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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Von Vorreiterinnen und Begegnungen, die verändern

Bibeltheologin Veronika Burz-Tropper über die Dynamik der Begegnung im Johannes-Evangelium

Foto: Haab

„Die Frauen im Johannes-Evangelium“ lautete der Titel des Biblischen Studientags in Tainach. Was ist das Interessante an diesen Frauen?
Burz-Tropper: Das Interessante an allen Gestalten bei Johannes ist, dass er uns pointiertere Bilder von ihnen vorstellt als die anderen Evangelien. Bezüglich der Frauen: Zum Teil werden andere genannt, zum Teil überliefert Johannes von ihnen andere Geschichten, z. B. die Mutter Jesu bei der Hochzeit zu Kana oder die Erzählung von der Begegnung Jesu mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen.

Gerade diese Geschichte wird als Dialog sehr ausführlich erzählt.
Burz-Tropper: Als die Geschichte einer Frau, die durch das Gespräch zu einer Zeugin wird, die glaubt und die, noch dazu als Samaritanerin, glaubwürdig ist – da scheinen gleich mehrere spannende Probleme auf, die dann aufgelöst werden.

Bitte erklären Sie das ein wenig.
Burz-Tropper: Die Samaritaner verehrten Gott in einem eigenen Tempel – nicht in dem in Jerusalem, der für die Juden der einzige Ort der Gottesverehrung war. Das zweite: Es war nicht üblich, dass eine Frau von einem Mann so einfach angeredet wird, noch dazu an einem Brunnen. Begegnungen an Brunnen werden sehr häufig mit Heiratsvermittlung konnotiert, das hat also fast schon einen anrüchigen Touch. Und dennoch redet Jesus sie an: Gib mir zu trinken (Joh 4,7). Später dann in Vers 21: Glaube mir, Frau ...

Eigentlich eine seltsame Anrede?
Burz-Tropper: An mehreren Stellen findet sich bei Johannes diese etwas brüske Anrede „Frau“: Seine Mutter wird bei der Hochzeit zu Kana so angesprochen, dann wieder unter dem Kreuz, oder Maria von Magdala am Ostermorgen. Das vermittelt eine gewisse Distanz, ist aber in der griechischen Sprache, in der das Evangelium geschrieben ist, nicht unüblich.

Eine Distanz, die die Zweideutigkeit der Situation am Brunnen sozusagen ausgleicht?
Burz-Tropper: So könnte man sagen. Und auch die Samaritanerin versucht, die Situation zu klären: Warum sprichst du, ein Jude, mich an? Im Gespräch lösen sich diese Grenzen auf, die Frau wird von Jesus als Gesprächspartnerin auf Augenhöhe angenommen. Der Dialog endet damit, dass die Samaritanerin zum Glauben kommt und daraufhin ihr ganzes Dorf. Das durchzieht übrigens das ganze Johannes-Evangelium: die Begegnung mit Jesus. Ihn zu hören und zu erleben, führt zum Glauben. Auch die ersten Jünger fragen ja: Herr, wo wohnst du? Sie gehen mit und bleiben den ganzen Tag bei ihm. Das Beziehungsgeschehen ist ganz wichtig.

Wie geht Jesus mit dem damals üblichen Rollenbild der Frau um?
Burz-Tropper: Er bringt insgesamt Bewegung hinein, das betrifft Männer und Frauen gleichermaßen. Menschen kommen, es ergibt sich ein Gespräch oder eine Interaktion, sie kommen zum Glauben und bringen weitere Menschen, die ihrerseits mit ihm in Beziehung treten wollen.

Mögen Sie das ein wenig näher beschreiben, wie das geschieht?
Burz-Tropper: Dem Johannes-Evangelium geht es nicht um Vollständigkeit der Erzählung. Es sagt nur das Wichtigste. Und das ist, dass eine Person zum Glauben gekommen ist. Wenn wir auf das Gespräch mit Marta und Maria schauen, nach dem Tod ihres Bruders Lazarus: Ihr Glaube vertieft sich im Laufe des Gesprächs und gipfelt im Bekenntnis der Marta. Das Gleiche sehen wir bei der Samaritanerin: Sie kommt zum Glauben, dass Jesus der Messias ist. Und dieser Glaube schenkt Leben; ewiges Leben, das jetzt schon beginnt. Das ist das Evangelium des Johannes.

Glaube schenkt Leben; ewiges Leben, das jetzt schon beginnt. Das ist das Evangelium des Johannes.

Daraus spricht eigentlich ein sehr positives Menschenbild: Jesus spricht etwas an, was schon im Menschen liegt und darauf wartet, geweckt zu werden?
Burz-Tropper: Das ist bei der Samaritanerin das Wort vom lebendigen Wasser, das den Durst für immer stillt. Zuerst ein Missverständnis, aber sie fragt nach, und Jesus geht auf ihre Frage ein. Wie bei Marta führt das Fragen zu neuen Antworten, aus denen dann der Glaube wächst. Das ist schon grundgelegt am Beginn des Johannes-Evangeliums, wenn es heißt: Denen, die ihn annahmen und an den Namen glaubten, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.

Nehmen wir noch einmal das Rollenbild der Frau. Was ist die Bewegung, die Jesus hineinbringt?
Burz-Tropper: Das Evangelium zeigt jedenfalls, dass die Gemeinde des Johannes auch im Strom einer genderoffenen Kirchenführung war. Jesus selbst ist Frauen unbefangen begegnet. Das war für die damalige Zeit nicht typisch, da waren Frauen- und Männerwelt getrennt. Das Patriarchat wurde durch die Jesus-Bewegung aufgeweicht. Das führte in den Jahrzehnten nach Ostern dazu, dass Frauen in den Gemeinden durchaus auch Leitungsrollen einnehmen konnten. Sehr deutlich merkt man das z. B. am Ende des Römerbriefs, wo Paulus sehr viele grüßen lässt: Dort werden viele Frauen erwähnt, und man sieht, dass da eine Diakonin war und eine andere Apostelin genannt wird. Prisca wird vor ihrem Mann Aquila genannt, hatte also offensichtlich die bedeutendere Rolle. In den Pastoralbriefen dann, also den Briefen an Titus und Timotheus, die zwar in der Autorität des Paulus, aber nicht von ihm selbst geschrieben wurden, sondern wohl zwei Generationen danach: Da werden Frauen wieder in ihre herkömmlichen Rollen zurückgedrängt, Gemeindeleitung und Lehren sind Männersache. Beides ist Ausdruck von Macht, und die durfte eine Frau in der antiken Gesellschaft nicht haben.

Es erstaunt, dass dies in den frühen Gemeinden möglich war.
Burz-Tropper: Gerade für Frauen aus der Oberschicht war es damals viel leichter, eine andere Religion anzunehmen. Die Männer waren in öffenlichen Positionen und damit dem Kaiserkult verpflichtet. Frauen, die im öffentlichen Leben kaum eine Rolle gespielt haben, konnten sich leichter dem Juden- oder Christentum als monotheistischer Religion anschließen. Sie hatten eine gute Bildung, waren zum Führen erzogen, sie konnten sehr schnell in christlichen Gemeinden Leitungspositionen einnehmen.

Als Unbeachtete hatten sie die bessere Möglichkeit, zu Vorreiterinnen zu werden?
Burz-Tropper: Was offensichtlich von den Männern akzeptiert worden ist. Paulus hatte noch kein Problem damit. Der Glaube hat eine Toleranz bewirkt, die es in der Gesellschaft so nicht gegeben hat. Als das Christentum etablierter wurde, musste es sich den gesellschaftlichen Konventionen aber wieder mehr anpassen, weil das offenbar sonst das Überleben der Gemeinden in Frage gestellt hätte; es wäre zu anstößig gewesen.

Welche Botschaft in alldem halten Sie heute für die wichtigste?
Burz-Tropper: Der Evangelist Johannes bietet uns Beispiele, wie der Glaube an Jesus verändert, wie man zum Leben kommt. Dafür bieten gerade die Frauen in den Erzählungen eindrückliche Beispiele. Sie stehen an der Seite von Männern, an denen sich Gleiches ereignet. Wir sehen so, dass alle Kinder Gottes werden können. Nicht das Geschlecht ist wichtig, allein der Glaube. Deshalb spricht Johannes auch wirklich von den „Kindern Gottes“.

Interview: Georg Haab

Zur Person: Prof. Dr. Veronika Burz-Tropper, geb. 1984 in Klagenfurt, studierte Theologie und Religionspädagogik in Graz und Jerusalem. Nach Dissertation und Forschungstätigkeit an den Universitäten Wien, Mainz und Innsbruck arbeitet sie seit 2022 als Assistenzprofessorin an der Katholischen Universität Leuven in Belgien.
Am 9./10. November 2023 leitete sie im Bildungshaus Sodalitas die Biblischen Studientage zum Thema „Frauen im Johannes-Evangelium“.