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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Was die Fußwaschung mit der Auferstehung zu tun hat

Die Grazer Religionswissenschaftlerin Ulrike Bechmann im "Sonntags"-Interview

Die Grazer Religionswissenschaftlerin zur Gewalt in der Bibel, dem rettenden Eingreifen Gottes und einer Macht, die wir uns nur schwer vorstellen können.

Die Grazer Religionswissenschaftlerin Ulrike Beckmann im SONNTAG-Gespräch zu Gewalt in der Bibel, dem rettenden Eingreifen Gottes und einer Macht, die wir uns nur schwer vorstellen können. (© Foto: Sissi Furgler Fotographie)
Die Grazer Religionswissenschaftlerin Ulrike Beckmann im SONNTAG-Gespräch zu Gewalt in der Bibel, dem rettenden Eingreifen Gottes und einer Macht, die wir uns nur schwer vorstellen können. (© Foto: Sissi Furgler Fotographie)
 (© Foto: Sissi Furgler Fotografie)
(© Foto: Sissi Furgler Fotografie)

Nicht nur im Koran, auch in der Bibel ist von Gewalt die Rede. Wird nicht auch Gott Gewalt zugeschrieben, wenn er z. B. in der Exodus-Erzählung die Ägypter im Roten Meer ertrinken lässt?

Bechmann: Die Grundfrage ist: Aus welcher Perspektive lese ich? Die Erzählung ist als Befreiungsgeschichte zu lesen, weil sie aus der Sicht Israels geschrieben ist, und das waren in diesem Fall die Verfolgten, Unterdrückten, vor der Staatsgewalt Flüchtenden. Aus ihrer Sicht ist es eine Befreiung und Erlösung, wenn die versklavende Macht gestoppt wird. Gerechtigkeit wird hergestellt, Unterdrückte geschützt. Wer auf der Flucht ist, kann diese Texte zustimmend lesen und findet darin einen rettenden Gott. Als solches wurden sie auch aufgeschrieben. Wenn wir dies heute aus nicht unterdrückter Position lesen, mag das Gottesbild abschrecken. Dennoch müsste man sich fragen: Mit wem müssten wir uns identifizieren? Wer sind heute die verfolgten Menschen, und wer steht auf der Seite der Macht? Der Text führt vor Augen, wohin Gewalt führt, und stellt die Frage: Weshalb kommen Menschen überhaupt in die Situation, fliehen zu müssen? Was können wir tun, damit Gewalttäter nicht an die Macht kommen? Und damit sind wir bei einer höchst aktuellen Frage ... 

Schon der jüdische Pessachritus kennt die Frage: Hätte es nicht genügt, dass Gott uns befreit, ohne die Ägypter ins Meer zu werfen?

Bechmann: Wenn ich mich recht erinnere, heißt es im Hebräischen: Pferde und Wagen versinken im Meer (Ex 15,21), also das Kriegsgerät, nicht die Ägypter, wenngleich Ägypter dieses Kriegsgerät mit sich führen und insofern auch ertrinken. Dennoch: Die Macht Gottes richtet sich nicht gegen die Ägypter als solche, sondern gegen die tödlichen Waffen. Ähnlich im Jesaja-Text „Schwerter zu Pflugscharen“. Diese Unterscheidung hilft den Ägyptern nicht viel, aber sie ist für uns wichtig: Das Kriegswerkzeug wird vernichtet und damit die Kriegsgewalt. Auch das ist höchst aktuell: Weniger Waffen würden weniger Gewalt produzieren.

Spielt in den Texten vielleicht auch das eine Rolle: Wer möchte schon einen Gott verehren, der ein Verlierer ist?

Bechmann: Nun, das tut das Christentum: ein Gott, der sich mit Jesus in die tödliche Macht der Menschen begeben hat und ausgeliefert ist. Aber auch das Alte Testament kennt diese Perspektive, schon Jesaja spricht das an: Der Gottesknecht gibt sich hin für die Sünden des Volkes. Ohne diesen Text hätten die Jünger und Jüngerinnen Jesu das Geschehen um Jesu Tod nicht so interpretieren können. Die Bibel spricht aber auch davon, dass Gottes rettende Macht sich einmal durchsetzen wird. Dafür steht die Auferstehung Christi, also Ostern. 

Bedeutet das: Die Macht Gottes ist ganz anders, als wir sie uns vorstellen?

Bechmann: Nehmen wir die Fußwaschung: Ich finde diesen Text genial, um daran die eigenen Einstellungen zu studieren. In wenigen Worten öffnet sich eine ganze Welt. Viele denken, man muss sich in der Erzählung zur Fußwaschung mit Jesus identifizieren, der den Jüngern die Füße wäscht. Sie folgern daraus den moralischen Appell: Jetzt muss ich Füße von Armen waschen. Das gerät leicht zur Überforderung. Ich glaube dagegen, der Clou der Geschichte ist, sich zuerst mit Petrus zu identifizieren, dem Jesus die Füße wäscht. Dreimal weigert er sich, diesen Dienst anzunehmen, sich also lieben zu lassen. Würden wir wie Petrus argumentieren?

Sich einzugestehen, verletzlich zu sein, ist viel schwieriger, als etwas wegzugeben.

Gott, der uns dient – Petrus hat ein Problem, diese Rollenverteilung anzunehmen?

Bechmann: Petrus lehnt einen Gott ab, den Jesus ihm offenbaren will. Er hat verschiedene Argumente, die durchgespielt werden. Es beginnt mit: Ich habe es nicht nötig, mich von Gott bedienen – erlösen – zu lassen. Bedürftigkeit wird als Schwäche abgetan. Ein Bedürfnis zu haben, verletzlich zu sein, sich das einzugestehen und sich beschenken zu lassen: Das ist ja viel schwieriger, als etwas wegzugeben. Wir haben das oft bei Menschen, die anderen, am wenigsten den Kindern, nicht zur Last fallen wollen, die Mühe damit haben, wenn sie gepflegt werden müssen oder Hilfe benötigen. Angewiesenheit auf andere ist schwierig zu akzeptieren. Doch Gott beschenkt, fängt alle Schwäche auf, noch bevor Menschen etwas leisten müssen. 

Wo sehen Sie die Botschaft der Fußwaschung für uns heute?

Bechmann: Es ist eine Einladung, sich mit Petrus zu fragen: Wie würde ich reagieren, wenn Jesus mir die Füße waschen wollte? Wie reagiere ich auf Gaben von anderen Menschen? Wenn ich mich auf Petrus einlasse, der exemplarisch ganz abwehrend letztlich auf das ungeheuerliche Geschenk des Lebens und der Auferstehung reagiert, dann stellt sich die Frage: Kann ich zugeben, dass ich nicht alles aus mir heraus kann? Dass ich verletzlich bin? Kann ich das Geschenk Jesu annehmen? Und das entspricht überhaupt nicht der Ökonomisierung der Welt mit ihrem Leistungsdenken, ihren Selbstbildern und Vorbildern, wo Verlierer eben aussortiert werden. Es geht vielmehr um Verschwendung, um ein Geliebtwerden als Kraftquelle für unbegrenzte Menschlichkeit.

„Es ist verdammt hart, der Beste zu sein“, wirbt eine Supermarktkette. Wird unser Leben mehr von dieser Perspektive bestimmt als vom Glauben?

Bechmann: Ja, es gilt ja nur noch das oder der Beste. Andere werden ignoriert. Ich sehe eine Verbindung zum Flüchtlingsproblem. Die Herausforderung ist weder finanziell noch sonst eine echte Bedrohung für Europa. 550 Millionen Europäer auf eine Million Flüchtlinge: Im Libanon sind drei Millionen Einwohner und eine Million Flüchtlinge, in Jordanien ähnlich. Die Länder haben früher viel mehr Flüchtlinge verkraftet, nicht zum  Schaden Europas. Und trotzdem läuft eine letztlich nicht rationale Panik, sogar von sehr wohlhabenden Leuten. Woher kommt die Angst? Ich glaube, das kommt daher, dass wir eben die eigene Bedürftigkeit nicht anerkennen können, und weil wir Bedürftigkeit mit Verlierern identifizieren. Jetzt sieht man auf einmal Menschen, die vor Gewalt geflüchtet sind ... Das ist für uns die Bedrohung – keine reale, aber eine psychologische: die Bedürftigkeit, die ich nicht empfinden darf. Es ist die Furcht, selbst berührt zu werden von Not, Bedürftigkeit, Gewalterlebnissen; die Furcht, dass etwas anders wird und ich dann auch zu den Schutzlosen oder aus dem bisherigen Leben Gerissenen gehöre, wie sie diese Flüchtlinge sind.

Die Fußwaschungsperikope steht mitten in der Karwoche. Hat sie auch eine österliche Perspektive?

Bechmann: Die Botschaft der Auferstehung ist das letzte und größte Geschenk Gottes. Weil mit dem Auferstandenen der Sinn des Kreuzes aufleuchtet. Keine Tat der Solidarität ist jemals umsonst. Die Fußwaschung ist das Einüben dahinein, dass Gott schenkt und dass man sich beschenken lassen darf. Beschenkte Menschen können teilen.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Univ.-Prof. Dr. Ulrike Bechmann M.A., geb. 1958, studierte Katholische Theologie mit Schwerpunkt Altes Testament, Islamwissenschaften und Arabistik an der Universität Bamberg. 1989-1999 war sie Geschäftsführerin und Theologische Referentin des Deutschen Komitees des Welt-gebetstags der Frauen, anschließend wissenschaftliche Assistentin an der Universität Bayreuth. Seit 2007 lehrt Bechmann Religionswissenschaft an der Universität Graz.