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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Warum denn in die Ferne schweifen

Werner Freudenberger über den stillen Charme der Nachbarregion und spirituelle Plätze, die einladen, die Seele für Neues zu öffnen

Foto: Freudenberger
Der Journalist und Autor Werner Freudenberger (Foto: privat)

Am Anfang und am Ende Ihres Buches stehen Kirchen, dazwischen viele versteckte Perlen ...
Freudenberger: Karnien ist gesegnet mit vielen Kirchen, ausgestattet mit prächtigen Schnitzaltären, und viele, sehr kleine Votivkirchen aus dem Mittelalter krönen so manche Berg-und Hügelkuppe der Natisone-Täler nahe der slowenischen Grenze. Wo man den Fluss in der Ebene einst mit Fuhrwerken durchfahren oder zu Fuß durchwaten musste, standen kleine Kapellen, in denen man mit seinem Schutzengel Kontakt aufnehmen konnte. Einige dieser Kleinode existieren auch heute noch, man sieht sie, wenn man dem Lauf der Flüsse folgt. Dort, wo ein Fluss als Karstquelle und spektakuläres Naturschauspiel erscheint, stehen Gotteshäuser, wie in San Giovanni al Timavo oder an der Livenza-Quelle nördlich von Sacile. An beiden Orten existierten zuvor auch große Klosteranlagen. Insgesamt verfügt Friaul über eine Fülle von spirituellen Plätzen und Kunstdenkmälern.

Ein beeindruckendes Glaubenszeugnis ist auch die Kirche, die sich in einer Berghöhle findet.
Freudenberger: Die Höhlenkirche von San Giovanni d‘Antro im Natisone-Tal ist ein sehr mystischer Ort. Sie ist eine Kirche, die auch für den spärlichen Tourismus in dieser Region ein Magnet ist. Die Höhle war schon in prähistorischer Zeit besiedelt, Steinzeitjäger haben sich dorthin zurückgezogen, wie Knochenreste belegen. Im 9. Jahrhundert hat ein Diakon als Einsiedler in der Höhle gelebt, und seit dem 15. Jahrhundert wurden auch Gottesdienste gefeiert. Man erreicht die Höhle über eine steinerne Treppe mit 86 Stufen. Ehemals gab es nur eine hölzerne Leiter, und wenn man allein sein wollte oder Feinde sich genähert haben, hat man diese entfernt.

Sie schreiben in der Einleitung des Natisone-Kapitels: „Wer Stille und Abgeschiedenheit zu schätzen weiß, kann sich hier geborgen fühlen. Wem Einsamkeit ein Problem ist, der wird nicht lange verweilen.“
Freudenberger: Das gilt in erster Linie für die Natisone-Täler, aber auch für Karnien. Beide Regionen zeichnen sich darin aus, dass sie nicht zersiedelt, aber von einer sehr starken Abwanderung geprägt sind. Die Dorfeinheiten, bestehend aus schönen Steinhäusern, sind dort sehr kompakt. Leider sind viele Dörfer verlassen, und man kann sehen, wie sich die Natur den Platz zurückerobert.  

Sie nennen als Beispiel das Dorf Montefosca, dessen Einwohnerzahl in 50 Jahren von 500 auf 30 gesunken ist. Gibt es auch gegenteilige Entwicklungen?
Freudenberger: In Karnien gibt es nur noch einen Ort, der eine konstante Bevölkerungszahl aufweist: die Stadt Tolmezzo mit etwa 10.000 Einwohnern. Ein sanfter Tourismus, ein Umdenken in diese Richtung könnte sicher einige Menschen dazu motivieren, auch in entlegeneren Gebieten zu bleiben. Ich denke da z. B. an Kaspar Nikles in Dordolla, einen Kärntner, der in dieser Einsamkeit einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb mit vielen kleinen Flächen bewirtschaftet, die zum Teil nicht größer sind als ein Zimmer. Er baut dort Mais, Kartoffeln und Bohnen an, hütet Schafe und bietet Urlaub am Bauernhof an. Junge Menschen, die gerne gegen Kost und Logis einmal auf einem Bio-Betrieb mithelfen wollen, sind bei ihm sehr willkommen. Daneben macht er auch Führungen durch den Naturpark der Julischen Voralpen und inszeniert kulturelle Veranstaltungen gemeinsam mit dem Klagenfurter „Unikum“.

Meine Empfehlung ist, die Urlaubsziele nicht unendlich weit in der Ferne zu suchen, auf irgendwelchen exotischen Inseln, wenn vor der Haustür viele Wunder zu finden sind – Stichwort Autofasten.

Sanfter Tourismus und eine sehr wenig bekannte, aber faszinierende Nachbarregion: Sind das nicht Dinge, die man unbedingt mehr unterstützen sollte?
Freudenberger: Ich war bei der Aktion „Ein Dorf fastet“ in Krumpendorf eingeladen, ein wenig aus meinen Büchern zu lesen. Das ist nicht einfach, denn meine Bücher sind in erster Linie Reisebegleiter und nur zum Teil Erlebnisberichte. Wovon ich überzeugt bin, ist meine Empfehlung, die Urlaubsziele nicht unendlich weit in der Ferne zu suchen, auf irgendwelchen exotischen Inseln, wenn vor der Haustür viele Wunder zu finden sind – Stichwort Autofasten. Deshalb ist es mir ein Anliegen, diese zu beschreiben, und auch, wie man dorthin kommt. Wenn wir den Begriff Heimat ein wenig weiter denken, wenn wir die gesamte, wunderschöne Region der drei Sprachen und der drei Kulturen – romanisch, slawisch und germanisch – als Heimat erleben können, ist das etwas Großartiges.

Die Sprachbarriere ist ja nicht unüberwindbar ...
Freudenberger: Es heißt eigentlich nur ein klein wenig über den Tellerrand hinauszuschauen. Es ist ja dort nicht alles total fremd, aber dennoch gibt es Landschaften und Schönheiten der Natur, die ganz anders sind als hier bei uns. Wir kennen die heimischen Gebirgsflüsse, aber die Flüsse in Friaul sind wiederum etwas anders, haben andere Farben, andere Umgebungen, andere Charaktäre und zum Großteil weit ausladende Au-Landschaften. Manche kommen als Karstquelle direkt aus dem Berg, verschwinden da und dort im Untergrund und tauchen später wieder auf. Das sind Naturphänomene, für die man nicht ins Flugzeug steigen muss, sondern einfach so hinfahren kann. Wie schön ist ein Spaziergang durch das bis zu zwei Kilometer breite Flussbett am Tagliamento, das in puncto Artenvielfalt durchaus mit einem Korallenriff oder dem Regenwald mithalten kann.  

Sehr wohltuend sind im Buch die Angaben zu Verpflegungs- und Übernachtungsmöglichkeiten.
Freudenberger: Es lohnt sich im Sinne der Entschleunigung, nicht über die Autobahn, sondern über die alte Bundesstraße anzureisen, um dann vielleicht auch in einem alten Dorfgasthaus oder einem „agroturismo“ zu übernachten und nicht gleich wieder nach Hause zu eilen. Einige wenige Adressen, die wir selbst ausprobiert haben und empfehlen können, sind im Buch angeführt.

Sehr vielfältig sind auch Ihre Routenvorschläge an der Livenza, wo man zwischen Fuß-, Rad- und Bootstour wählen kann.
Freudenberger: Die Gemeinden von Sacile, im Oberlauf des Flusses, und Caorle, nahe der Mündung, haben durch ausgeschilderte Wege und eine entsprechende Infrastruktur die Regionen Friaul und Veneto touristisch verbunden. Bereits die Römer schätzten die Livenza als schiffbaren und verlässlichen Transportweg, der nicht so wie die Nachbarflüsse Cellina und Meduna in der Ebene verschwindet und erst irgendwann später wieder auftaucht. Die Stadt Sacile erhält zudem durch den Fluss ein wunderschönes Ambiente, sie wird auch als Garten Venedigs bezeichnet. Die langen Zweige der Weiden tauchen dort in die behäbig und ruhig dahinfließende Livenza ein, die auch in trockeneren Zeiten ausreichend Wasser führt.

Was fasziniert Sie an diesen Orten, dass Sie sie so gerne aufsuchen?
Freudenberger: Ich liebe die Natur und ihre spirituellen Plätze. Diese sind für mich nicht nur in den Gotteshäusern zu finden, sondern auch in der Stille der Bergtäler und am Ufer der Flüsse. Dort, wo es sich dann, frei nach Hermann Hesse, lohnt, mit geöffneter Seele der Melodie der Wellen zu lauschen und mit den Augen die Tiefe zu suchen.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person: Werner Freudenberger, geb. in Hermagor, lange Jahre Redakteur, Programmgestalter und Moderator in Radio und Fernsehen. Er schuf eine Vielzahl umfangreicher Dokumentationen und ist Autor mehrerer Bücher.

Buchvorstellung:
Mittwoch, 5. Juni 2019, 19.30 Uhr, Community der KHG, Nautilusweg 11 (gegenüber dem Eingang der Universität), 9020 Klagenfurt

Buchtipp: Werner Freudenberger, An smaragdgrünen Flüssen. 14 Entdeckungsreisen durch Friaul-Julisch Venetien. Styria (2019), 192 Seiten, Preis: € 23,00. Eine Einladung, die schönsten Plätze an Friauls Flüssen zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erkunden. Die empfohlenen Routen sind familientauglich und unkompliziert zu begehen.