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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Weihnachten beginnt immer in mir selbst

Der Grazer Theologe zur inneren Nähe von Weihnachten und Ostern, versöhnter Vielfalt und Wegen zum Frieden

Der Grazer Liturgiewissenschaftler und Theologe zur inneren Nähe von Weihnachten und Ostern, versöhnter Vielfalt und Wegen zum Frieden

Der Grazer Liturgiewissenschaftler und Theologe im SONNTAG-Gespräch zur inneren Nähe von Weihnachten und Ostern, versöhnter Vielfalt und Wegen zum Frieden. (© Foto: J. Rauchenberger)
Der Grazer Liturgiewissenschaftler und Theologe im SONNTAG-Gespräch zur inneren Nähe von Weihnachten und Ostern, versöhnter Vielfalt und Wegen zum Frieden. (© Foto: J. Rauchenberger)
 (© Foto: Johannes Rauchenberger)
(© Foto: Johannes Rauchenberger)

Anstelle von Weihnachtsfrieden erleben wir zur Zeit endlose Konflikte. Wo könnte der Friede beginnen?

Harnoncourt: Jeder, der einigermaßen lebendig empfindet, spürt das Katastrophale und das nahezu Ausweglose. In der Ukraine z. B. scheint die Lage nahezu aussichtslos zu sein, ebenso in Syrien oder in Israel, das ist eine Tragödie. Ich erinnere mich, mit Kardinal König in Jerusalem gewesen zu sein, 1991, als an der New Hebrew University das Kardinal-König-Institut errichtet worden ist. Er hat in seiner Rede gesagt, es berühre ihn immer tief, in Jerusalem zu sein, denn hier sei der Ort, an dem der Monotheismus für die ganze Welt seinen Ausgang genommen hat. In allen drei monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – ist der Friede ein heiliges Gottesgeschenk, die Menschen wünschen einander im Segensgruß den Frieden Gottes, arabisch oder hebräisch oder in vielen anderen Sprachen. Und gerade an diesem Ort scheint es unmöglich, in Frieden zu leben. Angewandt auf die Ökumene kann man sagen: Eine Kirche, die durch ihren Stifter zur Einsheit verpflichtet ist, kann keine glaubwürdige Botin des Friedens sein, wenn die Christenheit in sich selbst unversöhnt ist. Wir müssen bei uns selbst beginnen.

Welche Impulse gibt das Weihnachtsfest zur Überwindung der Gräben?

Harnoncourt: Ein erster Impuls ist, dass Gott durch seine Menschwerdung jedem Volk, jeder Rasse, jedem Geschlecht und jeder Kultur anverwandt ist: Jedes Menschengesicht ist ein Christusgesicht. Ich kann sagen: Jesus von Nazaret war Jude, weil er jüdischer Herkunft ist. Aber wir beten nicht: Er ist herabgestiegen vom Himmel und Jude geworden, sondern er ist Mensch geworden. Man kann aber nicht Mensch sein, ohne einem Volk anzugehören.

Was bedeutet es, wenn Gott nicht in Rom, sondern in Israel, also in einem kleinen, unbedeutenden Volk, Mensch wird?

Harnoncourt: Das stellt jede Macht in Frage. Gleiches tun auch die Seligpreisungen, die das Gegenteil von Macht hervorheben und sich jedesmal auch auf Christus selbst beziehen: Er ist arm, er ist nackt, er ist gefangen, hungrig, durstig ... Papst Franziskus erweckt weithin neues Vertrauen, weil er offenbar seine franziskanische Einstellung und somit seine Jesuseinstellung glaubwürdig praktiziert.

Sie sehen weitere Impulse für den Frieden?

Harnoncourt: Man kann nicht Mensch sein, ohne einem Volk anzugehören. Man kann nicht Christ sein, ohne einer konkreten Kirche anzugehören. Zum Menschsein gehört Vielfalt, zum Religiössein gehört Vielfalt der Religionen, zum Christsein gehört auch das Ja zur Vielfalt christlicher Kirchen. Der Ursprung dafür ist die Trinität Gottes. Wir glauben an einen Gott, und dieser Eine ist zugleich mehr als einer. Wir aber wollen statt Einsheit in Vielfalt pure Einheit. Das kann und das darf nicht zusammengehen. 

Was meinen Sie mit „Einsheit“?

Harnoncourt: Im Englischen kann man unterscheiden zwischen „unity“ und „oneness“. Ich verwende für Gott und für die Kirche das Wort „Einsheit“: Man kann durchaus verstehen, was gemeint ist. Das Lateinische hat nur ein einziges Wort für beides, aber „unitas“ heißt eher Einsheit als Einheit – Einheit ist ja eher „uniformitas“, Einförmigkeit. Gott dagegen ist einer, in dem es ein Miteinander und ein Gegenüber gibt. Der Vater ist Gott, der Sohn ist Gott, der Geist ist Gott. Aber der Sohn ist nicht Geist, und der Geist ist nicht Vater. Alles, was pures „mono“ – so und nur so – ist, ist diskussionsfeindlich und neigt letzten Endes zu Fanatismus. Einsheit dagegen beinhaltet fruchtbare Spannung: Zusammensetzung und Auseinandersetzung. Jesus bittet den Vater für seine Jünger nicht nur, „dass sie eins seien“, sondern: „Sie sollen so eins sein, wie du in mir bist und ich in dir bin“ (Joh 17,21) – also eins sein als Miteinander und Gegenüber.

Eine Kirche kann keine glaubwürdige Botin des Friedens sein, wenn die Christenheit in sich selbst unversöhnt ist.

Das heißt: nicht „eins“ in Einförmigkeit, sondern in Dialog und Auseinandersetzung?

Harnoncourt: Ja! Und z. B. auch darin: verschiedene Riten, verschiedene Weisen der Theologie …, und ich gehe so weit, zu sagen: Das Dogma hat in seiner Weise zu sagen: „So – und nur so“ mehr zur Trennung der Kirchen beigetragen als zur Erleuchtung im Einssein. Ein Blick in die Dogmengeschichte zeigt: Die ersten Dogmen sind auf Konzilien formuliert worden, die vom Kaiser einberufen waren, nicht von den Bischöfen! Der Kaiser will Uniformität in seinem ganzen Reich, und er gebraucht die Kirche, um Uniformität im Staat durchzusetzen. Christen außerhalb des Römischen Reiches wurden nicht berücksichtigt. Die Kirchen, die wir Altorientalen nennen, waren Christen, bevor es die römische Reichskirche gegeben hat, und sie haben ihre eigene Frömmigkeit, ihre eigene theologische Sprache entwickelt. Eines der Ergebnisse jener Gespräche von Wien, die nach dem Konzil von der Stiftung Pro Oriente initiiert worden sind, war: Die von den Reichskonzilien verurteilten Altorientalen sind rechtgläubige Christen, und ihr Christusbekenntnis steht der Einsheit des Glaubens und der Kirche nicht im Weg. Im Gegenteil, es zeigt sich in der Verschiedenheit der Bekenntnisse, dass der Glaube größer ist als die sprachlichen Möglichkeiten, ihn auszudrücken. 

Sie sind eng verbunden mit Musik. Welches Weihnachtslied gibt für Sie der Weihnachtsbotschaft am schönsten Ausdruck?

Harnoncourt: Ich will es nicht auf eines reduzieren. Ganz wichtig ist für mich der Hymnus aus dem Philipperbrief: „Er war wie Gott, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich ...“ und wurde ein sterblicher Mensch; und dann die weitere Erniedrigung „bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,6-10). Als große Musik gilt mir das Weihnachtsoratorium, das in seiner Ganzheit auch die großen Konsequenzen mit einbezieht, die dieses hilflose kleine Kind in der Krippe mit sich bringt, weil die Herrlichkeit Gottes in ihm erschienen ist, weil alle Schuld der Welt in ihm getilgt ist, weil der Tod überwunden ist, und weil in diesem winzigen Licht, das in Betlehem leuchtet, auch schon das große Osterlicht enthalten ist. Die Weihnachtssymbolik und die Ostersymbolik laufen sehr parallel: Beide Male ist von der heiligen Nacht und vom aufstrahlenden Licht die Rede, und vom Geheimnis des ewigen Lebens.

Und Weihnachtslieder in Ihrer Kindheit?

Harnoncourt: Die Lieder, die einem zu Weihnachten zu Herzen gehen, sind oft die sehr lokal gebundenen Lieder. Das waren für uns als Kinder die steirischen Krippenlieder. Ein „Stille Nacht“ hat aber nicht jene Kraft, die ein österliches „Halleluja“ hat, auch wenn es ein internationales Weihnachtslied geworden ist. Das hängt wahrscheinlich auch mit dem Weihnachtsgeheimnis zusammen, dass die Kraft Gottes in äußerster Schwäche erschienen ist – das wird gerne verniedlicht und so der ihm eigenen Kraft beraubt. Wie sehr Weihnachten auf Ostern bezogen ist, kann man an der Weihnachtsikone der Ostkirche sehen: Jesus liegt nicht in einer Krippe, sondern in einem Sarkophag, im schwarzen Loch – also in der Todeshöhle; das ist das gleiche schwarze Loch, in dem unter dem Kreuz der Schädel des Adam liegt. Jesus, der zweite Adam, ist sterblich geboren. Um für uns und mit uns zu sterben und den Tod zu überwinden, ist er Mensch geworden. Das ist nicht so lieblich wie in unseren Darstellungen mit Hirten und mit Ochs und Esel.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Philipp Harnoncourt, geb. 1931, studierte Theologie in Graz und München und wurde 1954 zum Priester geweiht. Nach seiner Kaplanszeit wurde er Sekretär von Bischof Josef Schoiswohl. Er gründete 1963 an der heutigen Kunstuniversität Graz die Abteilung Kirchenmusik und leitete sie neun Jahre lang. Von 1972 bis 1998 war er Vorstand des Instituts für Liturgiewissenschaft, Christliche Kunst und Hymnologie an der Universität Graz, 1999 emeritierte Harnoncourt. Seit 1986 im Vorstand der ökumenischen Stiftung „Pro Oriente“, zählt er zu den theologischen Vordenkern der ökumenischen Annäherung zwischen katholischer und orthodoxer Kirche.