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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Viele Wege führen zu Gott – einer davon durch die Natur

Werner Freudenberger im Sonntags-Gespräch über sein neues Buch und wie Wandern zum Meditieren wird

Der beliebte Radio- und Fernsehjournalist über die Faszination des friulanischen Flusses Tagliamento, unentdeckte Kleinode der Region und wie Wandern zum Meditieren werden kann

Der Radio- und Fernsehjournalist Werner Freudenberger im SONNTAG-Interview über die Faszination des friulanischen Flusses Tagliamento, unentdeckte Kleinode der Region und wie Wandern zum Meditieren werden kann. (© Foto: Freudenberger / SONNTAG)
Der Radio- und Fernsehjournalist Werner Freudenberger im SONNTAG-Interview über die Faszination des friulanischen Flusses Tagliamento, unentdeckte Kleinode der Region und wie Wandern zum Meditieren werden kann. (© Foto: Freudenberger / SONNTAG)
 (© Foto: Freudenberger)
(© Foto: Freudenberger)

Wie kommen Sie ausgerechnet zu diesem Fluss in Friaul?
Freudenberger: Vor drei Jahren habe ich mit der Styria ein Buch über die Bernsteinstraße gemacht, und danach stellte sich die Frage: Gibt es weitere Ideen? Und zwischen meiner Lieblingsstrecke zum Wandern, der Via Francigena, und dem Tagliamento, fiel die Entscheidung dann zu dessen Gunsten.

Was fasziniert Sie am Tagliamento so, dass er sie über Jahre beschäftigt hat?
Freudenberger: Wenn ich davon erzähle, komme ich einfach ins Schwärmen. Der Tagliamento hat nicht umsonst den Beinamen „König der Alpenflüsse“. Er kann sich auf 172 km Länge ungehindert seinen Lauf suchen, ohne Sperren, Barrieren oder Einschränkungen; an den breitesten Stellen ist er zwei Kilometer breit! Das ergibt eine Urlandschaft, wunderschön zu besuchen und zu bewandern, die ihm einen weiteren Beinamen eingebracht hat, „Serengeti Mitteleuropas“. In diesem Abschnitt weist er mehr Pflanzen- und Tierarten auf als jeder andere Fluss in Europa. Es gibt allein 32 verschiedene Fischarten, darunter wahre Überlebenskünstler.

Viele werden den Tagliamento nur vom Auto aus kennen. Wo entspringt dieser Fluss?
Freudenberger: Seinen Ursprung hat er am Passo della Mauria, windet sich dann nach Ostsüdost. Erst bei Carnia und Venzone wendet er sich nach Süden. Im Buch ist nicht der Fluss allein beschrieben, sondern auch seine Zuläufe, sei es der Lumiei, der aus dem Lago di Sauris kommt, oder Degano und But, der fast bis zum Plöckenpass reicht, oder die Fella als bekanntester und wasserreichster Zufluss. Deshalb ist ein großes Kapitel auch dem wunderschönen Karnien gewidmet, das bei uns ja ziemlich unbekannt ist.

Was erwartet den Besucher dort?
Freudenberger: In dieser Gebirgsregion auf der nördlichen Seite der Karnischen Alpen gibt es eine eigenartige Architektur der Häuser, die zum Teil sehr massiv erscheint, drei, vier Stockwerke hoch, auch in den Dörfern, aus Stein und Holz. Die Karnier, also Kelten, haben mit Holz gebaut, die Römer mit Stein: Dort trifft man eine Verbindung von beiden. Auch eine Verbindung aus Wohn- und Nutzbau, man wohnt im selben Haus, in dem die Ernte getrocknet wird und der Stall integriert ist. Traurig ist, dass die Bevölkerung sich langsam aus der Gegend verabschiedet. Eine einzige Stadt ist es, die ihre Einwohnerzahl konstant hält, Tolmezzo. Es gibt wenig Beschäftigungsmöglichkeiten außer der Landwirtschaft, und die ist nicht interessant, weil im Supermarkt alles billiger ist. Sanfter Tourismus, Ökotourismus könnte vielleicht wieder etwas Motivation schaffen. Ein gelingendes Beispiel dafür ist Dordolla im Aupa-Tal: Dort hat ein Kärntner, mit einer Italienerin verheiratet, einen Bio-Betrieb mit Agro-Tourismus gestartet. Er baut auf kleinster Fläche Pflanzen an, die dort gut wachsen, züchtet Schafe und bietet für junge Menschen ein „Working on organic farms“ an: Mann kann mitarbeiten und dafür frei wohnen, und dabei das Handling dieser Art von Bergbauernlandwirtschaft studieren.

Wer unberührte Natur sucht, findet sie dort?
Freudenberger: Der Tagliamento ist für unsere Region ein faszinierendes Naherholungs-, -erkundungs-, -erforschungsgebiet, in einer guten Stunde ist man da. Es gibt auch einen Kirchenwanderweg: Er verbindet die interessantesten schönen alten Kirchen des Landes in einem sehr großen Bogen miteinander. Daneben gibt es Bestrebungen, den alten Pilgerweg, den Sentiero del Tagliamento, wieder zu aktivieren. Es gab ja einen Pilgerweg, die Via d´Allemagna, der in zwei Ästen nach Oberitalen hereingekommen ist. Man kam über Tarvisio und das Kanaltal oder über den Plöckenpass, um über die Via del Tagliamento die Häfen der Adria zu erreichen und nach Jerusalem überzusetzen. Diesen Weg will man nun sowohl mit dem Jakobsweg als auch mit der Via Francigena, die von Canterbury nach Rom geht, verknüpfen.

Man begegnet auf Schritt und Tritt kleinen Wundern, die man sehen lernen muss, und die auch, jeder für sich, eigentlich ein Gottesbeweis sind.

Auch wenn gewisse Steigungen sicherlich nicht vermeidbar sind: Ist der Tagliamento auch für Radfahrer interessant?
Freudenberger: Es wird in den Tourismusbüros viel Kartenmaterial für Radfahrer angeboten. Die Italiener fahren ja sehr gern Rad. Man trifft eher Radler als Wanderer, allerdings zumeist in einer Ausrüstung, als trainierten sie für den Giro d‘Italia.

Ihr persönliches Highlight?
Freudenberger: Mir hat besonders das Pesarina-Tal gefallen, ein Seitental des Degano-Tales. Dort gibt es in Prato Carnico einen schiefen Turm, der zwar nicht so hoch ist wie der von Pisa, aber mindestens die gleiche Neigung hat. Er steht mitten auf einem Parkplatz, und man hat ein eigenartiges Gefühl, je nachdem, wo man sein Auto abstellt. Am Ende des Tales liegt das zauberhafte Örtchen Pesariis, in dem eine traditionelle, alte Uhrenproduktion zu Hause ist, die Firma Solari, die seit drei Jahrhunderten Turmuhren herstellt. Das Örtchen ist herausgeputzt durch raffinierte Ideen von Uhren, mit Wasserantrieb bei einem Brunnen, einer doppelten Sonnenuhr an einer Hauswand usw., und natürlich gibt es auch ein Uhrenmuseum. Überall in der Region stößt man auf Geschichtliches, das man sonst nicht so hört. Z. B. hatten sich in der Nähe von Verzegnis sehr viele Kosaken niedergelassen. Diese Reiter hatten unter den Zaren gedient, waren unter den Bolschewiken aber verfolgt worden und deshalb auf der Flucht. Von den Nazis waren sie angeworben worden mit dem Versprechen, dass sie dort dann ihr Territorium haben könnten. Das hat ein tragisches Ende genommen. Die Kirche Cristo Re in Timau ist teilweise mit Spendengeldern der Kosaken errichtet wurden, in der Hoffnung auf eine Zukunft nach dem Krieg. Aber die Engländer haben sie den Russen ausgeliefert, was nur wenige überlebt haben.

Das heißt: Wer mit offenen Augen unterwegs ist, wird viel Interessantes entdecken ...
Freudenberger: Im Grunde fällt mir dabei immer ein: Es gab vor fünf oder sechs Jahren, dass die Autoren vom Unikum ein Buch auf den Weg gebracht haben, einen richtigen Wälzer, das „Buch der besonderen Orte“. Da waren nur Kleinode drinnen, aus Slowenien, dem Karst, aus Italien, in drei Sprachen beschrieben, auch mit Lyrik und Posie. Das waren einfach wirklich ganz besondere Orte wie verfallene Mühlen an besonderen Plätzen, alte kleine steinerne Bogenbrücken, mit der Hinführung, dass es Kleinode sind – wobei die Betonung auf „klein“ liegt. Man muss es erspüren. Dieses Zugang ist für mich sehr schön, gerade wenn man unterwegs ist und wandert: Man begegnet auf Schritt und Tritt kleinen Wundern, die man sehen lernen muss, und die auch, jeder für sich, eigentlich ein Gottesbeweis sind.

Für Sie ist überhaupt beim Wandern diese spirituelle Dimension wichtig?
Freudenberger: Man begegnet auf Schritt und Tritt kleinen Wundern, die man sehen lernen muss, und die auch, jedes für sich, eigentlich ein Gottesbeweis sind. Das hat viele Facetten. Eine davon sind die Blumen, die Tiere, die Farben, auch die Farben des Wassers. Das andere ist das Gehen in der Natur. Das hat für mich einen sehr meditativen Charakter. Beim Gehen öffnet sich mir die Möglichkeit, mich selbst und mein Dasein in einer anderen Dimension zu erleben, mich auf einer anderen Ebene wiederzufinden.

Der eine meditiert, indem er in die Stille geht, der andere beim Schreiben, wieder andere, wie Sie, beim Gehen ... Mögen Sie das ein wenig beschreiben?
Freudenberger: Es ist schwer in Worte zu fassen. Es ist, als ob unter diesen Umständen die „Antenne nach oben“ freier, ungehinderter ist. Ich erlebe ein Gefühl der Weite, zum Schöpfer hin. Man muss sich schon dafür bereit machen: Es ist sehr schön, sich beim Wandern zu unterhalten, aber ich schweige auch gerne über weite Strecken. Dabei stört es überhaupt nicht, wenn neben mir jemand geht. Wenn ich mich auf das Ruhig-werden einlasse, löst sich etwas. Wenn wir diese Unruhe, die in uns ist, einmal loslassen; wenn wir uns sagen: Ich bin jetzt da, alles andere ist jetzt einmal nicht so wichtig ... Wenn man nicht sagt: Um vier Uhr muss ich wieder beim Auto sein, hoffentlich bricht dort keiner ein, hoffentlich regnet es unterwegs nicht. Dann spürt man Dinge und Intuitionen, die man sonst nicht spürt, obwohl sie immer da sind, dann findet man auch zum Gespräch mit sich selbst und mit Gott.

Interview: Georg Haab

 

Werner Freudenberger, geb. 1949 in Hermagor, ist bekannt und beliebt durch seine langjährige Tätigkeit im ORF-Landesstudio Kärnten als Radio-Moderator, Familienfunk-Chef, Leiter der Abteilung Religion und Gestalter vieler erfolgreicher Dokumentationen wie „Österreich-Bild“ oder „Erlebnis Österreich“.


Buchtipp:
Werner Freudenberger, Am Tagliamento. Entdeckungen zwischen Alpen und Adria. Styria (2017), 195 Seiten, Preis: € 23,90.


Buchpräsentation:
Mittwoch, 5. April 2017, 19.00 Uhr, Community der KHG, Nautilusweg 11 (vis-a-vis zum Haupteingang Universität), 9020 Klagenfurt