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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Von der Müllhalde ins Forschungslabor: Papyrusfunde aus frühchristlicher Zeit

Peter Arzt-Grabner, Salzburger Papyrologe mit Kärntner Wurzeln, über seine Arbeit und was sie über das frühe Christentum verrät

Foto: privat; wikicommons/euclid
Peter Arzt-Grabner, im Hintergrund ein Oxyrhynchus-Papyrus

Sie Sind Papyrus-Experte an der Universität Salzburg. Wie beschreiben Sie Ihr Fachgebiet?
Arzt-Grabner: Das ist ein weites Feld. Papyrologie ist die Beschäftigung mit Papyri, und das ist eine junge Disziplin. Erst Ende des 19. Jahrhunderts sind auf dem ägyptischen Antiquitätenmarkt Papyri in größerer Zahl aufgetaucht, erst dann wurde auch erstmals gezielt danach gegraben und geforscht. Die meisten Papyri haben wir aus Ägypten, an zweiter Stelle steht Israel, woher unter anderem die weltberühmten Qumran-Funde stammen.

Hat man nicht auch an anderen Orten auf Papyrus geschrieben?
Arzt-Grabner: Papyrus wurde im gesamten Mittelmeerraum benutzt, aber in Ägypten war das Zentrum seiner Herstellung. Dass in Ägypten die meisten Papyrusfunde sind, hat aber auch mit den klimatischen Bedingungen zu tun. Der größte Feind des Papyrus ist die Feuchtigkeit. Es ist wie bei den Blumen und Blättern, die wir alle in der Schule gepresst haben: Solange sie trocken bleiben, können sie sehr lange halten. Kommt Feuchtigkeit dazu, vermodert alles. Ideale Bedingungen haben wir in Ägypten: Die alten Ägypter waren schlau genug, das bewässerbare Gebiet für Landwirtschaft zu verwenden und ihre Städte und Dörfer außerhalb zu bauen. Hinter die Dörfer hinaus, wo nur noch Wüste war, haben sie ihren Müll deponiert – genau dort findet man Papyrus.

Am Müll?
Arzt-Grabner: Die bedeutendsten Fundplätze sind die Müllhalden der Antike. Zuerst hat man in den Ortschaften gegraben, aber wenig gefunden. In den Müllhalden dagegen waren reiche Funde. Bereits die ägyptischen Bauern haben gerne dort gegraben, wo sie antiken Müll vermuteten: Dort war viel organisches Material zu finden, das sie als Dünger verwenden konnten.Wir wissen gar nicht, wie viele wertvolle Dokumente dadurch auf den Feldern gelandet sind! Erst 1878 ist man aufmerksam geworden, dass da etwas draufsteht und dass Europäer so etwas suchen. Übrigens: Die zweitgrößte Papyrussammlung der Welt mit ca. 180.000 Objekten ist in Wien, in der Nationalbibliothek, und das größte Papyrusmuseum der Welt ebenfalls. Ein Neffe des Kaisers Franz-Joseph I., Erzherzog Rainer, hat 1883 über 10.000 Stücke von einem Antiquitätenhändler gekauft und später dem Kaiser zum Geburtstag geschenkt: So kam der erste Bestand in die Hofbibliothek. Die ersten wissenschaftlichen Papyrusgrabungen fanden ab 1896 in Oxyrhynchus statt. Etwa eine halbe Million Fragmente wurden dort gefunden.

Aus welcher Zeit sind die ältesten biblischen Papyrus-Funde?
Arzt-Grabner: Die Qumrantexte wurden vor Christi Geburt geschrieben, die ältesten Textzeugen, die wir zum Neuen Testament haben, sind etwa aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts. Wobei man dazusagen muss: Wir haben kaum mehr Anhaltspunkte zur Datierung als den Schriftvergleich.

Heute kann jede und jeder lesen und schreiben, man hat Computer und Drucker. Wie war das in der damaligen Zeit?
Arzt-Grabner: Die Qualitätsunterschiede des Schreibmaterials sind relativ groß. Ein hochwertiger Papyrus war teuer. Der wurde nur von Leuten verwendet, die ihn sich leisten konnten, und für besonders wichtige Texte. Papyrus von minderer Qualität, der Materialfehler aufweist oder Mängel bei der Klebung, findet man beispielsweise im Schulunterricht.

Wie können wir uns ein antikes Buch vorstellen?
Arzt-Grabner: Unser Wort Buch kommt vom griechischen Biblion. „Bibel“ heißt also „Buch“. Mit diesem Begriff hat man zunächst die Schriftrollen bezeichnet. Das Geschichtswerk des Thukydides z. B. hat heute in einem Taschenbuch Platz: In der Antike musste man aber 22 „Bücher“ bzw. Rollen verwenden, um das ganze Werk wiederzugeben. Der Umfang einer Rolle war ja aus praktischen Gründen begrenzt. Als der Kodex, unsere heutige Buchform, die Rolle verdrängt hat, wurde dieser zum Biblion, zum Buch.

Wie wurde der Papyrus – von dem ja das deutsche Wort Papier abgeleitet ist – hergestellt?
Arzt-Grabner: Man produziert zunächst Blätter, indem man das Mark des Papyrusstängels in Streifen schneidet, etwa 30 Zentimeter lang, und legt sie in zwei Schichten übereinander, einmal horizontal, einmal vertikal. Das wird geklopft und gepresst, und durch den Saft der Papyruspflanze verkleben die Schichten sehr haltbar miteinander. Dann hat man mehrere Blätter zu einer Rolle aneinandergeklebt. Im Papyrusladen gab es mehrere Größen zu kaufen. Ein solches Standardmaß war eine Rolle mit 20 Blatt, da ist man dann bei ca. sechs Meter Länge. Habe ich nun ein Stück Papyrus gebraucht, für eine Quittung z. B., so habe ich das von der Rolle heruntergeschnitten, um mit Schilfrohr und schwarzer Tinte darauf zu schreiben. Längere Texte hat man auf die Rolle geschrieben, eine Spalte nach der anderen, und dann das fertige Stück abgeschnitten.

Was sagen die Papyri über das Leben der frühen Christen?
Arzt-Grabner: Wir haben z. B. relativ gute Belege aus dem Weberhandwerk, einem wichtigen Wirtschaftszweig. Steuererklärungen, Briefe, aber auch Lehrlingsverträge, die den Ablauf der Ausbildung eines Lehrlings regelten: Wer kommt auf für Bekleidung und Nahrung, wer zahlt die Steuern, wie wird die Ausbildung sichergestellt. Im Brief des Apostels Paulus an Philemon finden wir nun Wendungen, die ich im ersten Jahrhundert nur in Weber-Lehrverträgen finde: Und zwar da, wo Paulus schreibt, dass er den Sklaven Onesimus gerne bei sich behalten möchte, damit dieser ihm im Zusammenhang mit seiner Missionstätigkeit diene. Dieses Wort für Dienen finden wir im ganzen ersten Jahrhundert nur in Weber-Lehrverträgen, wo vereinbart wird, dass der Lehrling dem Webermeister in allem dient, was mit dem Weberhandwerk zusammenhängt. Von Paulus wiederum wissen wir, dass er aus Tarsus stammt, einem Zentrum der antiken Textilindustrie. Er war in diesem Handwerk ausgebildet und verdiente immer wieder damit seinen Unterhalt. Paulus hat also in seiner Mission auf jene Kenntnisse und Strategien zurückgegriffen, die sich auch in seinem handwerklichen Beruf bewährt haben.

Welche Anekdoten begegnen Ihnen bei Ihrer Arbeit?
Arzt-Grabner: Man hat mehrere Exemplare eines Diktats gefunden, das zwischen dem 3. und dem 8. Jahrhundert verwendet wurde, also 500 Jahre lang. Der Text beginnt mit: „Der Sohn tötete den eigenen Vater.“ Die Papyrologen wollten nun wissen, welche sprachlichen Probleme damit überprüft werden sollten, und dann haben festgestellt, dass bei den ca. 15 gefundenen Exemplaren nur ein einziges Wort bei allen richtig geschrieben worden war, und zwar der männliche Artikel „der“; im Griechischen ist das lediglich ein Buchstabe, ein o. Aber auch ein Exemplar, das aufgrund der wunderschönen Schrift für das Lehrerexemplar gehalten wird, ist bei Weitem nicht fehlerfrei ...

Interview: Georg Haab

Zur Person: Ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Arzt-Grabner, geb. 1959 in Tamsweg und aufgewachsen in Kärnten, studierte Theologie und Griechisch in Salzburg und Rom und habilitierte sich 2006 in Papyrologie. Von 1998 bis 2007 Assistenzprofessor, seit 2007 Ao.Universitätsprofessor an der Universität Salzburg. Dazwischen Gastprofessur in Amerika und Forschungsaufenthalt in Australien. Zu seinen Arbeitsschwerpunkte zählen neben Methoden der Bibelauslegung und Sprache und Alltagsleben der hellenistischen Zeit.