall. Corona ist offenbar weniger veränderlich wie Grippe. Hier wird die entscheidende Frage sein, wie man immun wird, und wie lange man immun bleibt. Aus heutiger Sicht ist es wahrscheinlich so, dass man nicht ewig immun gegen Corona ist und sich öfter impfen lassen müsste. Aber es ist zu früh, es mit Sicherheit zu sagen.

Wie sehen Sie die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Corona-Welle im Herbst dieses Jahres?
Müller: Man muss zuerst einmal erläutern, was man unter einer Welle versteht. Im Februar gab es ein starkes, exponentielles Wachstum, das gedämpft wurde, jetzt wieder einen leichten Anstieg. Es werden immer kleine Wellen entstehen, aber wenn wir vernünftig sind, wird es dabei bleiben. Heute weiß jeder, wie man sich persönlich schützen kann. Das war im Februar nicht so klar. Die Staaten haben daher im Frühling alle auf sehr ähnliche Art mit Maßnahmen reagiert. Ich rechne aber nicht mehr mit einer dramatischen Welle.

„Es liegt an jeder einzelnen Person, etwas zu tun“, so der oberösterreichische Genetiker Josef Penninger …
Müller: Josef hat ein Produkt gegen Corona entwickelt, den ACE-2-Rezeptor in der Lunge. Er war in den letzten 20 Jahren sehr aktiv in diesem Feld. Es könnte aus dieser Forschungsentwicklung ein echtes Medikament gegen Corona entstehen. Man muss insofern sagen, dass er zweifellos seinen Beitrag geleistet hat. Und so weiß auch jeder Erdenbürger, welchen Beitrag er mit seinem Verhalten leisten kann, wenn er will.

Wie stehen Sie zur Bedeutung der Regionen – die ja jetzt auch wieder diskutiert wird?
Müller: Nachdem ich aus Hermagor komme, bin ich auch ein Landmensch; ich kenne das Gailtal recht gut und sehe sowohl die Kleinteiligkeit, als auch das Prinzip von größeren Einheiten, das ist letztlich die Diskussion zu Europa. Österreich ist ein sehr kleines Land und in hohem Maß abhängig vom Tourismus. Der Tourismus in Kärnten ist derzeit gut gebucht. Der Grund, warum Gäste jetzt überhaupt nach Kärnten kommen, ist natürlich auch, weil es Covid-sicher ist. Insofern ist es auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor, dass man das Thema Covid ernst nimmt. Europa hat in einer globalen Herausforderung in erster Linie kleinteilig und nationalstaatlich reagiert, es gab leider kein gemeinsames Konzept, und das sehe ich als Problem. Man kann das Gailtal nicht ohne Österreich sehen, man kann Österreich nicht ohne Europa sehen, man kann wieder Europa nicht ohne diese Regionen sehen. Es hängt besonders in unserer globalisierten Welt alles irgendwie zusammen. Wir sind noch nicht am Ende des Weges.

Sind Sie persönlich religiös? Vermag der Glaube in Krisenzeiten ein Halt zu sein?
Müller: Ja, ich bin religiös. Ich bin römisch-katholisch und versuche, das auch zu leben. Nach Möglichkeit besuche ich am Sonntag die Kirche. Das geht im Gailtal manchmal besser als in Wien. Ich glaube, dass jeder Mensch in seinem Leben einen geistigen Anker braucht, eine gewisse Richtschnur, eine Orientierung. Wenn man diese gar nicht hat, glaube ich schon, dass man es auch in belastenden Zeiten schwerer hat.