Wie Versöhnung gelingen kann
Gespräch mit Gotthard Fuchs, Vortragender bei den Pastoraltagen 2015
Bei den Pastoraltagen am 7./8. September im Bildungshaus Tainach spricht Gotthard Fuchs über „Führe uns in Versöhnung“. Ein Gespräch über das Böse, Versöhnung und Barmherzigkeit


Sie sprechen bei den Pastoraltagen in Tainach zum Thema „Führe uns in Versöhnung“. Ist dies auch ein Hinweis auf die unversöhnte Zeit, in der wir in vielen Teilen der Welt leben?
Fuchs: Das Thema ist angelehnt an die Vaterunser-Bitte, die vom Bösen spricht. Gerade in der Gegenwart ist ein Wort für das Böse „Gewalt“. Versöhnung hat viel damit zu tun, dass wir die strukturelle Gewalt in der menschlichen Psyche und zwischen den Menschen nicht wegdrücken. Im Blick auf den Gekreuzigten und Auferstandenen wird deutlich, wie sehr wir Menschen seit Kain und Abel in einer Mord-Geschichte immer Opfer produzieren – ob als Gewalt in Ehe und Familie oder gegen sich selbst. Und natürlich im politischen Großkontext, wo so viel fürchterliche Gewalt vorhanden ist. Nicht zufällig ist Auschwitz das Gewaltsymbol für den modernen Menschen, der seine Vernunft leider oft derart pervertiert, dass er, wenn er das Gute will, stets das Böse schafft.
Kann man sagen: Eine Voraussetzung zur Versöhnung ist es, mit sich selbst im Reinen zu sein?
Fuchs: Genau. Die Bergpredigt sagt ganz deutlich: Selig, die reinen Herzens sind, sie werden Gott anschauen. Selig sind die Friedfertigen. Das ganze Evangelium zielt auf Vergebung und Versöhnung. Gerade im christlichen Glauben ist ein ungeheures Versöhnungspotenzial, das aber nur zum Zuge kommt, wenn wir mit dieser Zusage Gottes uns der Situation stellen, in der wir wirklich sind: mit unseren guten und bösen Anteilen. Wenn wir so mit uns ins Reine kommen, dann können wir glaubwürdig für andere etwas tun.
Die Versöhnung muss also alle Seiten beachten – die positiven wie die negativen. Allzu gerne wird in unserer Gesellschaft aber alles Negative ausgeblendet, bleibt tabu. Kann Versöhnung in so einer Einbahn überhaupt funktionieren?
Fuchs: Es gibt einen uralten Satz der Kirche: Nichts, was nicht angenommen wird, kann verwandelt werden. Wenn wir die dunklen Seiten in uns verdrängen, machen sie sich selbstständig bis hin zur Abspaltung und Übertragung auf andere. Das ist ein Grund, warum das alte Beichtsystem in eine Krise geraten und für viele nicht mehr glaubwürdig ist. Da wurde eine Weißwäscherei praktiziert, die unterstellt, dass man als Christ ja immer das Gute will. Aber wenn ich immer nur das Gute will, wer ist dann verantwortlich für das Böse? Immer nur die anderen. Die Einladung des Glaubens ist gerade die, uns mit unserer Endlichkeit und Sündigkeit zu befreunden. Wir müssen Abschied von diesem Gutmenschentum nehmen, wo wir immer nur Nächstenliebe praktizieren und die anderen tun das Böse. Aber schon alleine den Nächsten lieben wollen ist ein unglaubliches Wunder. Denn zum Menschen gehört genauso, dass wir den Nächsten am liebsten auf den Mond schießen wollen.
Der Themenkreis Versöhnung – Vergebgung, Täter – Opfer führt auch zur Theodizee-Frage: „Wie kann Gott all das zulassen?“
Fuchs: Sie ist eigentlich ein Ablenkungsmanöver. Man schiebt Gott in die Schuhe, was wir Menschen selber weltweit kaputt machen. Gott ist ja niemand, der in diesem Sinne als Zauberer funktioniert. Er will uns als freier Partner, der sein Gewissen erforscht. Dann können wir klar unterscheiden, wo wir noch sein Ebenbild sind und wo wir selber dazu beitragen – seit Kain und Abel – Opfer zu produzieren.
Das Ansprechen der negativen Seite schafft aber nicht nur Freunde …
Fuchs: Aber das ist die Zukunft. Gerade auch für uns als Christen im Gespräch mit den Weltreligionen. Wir müssen den Glutkern des Christlichen und die Mitte des Evangeliums bezeugen. Ich meine, das Evangelium ist alternativlos gerade als Gewaltanschauung. Es gibt keine andere Religion, in der das Opfer mitmenschlicher Gewalt derart im Mittelpunkt steht, wie im Christentum. Und damit auch die Täterproblematik. Dazu gehört auch, dass wir selber als Christen sagen, wie weit wir hinter dem Evangelium, das wir verkünden, zurückbleiben.
Darauf bezieht sich in gewisser Weise Papst Franziskus bei der Verkündigung des Jahres der Barmherzigkeit. Wie eng sind Barmherzigkeit und Versöhnung verknüpft?
Fuchs: Barmherzigkeit gibt es nicht ohne Gerechtigkeit. Das betont auch der Papst. Barmherzigkeit ist ja kein Fuselgefühl, bei dem man Fünfe gerade sein lässt und es sich irgendwie richtet. Barmherzigkeit ist eine hellsichtige Tätigkeit. Jeder, der das übt, weiß, wie sehr er selber der Barmherzigkeit bedarf. Barmherzigkeit ist also kein Richten, aber auch kein Verzicht auf Gerecht-Machung. Versöhnung kann nur gelingen, wenn wir aufhören, einander zu richten und an das Wirken Gottes im Nächsten glauben, an die Ebenbildlichkeit jedes Menschen und daraus ein Gefühl von Convivenz, von Solidarität etc. entwickeln. So verstehe ich Barmherzigkeit. Es ist eine ganz starke Tugend, die sich der Realität mit ihren Stärken und Schwächen stellt und nicht darüber hinweg schmust.
Beurteilen wir zu rasch andere? Sprechen wir zu schnell von Schuld und Scheitern?
Fuchs: Ich kann nie über einen anderen richten. Wir sind als Christen nicht dazu da, anderen Schuld zuzusprechen, sondern die Güte Gottes zu bezeugen. Das ist gerade beim jetzigen Pontifikat so großartig, dass man endlich aufhört, den Glauben in moralischen und rechtlichen Kategorien zu formulieren. Die haben viele verletzt. Wir sind aus dem heraus ja mit schuld, dass viele die Kirche verlassen haben. Wir haben das Evangelium von der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes verstellt mit kirchlichen Vorschriften, Riten und Maßnahmen, die den Geschmack haben, als wäre die Kirche eine moralische Anstalt und auch ein Gerichtshof. Das ist sie aber nicht. Sie ist der Ort, in dem die Schöpfung selbst eintritt in das Geheimnis Gottes und die Einladung dessen spürt, der gerecht machende Barmherzigkeit ist. Wir haben aber völlig genug zu tun mit uns selbst. Wir sind Anwälte der Vergebung und nicht der Schuldsuche.
Im dritten Referat geben Sie Impulse für die Lebens- und Gemeindepraxis. Welche Impulse könnten Sie unseren Leserinnen und Lesern für ein versöhntes Leben mitgeben?
Fuchs: Eine tiefe Fehlerfreundlichkeit. Aus dem Evangelium kommt eine Atmosphäre des Wohlwollens, der Güte. Wir sind in allem, was wir sind, von Gott bejahte Menschen. Schluss mit dieser Lust am schlechten Gewissen, mit dieser Tendenz, sich und andere abzuwerten! Christen zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus dieser absoluten Güte Gottes schöpfen, die unerschöpflich ist. Im Credo heißt es ja: Wir glauben an die Vergebung der Sünden und nicht: Wir glauben an die Sünden! Es ist tragisch, dass die Kirche sehr oft den Eindruck erweckt, als glaube sie das, was sie verkündet, selbst nicht. Da ist viel Schwarz-Weiß-Malerei, aber auch viel Schönfärberei im Spiel. Wir sind Sünder. Also: Abschied von dieser Besserwisserei, die herumschnüffelt und nach Schuld sucht, wie das Wildschwein nach den Morcheln. Leben wir aus der Fülle des Glaubens und machen wir von Gottes zuvorkommender Liebe Gebrauch!
Zur Person:
Dr. Gotthard Fuchs, geb. 1938 in Halle/Saale, studierte Theologie, Philosophie und Pädagogik. 1963 Priesterweihe in Paderborn. 1983-1997 Direktor der Rabanus-Maurus-Akademie, seitdem Ordinariatsrat für Kultur, Kirche und Wissenschaft in den Bistümern Limburg und Mainz. Zahlreiche Publikationen, Vorträge und Lehraufträge.
Pastoraltage 2015 mit Gotthard Fuchs zum Thema „Führe uns in Versöhnung“ im Bildungshaus Tainach.
Beginn: Montag, 7. September, 9.00 Uhr; Ende: Dienstag, 8. September, 12:30 Uhr.
Anmeldungen und Infos: Bischöfliches Seelsorgeamt, Tarviser Str. 30, 9020 Klagenfurt, 0463/5877-2101.