Vermitteln, dass Leben durch den Glauben schöner wird
Kirche als Heimat, ihre Option für die Armen wie Reform aus dem Glauben heraus wächst
Was Kirche mit Heimat zu tun hat, weshalb es eine Option für die Armen braucht und wie Reform aus dem Glauben heraus wächst.


Welchen Stellenwert haben Kirche und Religion heute?
Wustmans: Inzwischen zeigt sich deutlich, dass Säkularisierungsprozesse nicht automatisch das Ende von Religion bedeuten. Auch heute suchen Menschen nach Sinn, Hilfestellungen, Gewissheiten und Beständigkeiten in Zeiten zunehmender Verunsicherungen. Allerdings profitiert die institutionelle Religion nicht unbedingt von diesen Zusammenhängen. Vielmehr sind Prozesse der „Entkirchlichung des Christentums und einer Entchristlichung des Religiösen“, wie Hans-Joachim Höhn es nennt, zu beobachten.
Was bedeutet das für die traditionelle Seelsorge?
Wustmans: Dass der katholische Glaube ein Sinnangebot unter anderen ist und dass Menschen dann auf Sinnangebote zurückgreifen, wenn diese in ihre Biografie hinein-
passen. Vor diesem Hintergrund gibt es die Flüchtigkeit der Zustimmung, und darin steckt meines Erachtens auch eine Chance, die man nutzen kann.
Sie haben sich intensiv mit Jugend und jungen Menschen in der Kirche beschäftigt. Welche Heimat, welche Entfaltung hat Kirche ihnen anzubieten?
Wustmans: Brauchen Jugendliche und junge Erwachsene einen solchen Ort in der Kirche? Das sehen Jugendliche und junge Erwachsene oftmals anders. Viele sagen, dass sie auch ohne Beheimatung in der Kirche gut leben. Das mag stimmen. Für mich wäre es erstrebenswert, ihnen zu vermitteln, dass das Leben mit dem christlichen Glauben schöner werden kann. Dass mit diesem Glauben ein „Mehr“ in ihrem Leben Platz finden könnte. Um eine für sie passende Pastoral anzubieten, ist es unbedingt erforderlich, Orte anzubieten, an denen erfahrbar wird, dass das Evangelium für die eigene Existenz bedeutsam sein kann. Und diese Vermittlung muss emotional ansprechend und gleichermaßen vernünftig sein. Die Balance zwischen Glaube und Vernunft, Emotion und Intellekt ist absolut wichtig und immer wieder neu zu finden.
Wie kann Kirche damit umgehen?
Wustmans: Sie muss die Menschen ernst nehmen und sich von ihnen in der Verkündigung herausfordern lassen. Dies kann z. B. derart geschehen, dass man mit ihnen in einen Dialog tritt über die Fragen: „Wer bist du? Was suchst du? Wo gehst Du hin?“
Missionarisch sein heißt: gemeinsam anders werden.
Das heißt: Änderung beginnt mit dem Wechsel des eigenen Blickwinkels?
Wustmans: Ja, und die Veränderung des Blickwinkels geschieht in der Regel auch durch einen Ortswechsel. Eine solche Herangehensweise ist jesuanisch. Jesus war im wahrsten Sinne des Wortes unterwegs. Und auf diesen Wegen, an den verschiedenen Orten, kam es zu Kontakten. Und eine wesentliche Frage war dabei oftmals: „Was willst du, dass ich dir tue?“
Man hört immer wieder von „missionarischer Kirche“. Wie geht es Ihnen als ehemalige „Missionarin auf Zeit“ damit?
Wustmans: Mission ist – wie Pastoral überhaupt – ein Entdeckungsgeschehen. Ich bin als junge Frau nach dem Abitur in den Nordosten von Brasilien gegangen und habe in diesem Jahr unendlich viel über mich selber erfahren und über den Ort, wo ich herkomme. Wer sich auf Ortswechsel einlässt, begegnet dort sich selber, der eigenen Biografie, den eigenen Wertevorstellungen. Zugleich trifft man andere; das ist irritierend und inspirierend zugleich. Ein wechselseitiges Geschehen kommt in Gang, eine Verwandlung. Und zwar eine, die mich nicht von mir und meiner Biografie entfremdet, sondern im Sinne von Menschwerdung mich dazu geführt hat, mehr die zu werden, die ich sein soll. Mission im besten Sinne heißt: gemeinsam anders werden. Viele „Missionare“ sagen, sie seien gekommen, um etwas zu geben, und haben dann eine ganz neue Dimension des Glaubens entdeckt.
Zum Beispiel?
Wustmans: Ein wesentliches Moment, gerade nach dem 2. Vatikanischen Konzil, ist die Entdeckung, Kirche der Armen zu werden, sich mit Armen zu solidarisieren und sich von diesem Ort der Armut her zu fragen: Was sagt unser Glaube dazu? Wie sollen wir den Vers aus dem Johannesevangelium „Ihr sollt das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10) realisieren? Wer so fragt, entdeckt auch das Evangelium immer wieder neu.
Sie beziehen sich dabei auf „Gaudium et spes“?
Wustmans: Dort wird grundgelegt, dass Pastoral ein Geschehen ist, das sich nicht auf Individualseelsorge beschränkt, sondern auch die Lebenszusammenhänge berücksichtigt, die Menschen knechten oder befördern können.
Kirche, die Option für die „Armen“ ergreift – geht das denn bei uns?
Wustmans: Auch in Österreich gibt es Menschen, die in materieller Armut leben und von daher Gefahr laufen, Würde zu verlieren. Was tun wir Christinnen und Christen, diese menschliche Würde zu stärken, zu schützen? Ganz wesentlich sind Achtsamkeit, Verlässlichkeit: Ich schenke dir Gemeinschaft, Anerkennung, auch das Brot oder eine Tasse Tee. Es ist wichtig, Menschen nicht über Schwächen oder ihre gescheiterten Beziehungen zu definieren, sondern ihnen beizustehen und wenn es gut läuft, auch ihre verschütteten Stärken neu zu entdecken.
Welche weiteren Schienen hat das Zweite Vaticanum gelegt, die heute von Bedeutung sind?
Wustmans: Für mich sind die Aussagen zum Volk Gottes wichtig. Verschiedenheit ist im Volk Gottes nicht mehr ein Problem, sondern eine Ressource. Im Volk Gottes haben Priester und Laien die gleiche Würde, die durch die Teilhabe aller Getaufter und Gefirmter an den Ämtern Christi grundgelegt ist. Laien haben kraft dieser Rückkopplung an die Ämter Christi ein eigenes Amt in der Kirche, wie es Elmar Klinger treffend formuliert hat. Natürlich gibt es das besondere Weiheamt. Das hebt die Unterscheidung, aber nicht die Trennung im Volk Gottes hervor. Der Priester steht nicht über dem Volk, sondern ist Diener des Volkes Gottes. Durch das Konzil ist da ein wirklicher Fortschritt vollzogen worden, und wir erleben ihn an verschiedenen Orten. Es gibt Laien, Männer und Frauen, in kirchlichen Leitungspositionen – auch wenn es bezüglich der Rolle der Frau in der Kirche noch die Möglichkeit des Ausbaus gibt.
Ihr Wunsch an Kirche?
Wustmans: Mit der Umsetzung des Evangeliums verhält es sich wie mit den anvertrauten Talenten im Gleichnis bei Matthäus 25,14 ff. Aus dem Talent gilt es, etwas zu machen, es zu vermehren. Dabei sollten wir nicht ängstlich sein. Angst vor einem möglichen Versagen lähmt. Wir sollten den Mut zu Ortswechsel haben und kreativ werden, damit Menschen mit der Menschenfreundlichkeit Gottes in Kontakt kommen. Gottes Willen ernst nehmen bedeutet für mich, nicht argwöhnisch zu sein, sondern sich an den Möglichkeiten der Zukunft zu orientieren: Weil die Botschaft vom Reich Gottes voller Dynamik, Kreativität und Energie ist!
Zur Person:
Univ.-Prof. Hildegard Wustmans, 1963 in Kevelaer/Deutschland geboren, ist Leiterin des Instituts für Pastoraltheologie der katholisch-theologischen Privatuniversität Linz. Nach einem Jahr „Missionarin auf Zeit“ in Brasilien studierte sie Theologie in Würzburg und São Paulo, war Verantwortliche für die Jugendarbeit der Diözese Limburg. 2009 wurde die Autorin zahlreicher Publikationen an die Universität Linz berufen.
Hildegard Wustmans, die im Rahmen der Kärntner Dechantenkonferenz (21. - 24. 1.) referierte, spricht auch in der Thomasmesse (Sonntag, 27. 1., Klagenfurt Don Bosco) und an der Universität Klagenfurt (Montag, 28. 1.)!