Von Bernstein, Globalisierung und pilgernder Gotteserfahrung
Werner Freudenberger über die Faszination des Schmucksteins, unbekannte Kleinode und die Römer
Der beliebte Radio- und Fernsehjournalist über die Faszination des Bernsteins, unbekannte Kleinode in erreichbarer Nähe und wofür wir den Römern dankbar sein sollten.


Bernstein ist seit der Antike ein faszinierendes Material ...
Freudenberger: Ein Stein, der brennt, der schwimmt – weil er eben kein Stein ist. Mit etwas Glück kann man ihn heute noch an der Ostsee am Strand finden. Der Name kommt ja vom Brennen, Björnen. In früheren Zeiten hat man ihn im Baltikum tatsächlich als Brennstoff verwendet; dann ist er zum begehrten Luxusgut geworden, aus dem man Schmuckstücke und wertvolle Gegenstände herstellt. Dazu ist er in der Antike als Heilmittel fast für und gegen alles eingesetzt worden. Hildegard von Bingen sagt, er sei gut gegen den Schwarzen Tod, die Pest. Als „Micro-Chip“ ist Bernstein für die Wissenschaft interessant: Man findet darin Dinge, die über Jahrmillionen konserviert sind.
Die sogenannte Bernsteinstraße begann an der Ostsee und führte über Carnuntum bis Aquileia. Welche Bedeutung hatte diese Straße?
Freudenberger: Vielleicht ist das Straßenwesen das Größte, was uns die Römer hinterlassen haben. Mit allen Varianten: mit Tunneln, in Stein gehauen, ausgekoffert in der Ebene, ja zum Teil heute noch als Fernstraßen in Verwendung, auch wenn uns das nicht geläufig ist. Sie haben damals ähnlich geplant wie wir heute die Autobahnen. Entlang der Straße haben sich Handwerks- und Handelszentren entwickelt. Die Straße Carnuntum-Aquileia war eine wichtige Nordost-Südwest-Verbindung für die Römer, um die Grenze gegen die Germanen zu erhalten. Dazu brauchte es eine ordentliche Bastion – Carnuntum – und eine Hauptverbindung, über die man schnell auf Bedrohungen an der Grenze reagieren konnte. Deshalb war diese Straße sehr gut ausgebaut. Straßen waren damals aber auch ein Daten-Highway, über den alle Informationen gelaufen sind. Was wichtig war, Moden, Trends, Know-How und natürlich auch neue Religionen wie das Christentum liefen über diese Straßen.
Dem Straßensystem als verbindender Errungenschaft steht der Limes, der römische Grenzwall, diametral gegenüber, der die hochzivilisierte Welt von den Gebieten der „Barbaren“ trennte.
Freudenberger: Die Menschen haben damals genauso begehrlich über den Limes herübergeblickt wie heute: in jenes Land, in dem es sich gut leben ließ, in dem man sozial abgesichert war, in dem die Menschen lesen und schreiben konnten, wo es eine Währung gab, wo es lustige Sachen gab, Spiele und Veranstaltungen ... Sie wollten dazugehören, gewissermaßen bei dieser Party dabei sein. Dieser Gegensatz erinnert schon stark an unsere Zeit: hier die Insel des Wohlstandes, dort die Begehrlichkeit und die Frage: Weshalb können wir nicht dazugehören? Was noch auffällt, wenn man sich in die Zeit knapp vor dem Untergang des Römischen Reiches hineindenkt, ist, dass es auch ähnliche Tendenzen gegeben hat, wie wir sie heute erleben. Es gab einen Niedergang der Moral, einen Rückgang der Geburten, eine hohe Scheidungsrate, es gab wahnsinnig viele Korruptionsskandale, die das ganze Rechtssystem in die Knie gezwungen haben, weil es nicht mehr möglich war, all diese Dinge zu verfolgen. Haben wir das nicht heute ganz ähnlich? Das waren Sachen, die das Reich von innen heraus in Mitleidenschaft gezogen haben.
Das heißt: Intern war das Römische Reich völkerverbindend, nach außen hin ausgrenzend?
Freudenberger: Es hat verbunden und ausgegrenzt zugleich. Was heute zu wenig gesehen wird: Wir haben damals mit den Römern eine richtige Globalisierung erlebt! Damals war das Mittelmeer eingeschlossen von diesem Reich. Es gab ein ausgeklügeltes Rechtssystem, das uns bis über das Mittelalter hinaus erhalten geblieben ist, eine Währung, eine Sprache und eine multikulturelle Gesellschaft, in der man ganz gut gelebt hat. Man hat sich in Carnuntum einen Wein aus Gallien besorgen können, schöne Tücher aus Ägypten – ähnlich wie heute. Das hat Europa mit geprägt.
Was waren für Sie besonders starke Punkte auf diesem Weg durch Niederösterreich, das Burgenland, Ungarn, Kroatien und Slowenien bis Italien?
Freudenberger: Drei Highlights gibt es für mich am Weg: Das erste ist Carnuntum, wo man das Römische wirklich spüren und erleben kann. Dann Szombathely mit seinem modernen und sehr schönen Museum, und am Ende natürlich Aquileia. Dort braucht man Tage, bis man alles gesehen hat. Überhaupt war es für mich sehr schön, diese Route in Ruhe abzufahren und abzugehen, zu recherchieren, Fotos zu machen, weil ich viel Zeit hatte, mit den Menschen zu reden, sie zu fragen, wie sehr sie mit diesen alten Dingen verbunden sind, die in ihren Feldern herumliegen, was sie darüber wissen. Es war schön, diese Straße auch ab und zu noch zu entdecken, sei es in der gepflasterten Form in wenigen Teilstücken, vor allem in Städten, sei es im Burgenland im sogenannten Urbarialwald bei Großmutschen: Da kann man wirklich auf dieser befestigten Straße noch gehen, die heute mit Laub bedeckt wie ein normaler Weg aussieht. Dann ist Celeja/Celje sehr interessant. Dort hat man ein Museum über dem römischen Territorium gebaut, Teile der römischen Stadt sind unterirdisch begehbar, auch ein Stück der Straße.
Neben den kulturellen Highlights fasziniert im Buch der Zirknitzer See/Cerknisko jezero, ein sogenannter „temporärer See“.
Freudenberger: Schon Valvasor war davon fasziniert, dass es ein Stück Erde gibt, wo man an derselben Stelle etwas anbauen, jagen und fischen kann – je nachdem, wie gerade der Stand des Wassers ist. In der Tat kommen die Leute dort, wenn der See gerade verschwindet, mit Körben, um die Fische aufzuklauben.
Oder der Fluss mit den sieben Namen ...
Freudenberger: Das ist eines der Karst-Phänomene: Dadurch, dass es keine Täler gibt, wie wir sie kennen, sondern Einbuchtungen, Poljes, kann das Wasser nirgends abrinnen. So sucht es sich einen Weg, und weil der Karst durchlöchert ist wie ein Emmentaler Käse, findet es einen unterirdischen Weg, taucht im nächst tiefer gelegenen Polje wieder auf und heißt dort auch anders. Ein Beispiel dafür ist die Ljubljanica, die auch Unica heißt und Crknica – es gibt insgesamt sieben Namen für den einen Fluss. Allein die Quellen der Ljubljanica sind schon ein Schauspiel, wie sie aus dem Berg herausschießen.
Sie sind gerne unterwegs. Welche Erfahrungen machen Sie als Wanderer und Pilger?
Freudenberger: Ich habe die verschiedensten Versuche unternommen, konnte mir aber unter Meditation nicht wirklich etwas vorstellen. Erst durch den Weg habe ich erfahren, was Meditation ist. Wenn man durch die Natur geht, schweigend, abseits vom Lärm der Autobahnen und der Stadt, und sich auch nach innen richtet, ist es unglaublich, was alles auftaucht und was sich auftut. Darin unterwegs zu sein, ist für mich wie ein Besuch der schönsten Kathedrale. Man sieht diese viele tausend Wunder. Das ist eine Möglichkeit, zu sich und zu Gott zu finden. Gott hat man ja auch in sich. Es kommt vielleicht gar nicht so darauf an, auf welchem Weg man sich befindet; jeder Weg kann zum Pilgerweg werden. Nicht das nächste Heiligtum ist wichtig, sondern das Verschmelzen und das Hinaufgehen, diese andere Art der Erfahrung. Man hat eine Reisegeschwindigkeit, die dem Menschen entspricht, man kann etwas bestaunen, sich hin-
setzen ... Für mich die schönste Art des Reisens.
Interview: Georg Haab
Zur Person:
Werner Freudenberger, geb. 1949 in Hermagor, ist bekannt und beliebt durch seine langjährige Tätigkeit im ORF-Landesstudio Kärnten als Radio-Moderator, Familienfunk-Chef, Leiter der Abteilung Religion und Gestalter vieler erfolgreicher Dokumentationen wie „Österreich-Bild“ oder „Erlebnis Österreich“.
Buchtipp:
Werner Freudenberger, Kultweg Bernsteinstraße. Auf dem Weg von Carnuntum nach Aquileia. Styria (2014), 224 Seiten, Preis: € 24,99