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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Weisheit der Schöpfung und Gesetze der Evolution

Johannes Huber, Arzt und Theologe, über Gegeneinander und Miteinander von Wissenschaft und Glaube. Interview: Georg Haab

Über das Gegeneinander und Miteinander von Wissenschaft und Glaube. SONNTAG-Gespräch mit dem Arzt und Theologen Johannes Huber (© Foto: Georg Haab)
Über das Gegeneinander und Miteinander von Wissenschaft und Glaube. SONNTAG-Gespräch mit dem Arzt und Theologen Johannes Huber (© Foto: Georg Haab)

Theologe, Arzt, Wissenschaftler: Wie vereinbaren Sie diese doch sehr verschiedenen Fachgebiete miteinander?
Huber: Wenn man einen Beruf nicht als Beruf, sondern als Berufung ansieht, dann werden die Mühsale nicht als Mühsale empfunden, sondern als angenehm. Ich engagiere mich für die Frauengesundheit und glaube, dass die Medizin hier noch sehr viel machen kann. Im Rahmen dieser Frauengesundheit habe ich viel mit Gen-Medizin und ihrer Bedeutung für die Gesundheit der Frau, mit Endokrinologie und mit den Hormonen zu tun; das kann manchen Frauen wirklich helfen, die in ihrer Lebensmitte in einen hormonellen Tsunami hineinkommen, und hier gibt es noch große Unkenntnis. Ich hätte auch natürlich eine andere Berufung gehabt, nämlich die Verkündigung des Evangeliums mehr voranzutreiben. Das mache ich heute in meiner kargen Freizeit.

Theologe waren Sie mehr in der Zeit bei Kardinal König?
Huber: Ich habe beides mehr oder weniger gleichzeitig studiert, weil mich beides gleich interessiert hat. 1974 habe ich in Theologie promoviert und 1975 in Medizin, und beides beschäftigt mich nach wie vor, wobei ich beruflich in der Medizin forsche und in der Theologie gerne Wortspenden gebe.

Schöpfung versus Evolution – Heißt das nicht: Naturwissenschaft contra Theologie?
Huber: Naturgesetze sind Ordnungsprinzipien, sie bestimmen ein Design. Darüber hinaus ist der Kosmos ausgesprochen schön, er hat ein schönes Design. Das Wort Kosmos beinhaltet ja schon die Schönheit, es steckt auch im Begriff „Kosmetik“. Damit stellt sich auch die Frage nach dem Designer. Die Naturwissenschaft muss hier neutral bleiben; der Glaube dagegen gibt die Erlaubnis, hinter der Schönheit einen Designer zu sehen.

Evolution: Das Stärkere überlebt, das Schwächere scheidet aus. Ist das nicht den biblischen Werten entgegengesetzt?
Huber: Es ist zweifellos so, dass es einen großen Riss in der Schöpfung gibt. Das Alte Testament hat das ja auch sehr schön chiff-riert mit dem Fall des Luzifer: Warum ist überhaupt das Böse, warum ist überhaupt das Schwache, warum ist der Tod, warum die Krankheit in der Schöpfung? Warum wird das Schwache durch das Stärkere zerstört? Das ist Luzifer, das ist der Fall der Schöpfung. Den gibt es zweifellos, aber wir können ihn nicht näher wissenschaftlich erklären, wir haben nur eine Chiffre in der Offenbarung, und es ist schwierig, diese Chiffre zu entziffern.
Das Böse, das Überleben des Stärkeren auf Kosten des Schwachen, das Auslöschen des Dochtes, der gerade noch glimmt, das ist Folge eines Risses in der Schöpfung. Und soweit wir das von der Offenbarung her wissen, muss da etwas gewesen sein.

Die Amtskirche müsste die Liebe, die barmherzige Liebe, noch mehr artikulieren.

Die Zuwendung zu Schwachen, der Altruismus, ist die Gegenbewegung dazu?
Huber: Die Zuwendung zu den Schwachen ist die Gegenbewegung, der Anti-Tod, die als Remedium, als Heilmittel gegen den Tod, in der Bergpredigt angeboten wird. Man kann diesen Riss nicht in der gleichen Weise, wie er entstanden ist, wieder beseitigen, aber man kann versuchen, in dem Bereich, in dem wir leben, ihm einen Anti-Tod entgegenzusetzen. Und meines Erachtens ist die Bergpredigt das schönste Arzneimittel, der schönste Versuch eines Anti-Todes, eines Gegenmittels gegen die gefallene Schöpfung.

Bei Ihrem Vortrag in Tainach haben Sie darauf hingewiesen, dass Menschen ihr Handeln nur begrenzt verändern können.
Huber: Wir wissen heute, dass hinter der DNA ein elektrisches Feld steht, das sie oszillieren lässt. Dieses elektrische Feld ist veränderbar. Nehmen wir als Beispiel die Bienen: Königin, Drohnen und Arbeiterinnen haben die gleichen Gene. Aber sie sind verschieden und haben auch grundverschiedene Alterungsprozesse, weil die Spannung, die an den Genen anliegt, verschieden ist. Das nennen wir Epigenetik. Die elektrische Energie der Gene wird auch mit den Genen weitervererbt, aber nicht genetisch, sondern epigenetisch.
Einerseits müssen Kinder mit den Sünden ihrer Väter leben, wie das Sprichwort sagt, aber sie haben doch auch die Freiheit zu Veränderungen, denn die Spannung an den Genen ist veränderbar. Wir wissen auch, dass diese Prägung oder auch Umprägung in bestimmten Zeiträumen besonders leicht möglich ist: in der Schwangerschaft, besonders in der 20. Schwangerschaftswoche, die z. B. Grundmuster für den Umgang mit Stress prägt; im 1. bis 4. Lebensjahr für das Vertrauen; in der Pubertät, wo u. a. die Prägung geschieht, was erotisch ist.

Wie sehen Sie das als Theologe?
Huber: Die epigenetische Prägung relativiert einerseits die freie Entscheidung, denn sie ist wie ein Korsett, das menschliches Handeln einschränkt. Andererseits ist es Menschen möglich, ihr Handeln zu überdenken und eine neue Entscheidung entsprechend zu modifizieren, also die epigenetische Prägung zu beeinflussen.
Sehr wichtig sind die Sakramente, die bei diesen Fenstern angesiedelt sind: die Eheschließung, die Taufe und die Firmung. Das sollte die Kirche mehr thematisieren, sie sollte sich dessen bedienen. Wir sollten wagen, das zu erkennen, zu denken und Menschen gerade in diesen Zeitfenstern altruistisch zu prägen. Wäre das nicht Teilhabe am Schöpfungswerk?

Was wäre Ihr Wunsch an die Kirche?
Huber: Die Kirche sollte es so machen, wie es Plinius schon als Anfangsbeobachter festgestellt hat: Die Christen verbreiten so viel Liebe, das ist faszinierend. „Seht, wie sie einander lieben!“ Diese Liebe, diese barmherzige Liebe, müsste auch die Amtskirche noch mehr artikulieren.
Ein zweiter Wunsch: Die Laien, die ja der Amtskirche verpflichtet und untergeordnet sind, die quasi keine Kanzel betreten können – derer müsste man sich mehr bedienen. Sie werden oft mehr gehört als ein Bischof. Kardinal König hat gesagt: „Es gibt eine Kanzel der Laien, die müsste man mehr kultivieren, mehr pflegen, denn das hören die Menschen eher als die Kanzel, auf der ich bin.“ Und wenn die Evangelisierung in Europa tatsächlich greifen soll, können das nicht die Bischöfe und Kardinäle alleine machen, das schaffen sie nicht. Sie brauchen die Hilfe von Laien. Von Laien, die von der Bevölkerung akzeptiert sind.

 

  • Zur Person: Johannes Huber, geb. 1946, 1973 bis 1983 persönlicher Sekretär von Kardinal König. Seit 2004 ao. Universitätsprofessor an der Medizinischen Universität Wien, langjähriger Vorsitzender der Österreichischen Bioethik-Kommission. Im März 2012 eröffnete er im Bildungshaus Tainach die Vortragsreihe „Die Wahrheit wird uns frei machen“.