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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Wertschätzung des Menschen schon vor der Geburt

Pränatalpsychologe Terence Dowling im Gespräch mit Georg Haab

Das menschliche Leben beginnt nicht erst mit der Geburt. Terence Dowling zeigt auf, weshalb die Zeit der Schwangerschaft und das Wohlergehen der Mutter wesentlich für Gesundheit und Entwicklung des Kindes sind.

Pränatalpsychologe Dowling im SONNTAG-Interview zu Volkskrankheiten, deren Ursachen in der Schwangerschaft zu suchen sind, und wie sie vermieden werden können. (© Foto: Sonntag)
Pränatalpsychologe Dowling im SONNTAG-Interview zu Volkskrankheiten, deren Ursachen in der Schwangerschaft zu suchen sind, und wie sie vermieden werden können. (© Foto: Sonntag)
 (© Foto: Dowling)
(© Foto: Dowling)

Was ist Ihr besonderer Ansatz?
Dowling: Mein Forschungsgebiet ist die frühkindliche Entwicklung von der Zeugung bis zum Alter von etwa vier Jahren. Diese Forschung hat sämtliche Ergebnisse erbracht, die für die medizinische und psychologische Betreuung älterer Kinder und Erwachsener wichtig sind. Ein Ergebnis dieser Forschungen ist, dass die meisten sogenannten Volkskrankheiten nicht einen genetischen Hintergrund haben, sondern einen epigenetischen, d. h. das Verhalten der Mutter während der Schwangerschaft, ihr Lebensstil, ist wichtig für das Verständnis, warum das Kind dann z. B. Diabetes entwickelt, Fettsucht oder Herzbeschwerden.

Die Pränatalpsychologie ist kein alltägliches Forschungsgebiet. Wie sind Sie dazu gekommen?
Dowling: Eigentlich durch Zufall. Ich habe einen Pionier der Pränatalpsychologie kennen-gelernt, Frank Lake. Er hat als christlicher Psychiater in Indien gearbeitet. Durch Auswertung  seiner Arbeit mit einigen Tausend Patienten kam er zu der Erkenntnis, dass es frühkindliche Traumatisierung gibt, nicht nur bei der Geburt, auch schon im Mutterleib. Das und dass er einen Behandlungsansatz vorschlägt, der stark aus dem christlichen Glauben kommt, hat mich fasziniert.

Was bedeutet das für Sie?
Dowling: Es ist die Annahme, dass nicht nur das körperliche Leben von Menschen im Mutterleib beginnt, sondern auch das seelische Leben, und dass Körper und Seele von der Zeugung an zusammen sich entfalten. Wenn es im Mutterleib eine Störung gibt – das kann eine Krankheit, eine organische Störung der Mutter, aber auch eine Störung von außen sein, eine Störung in der Familie oder Krieg –, beeinflusst das die körperliche, aber auch die seelische Entfaltung eines Kindes.

Haben Sie ein Beispiel dazu?
Dowling: Mein erster Patient in Deutschland war ein depressiver Mann, hochintelligent, selber Professor der Psychologie. Er hat sein Problem nicht lösen können. Als ich mit ihm mit einfachen Techniken die frühesten Erlebnisse ergründet habe, sind wir daraufgekommen, dass seine Mutter in der Schwangerschaft eine Vergewaltigung durch den Großvater väterlicherseits erlitten hatte. Diese Vergewaltigung war die Ursache seiner Depression, verbunden mit einer Bindungsstörung. Die Therapie konnte sein Problem aufarbeiten, so dass er die folgenden Jahre glücklich leben konnte.

Sie sprachen eingangs von den Volkskrankheiten. Welchen Zusammenhang sehen Sie zu Schwangerschaft und Kindheit?
Dowling: Es gibt fundierte empirische Studien über die Auswirkung von bestimmten negativen Faktoren während der Schwangerschaft wie Rauchen und Alkoholkonsum der Mutter. Auch Arbeitsstress, Trauerbewältigung, Umweltkatastrophen usw., wie die sich auf die seelische Entfaltung des Kindes auswirken.

Wenn die Politik mehr täte, um Schwangerschaft finanziell und sozial zu unterstützen, hätte dies eine erhebliche positive Wirkung auf die Gesundheit der nächsten Generation.

Welche Folgen hat z. B. Alkohol?
Dowling: Alkohol ist eine stark fetotoxische Substanz. Mehr als eine Einheit, das ist etwa ein Glas Bier, ein Glas Wein oder ein Gläschen Schnaps in der Woche, ist für das Kind gesundheitsschädlich. Das ist direkt nach der Geburt nachweisbar. Alkohol in den ersten drei Monaten verursacht Fehlbildungen, vor allem im Gesicht und den inneren Organen; in der Mitte der Schwangerschaft Wachstumsstörungen; in den letzten drei Monaten unterbindet Alkohol die Verbindung von Neuronen im Gehirn und kann schon in geringer Dosis zu geistiger Behinderung führen. Das ist – neben vielen anderen – auch eine eindeutige Ursache von Autismus. Das wird leider in der medizinischen Beratung nicht genug berücksichtigt.

Und Nikotin?
Dowling: Auch die Einwirkung von Nikotin ist sehr schädlich. Raucht die Mutter, so schwächt das den Kreislauf in Plazenta und Uterus; das Rauchen beeinträchtigt, dass eine Frau gesund schwanger werden und schwanger bleiben kann. Nkotin ist auch eine deutliche Ursache von Fehlgeburten. Überlebt das Kind das alles, so ist es bei der Geburt untergewichtig. Nikotin verursacht eine erhöhte basale Herzfrequenz des Kindes. Je höher diese ist, desto unruhiger ist ein Kind. Das führt zu unruhigen und zu Schrei-Babys. Kinder, die nach der Geburt passivem Rauchen ausgesetzt sind, können davon abhängig werden. Zu Hause haben sie das Nikotin, das sie brauchen, in Krippe oder Kindergarten nicht. Innerhalb kurzer Zeit wird ihnen unwohl, sie werden unruhig – sie leiden unter Nikotinentzug.

Wie schätzen Sie die Pränataldiagnostik ein?
Dowling: Pränataldiagnostik ist an sich nicht schlecht, aber aus verschiedenen Gründen wird sie übertrieben. Unsere Gesellschaft ist besessen von Machbarkeit und Kontrolle, aber eine Schwangerschaft ist lebendiger Prozess, da gelten andere Gesetze. Durch die Überzahl an Untersuchungen werden Eltern überfordert und verunsichert, unter Entscheidungsdruck gesetzt – das ist für die Schwangerschaft nicht förderlich. Der Schwerpunkt müsste vielmehr auf der Beratung liegen, müsste Alternativen aufzeigen und helfen, mit Diagnosen positiv umzugehen.

Wenn eine Frau in der Schwangerschaft eine negative Dia-gnose erhält – welche Auswirkungen haben ihre Gefühle auf das Kind?
Dowling: Viele alte Völker wissen noch: Eine schwangere Frau braucht besonderen Schutz und besondere Ruhe. Dann bekommt man gesunde Kinder, das ist die positive Botschaft der Pränatalmedizin. Wir wissen um die negativen Folgen von Stress oder Mobbing am Arbeitsplatz. Allein die Zahl der Menschen, die während der Geburt den Kreißsaal betreten, ist ein Stressfaktor, der die Geburt beeinflusst. Die Zahl der Arztbesuche und Ul-
traschalluntersuchungen beeinflusst ebenfalls den Verlauf der Schwangerschaft.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus Ihren Forschungsergebnissen?
Dowling: Wenn die Politik mehr täte, um Schwangerschaft finanziell und sozial zu unterstützen, damit sie leichter und stressfreier wäre, hätte dies eine erhebliche positive Wirkung auf die Gesundheit der nächsten Generation. Nicht am Geld mangelt es, sondern am politischen Willen. Die EU-Statistik zur seelischen Gesundheit zeigt, dass psychische Krankheiten den österreichischen Steuerzahler fast 900 € pro Person und Jahr kosten! Wir wissen, dass diese Krankheiten nicht genetisch bedingt sind, sondern durch Störungen in der frühkindlichen Entwicklung. Dieses Geld könnte man viel sinnvoller in Vorsorge investieren, indem man z. B. ein Kindergeld von der Zeugung und nicht erst von Geburt an geben würde.

 

Info

Terence Dowling, geboren 1956 in England. Studium von Medizin und Psychologie in Cambridge, Theologie und Philosophie in Rom und England. Neben seiner Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Pränatalpsychologie und -medizin und Säuglingsforschung arbeitet Dowling als Psychotherapeut.

Vortrag mit Terence Dowling: Trauma in Pränatalphase und frühester Kindheit, 31.5.2013, 10.00 Uhr, im Gemeindezentrum Klagenfurt - St. Ruprecht, Kinoplatz 3; Beitrag: € 13,-
Workshop Trauma verstehen und heilen, 1.6.2013, 9.00 bis 19.00 Uhr, CC-Tatschl, St. Peter Straße 7, Klagenfurt; Beitrag: € 70,- (Studenten € 40,-), Anmeldung erforderlich

Näheres auf www.kath-kirche-kaernten.at/kfb